Facebook-Börsengang
9. Februar 2012Max Schrems ist einer der schärfsten Kritiker von Facebook. Dem 24-jährigen Jurastudenten aus Wien geht die Datensammelwut gewaltig gegen den Strich. Auf seiner Webseite www.europe-v-facebook.org ruft er die Nutzer dazu auf, ein Auskunftsersuchen an Facebook zu schicken, um herauszufinden, welche Daten das Netzwerk archiviert. Er selbst hat eine Anfrage gestellt. Das Ergebnis: mehr als 1.220 pdf-Seiten mit Datensätzen, teils Jahre alt, teils mit Fotos, die er längst gelöscht zu haben glaubte. Tatsächlich sind die Daten aber nur unsichtbar.
Weil Facebook offenbar niemals etwas vergisst, haben Schrems und seine Initiative 22 Anzeigen wegen Verstößen gegen europäische Datenschutzbestimmungen eingereicht. Ab Montag (6.2.2012) verhandelt der Student mit Facebook-Irland, in Kreisen auch scherzhaft "FB-I" genannt. Auf der grünen Insel befindet sich die Europazentrale des Netzwerks. Dass Schrems dort Konzernvertretern aus Irland und den USA gegenüber sitzt, findet er selbst keineswegs komisch: "Aus demokratischer Sicht ist es absurd, dass ein paar Studenten nun stellvertretend für alle anderen Nutzer mit einem Multi verhandeln sollen." Das sei so, als ob ein einzelner Kunde mit einer Supermarktkette über Lebensmittelsicherheit verhandelt. Diese Dinge müssten eigentlich von Behörden entschieden werden, schreibt Schrems auf seiner Website.
Was sind die Daten wert?
Wenn nun ein Börsengang frisches Geld in die Facebook-Kasse schwemmt, wäre es vorstellbar, dass die Plattform in neue Tools investiert, um die Userdaten noch stärker zu vermarkten. Ein Börsengang kann den Druck auf Facebook in diese Richtung erhöhen, vermuten Experten. Marit Hansen vom Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein meint, dass mit dem technischen Fortschritt noch mehr Nutzerdaten ausgewertet werden können. "Schon jetzt erzielt Facebook durch Nutzung der Userdaten Werbeerlöse. Da ist es vorstellbar, dass die Aktionäre das Unternehmen darauf verpflichten, seinen Gewinn zu maximieren." Die Frage sei: Wie wertvoll sind die Daten für Facebook?
Das kann man leicht ausrechnen: Schätzungen zufolge kommt Facebook auf einen Börsenwert von 100 Milliarden Dollar. Wenn man davon ausgeht, dass die Daten der 845 Millionen Nutzer das eigentliche Kapital des Unternehmens sind, dann ist der Datensatz jedes einzelnen 118 US-Dollar wert.
Rote Linien in der virtuellen Welt
Marit Hansen warnt: "Allerdings gibt es in Sachen Profitmaximierung eine klare Schwelle, die Facebook in seinem ureigenen Interesse nicht überschreiten darf. Würde Facebook nun Daten verkaufen, was das Unternehmen bislang verneint, dann würde es seine Userbasis verlieren." Ausgewogener Datenschutz und Transparenz seien der Garant für den Erfolg an der Börse. Die Datenschützerin will daher nicht ausschließen, dass Facebook – um im Zuge einer Börsennotierung seinen Firmenwert zu erhalten und zu steigern – sich jetzt sogar stärker für Datenschutz und für Transparenz engagiert. Fest steht für Marit Hansen: Facebook wird sich professionalisieren müssen, auch weil Börsenunternehmen ihren Aktionären gegenüber regelmäßig Rechenschaft ablegen müssen.
Scharfer Wind aus unterschiedlichen Richtungen
Für Mark Zuckerbergs vermeintlich sympathischen Freundefinder gibt es auch Gegenwind aus Brüssel, von der EU-Kommission. Die jüngst vorgestellte neue EU-Verordnung sieht mehr Datenschutz vor, unter anderem ein Recht auf "Vergessen", also das vollständige Löschen von Daten. Doch das Papier befindet sich erst am Anfang des Weges durch die EU-Instanzen und wird frühestens 2014 geltendes Recht.
Bis dahin aber könnte der Facebook-User nicht nur gläsern, sondern quasi nackt da stehen. Denn das Netzwerk ist gerade dabei, die Profilseiten der User auf die sogenannte "timeline", eine Art interaktiven Lebenslauf, umzustellen. Weil sich so gezielt in der Biografie von Freunden stöbern lässt, hat die Applikation schon ihren Spitznamen weg: "stalker app". Der oberste deutsche Datenschützer Peter Schaar ist empört und meint, das Unternehmen habe aus der Debatte über seine Datenschutzpraxis offenbar nichts gelernt. "Mit timeline überschreitet Facebook die rote Linie zur nahezu lückenlosen Erfassung der Nutzer. Und was einmal eingetragen ist, kann vom Nutzer nicht mehr gelöscht werden." Inakzeptabel sei, dass umfassende Profile ermöglicht würden, ohne dass die Nutzer aktiv einwilligten.
Wie Kunden, die im Supermarkt die Arbeit selbst machen
"Wir räumen jetzt den Laden auf, vollziehen eine digitale Inventur, packen alle Informationen über uns schön in die Regale und machen Facebook hübsch für den Verkauf an die Aktionäre", rechnet der Kritiker Julius Endert auf dem Autorenblog Carta.de mit facebook ab. Wenn jeder der 800 Millionen Nutzer auch nur zehn zusätzliche Minuten investiere, um seine Profildaten für timeline anzupassen, dann käme man bei einem Stundenlohn von 7,50 Euro auf einen Wert von fast 10 Milliarden Euro, rechnet Endert vor. Unentgeltliche Arbeit der User, die für Facebook an der Börse Bares wert sein kann.
Autorin: Birgit Görtz
Redaktion: Silke Wünsch