Was treibt Europas Bauern auf die Straße?
13. Januar 2024Die Bauernproteste, die schon in anderen europäischen Ländern für politische Turbulenzen sorgten, haben nun auch Deutschland erreicht. In einer landesweiten Aktionswoche wehren sich die Landwirte gegen die geplante Streichung der Steuerbegünstigung für Agrardiesel.
Konvois mit Tausenden von Traktoren und LKWs sorgten in den vergangenen Tagen für Verkehrschaos und blockierten mehrere Städte. Im VW-Werk Emden kam die Produktion deswegen zum Stillstand. In der Woche zuvor hinderten wütende Demonstranten Wirtschaftsminister Robert Habeck daran, während eines Familienurlaubs von Bord einer Fähre zu gehen.
Proteste in ganz Europa
Ähnliche Proteste in den Niederlanden waren in den vergangenen Jahren teilweise von Gewalt und gezielten Verletzungen der Privatsphäre von Politikern geprägt und führten zu massiven Behinderungen des Wirtschaftslebens.
Die Proteste dort wandten sich gegen geplante Maßnahmen zur Reduzierung der Stickstoffemissionen und brachten 2019 sogar eine neue politische Partei hervor, die populistische Bauernprotest-Partei BBB.
Auch in Belgien, Spanien und Frankreich gingen die Landwirte auf die Straße, um ihrem Unmut über die Auswirkungen geplanter Umweltschutzmaßnahmen und hoher Kosten Ausdruck zu verleihen. Die Welle erreichte auch Polen und andere osteuropäische Staaten, in denen sich die Proteste überwiegend gegen die Einfuhr billigen Weizens aus der Ukraine richteten.
Jan Douwe van der Ploeg, ein Agrarsoziologe, der ehemals an der Universität Wageningen in den Niederlanden unterrichtete, sieht eine wichtige Gemeinsamkeit bei vielen dieser Proteste: die Verteidigung des Status Quo.
Ihm zufolge zählen zu den Anliegen häufig "das Recht, die über die Jahre zugestandenen Subventionen beizubehalten und weiterhin fossile Energien oder Pestizide nutzen zu können. Dabei handelt es sich um klare Merkmale einer industrialisierten Landwirtschaft".
Was fordern die Bauern?
Die europaweiten Proteste der Bauern können jedoch nicht einfach in einen Topf geworfen werden, in jedem Land sind die Auslöser andere. In Deutschland sind es die Subventionen für Agrardiesel, in Spanien die Kürzung von Wasserzuteilungen und in Frankreich die Kosten für Bewässerung und Treibstoff sowie die EU-Agrarpolitik.
Die Preise für Düngemittel und Treibstoff schnellten nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine jedoch europaweit in die Höhe und setzen die Landwirte trotz der stark gestiegenen Lebensmittelpreise in europäischen Supermärkten unter Druck.
Im Gespräch mit der DW betont die stellvertretende Vorsitzende des Bundes der Deutschen Landjugend, Anne-Kathrin Meister, dass die landwirtschaftlichen Erträge einfach nicht mit den steigenden Kosten mithalten könnten. "Die Preise für Maschinen, Pflanzenschutzmittel und Düngemittel sind nie im selben Maß gestiegen wie der Ertrag", sagt Meister, die während ihrer Jugend viel Zeit auf dem Bauernhof ihrer Großeltern im Norden Bayerns verbrachte, im Gespräch mit der DW.
"Die aktuellen Herausforderungen und die der letzten Jahre sind einfach zu viel auf einmal", meint sie. Bei den deutschen Protesten läge der Schwerpunkt zwar auf dem Treibstoff und den Fahrzeugen, doch das sei nur "der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat".
Die Landwirtschaft stelle sich nicht grundsätzlich gegen Umwelt-Reformen, benötige jedoch mehr Unterstützung, betont Meister. "Der Landwirt ist der Erste, der davon negativ betroffen ist, wenn Flora und Fauna schlecht dran sind", sagt sie und fügt hinzu, dass Umweltmaßnahmen ihren Preis hätten. Doch die Konsumenten müssten auch bereit sein, diesen zu zahlen.
Zuspruch von rechts
Für die deutsche Regierung kommt die Sorge hinzu, dass die Proteste von Rechtsextremen gekapert werden könnten, wie Innenministerin Nancy Faeser diese Woche deutlich machte. Wirtschaftsminister Habeck warnte vor der Verwendung nationalistischer Symbole und vor "Umsturzfantasien", die online in Verbindung mit den Protesten die Runde machten.
Am Montag waren an vielen der Traktoren Banner mit dem Logo der in Teilen rechtsextremen AfD zu sehen, die derzeit in Wahlumfragen den zweiten Platz belegt (23 Prozent).
Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbands, sagte, der Bauernverband distanziere sich von den Extremisten: "Rechte und andere radikale Gruppierungen mit Umsturzgelüsten wollen wir auf unseren Demos nicht haben", beteuerte Rukwied in der "Bild am Sonntag". "Wir sind Demokraten."
Klimaziele in Gefahr?
In Brüssel blickt man mit Sorge auf die Unzufriedenheit der Bauern. Dort fürchtet man um die ehrgeizigen Klimaziele, die erst unter der derzeit amtierenden Europäischen Kommission in der Gesetzgebung festgeschrieben wurden. Bis 2050 will die EU ein Gesamtziel von "Netto-Null"-Emissionen erreichen. So soll zum Beispiel der Einsatz von chemischen Pestiziden in der Landwirtschaft bis 2030 um 50 Prozent reduziert werden.
Für den Juni sind in der EU Wahlen angesetzt und manch ein EU-Beamter stellt sich die bange Frage, ob diese Pläne noch Bestand haben, sollte das Europäische Parlament nach rechts schwenken.
Dieses Risiko wurde auch bei der heftigen politischen Auseinandersetzung um das EU-Gesetz zur Wiederherstellung der Natur deutlich, meint Marco Contiero, Landwirtschaftsexperte im Brüsseler Büro von Greenpeace. Im vergangenen Jahr wurde das Gesetz mit knapper Mehrheit im EU-Parlament verabschiedet, obwohl die Mitte-Rechts-Partei der EU, die Europäische Volkspartei, in letzter Minute versuchte, dies zu verhindern. Die EVP stellt in dieser Legislaturperiode die stärkste Fraktion und positioniert sich bei den Plänen, landwirtschaftlich genutzte Fläche in Naturflächen umzuwandeln, als Vertreterin der Interessen der Landwirte.
"Konservative Parteien haben ebenso wie weiter rechts zu verortende Parteien beschlossen, im Wahlkampf landwirtschaftliche Themen zu nutzen oder zu missbrauchen, um bessere Wahlergebnisse einzufahren", sagt Contiero im Gespräch mit der DW.
Greenpeace hält das gegenwärtige System, das Landwirte in Richtung großer, stark industrialisierter Betriebe drängt, für unbrauchbar. Unbeirrt auf dieselbe Art weiterzumachen, löse keine Probleme.
Zwischen 2005 und 2020 gaben laut EU 5,3 Millionen - meist kleine - bäuerliche Betriebe auf, sagt Contiero mit Verweis auf die europäische Statistikagentur Eurostat. Die landwirtschaftlich genutzte Fläche blieb jedoch unverändert.
"Ein Drittel aller Landwirtschaftsbetriebe in Europa sind also aufgrund finanzieller Probleme einfach verschwunden", sagt Contiero. "So zu tun, als bedeute die Verteidigung des gegenwärtigen Systems die Verteidigung der Bauern, ist eine glatte Lüge."
Bauernproteste haben eine lange Geschichte
Auch wenn heute in Europa die Bauern häufiger auf die Straße gehen als vor zehn Jahren, gibt es doch eine lange Geschichte der Proteste in der Landwirtschaft, erklärt Agrarsoziologe van der Ploeg. Das 20. Jahrhundert sah mehrere Protestwellen, einschließlich der berüchtigten Proteste in den frühen Siebzigern, als Landwirte aus mehreren europäischen Staaten nach Brüssel marschierten. Bei den heftigen Protesten im Jahr 1971 wurde sogar ein Demonstrant durch Schüsse der Polizei getötet.
In der Vergangenheit waren bei diesen Protesten in der Regel kleinere Akteure federführend, stellt van der Ploeg klar. Doch heute sind es zumindest in seinem Heimatland, den Niederlanden, die großen Agrarproduzenten, die den Ton angeben. "Die Agenda wird von sehr großen Landwirtschaftsbetrieben bestimmt", betont er. "Die Interessen, die sie vertreten, sind die Interessen der Agrarindustrie."
Rukwied, der Präsident des Deutschen Bauernverbands, sieht das vermutlich anders. Am Mittwoch erklärte er das Angebot der Regierung für unzureichend und drohte eine Fortsetzung der Proteste in der kommenden Woche an.
Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.