Was Trump am Telefon besprach
26. September 2019Es ist Donnerstag, 25. Juli, 9:03 Uhr in der Früh in Washington. US-Präsident Donald Trump lässt sich mit dem neugewählten Präsidenten der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj verbinden. Ein paar Türen weiter, im rund um die Uhr besetzten "Situation Room" im Westflügel des Weißen Hauses, sitzen die Mitarbeiter der Regierung, die das Gespräch protokollieren. Das nun auf ausdrückliche "order of the president" veröffentlichte "Memorandum of Telephone Conversation", fünf Druckseiten lang, lässt etliche Fragen offen. Doch auf einige gibt es Antworten.
Wo hat Hunter Biden gearbeitet?
"The other thing, there's a lot of talk about Biden's Son." Mit dieser wie nebenbei aufgeworfenen Bemerkung leitete Trump den delikaten Teil des Gesprächs mit dem ukranischen Präsidenten ein. Beide hatten zu diesem Zeitpunkt schon einige Minuten miteinander gesprochen, und nun gebe es halt noch diese andere Sache: "Es gibt viel Gerede über Bidens Sohn."
Konkret: Hunter Biden war im Frühjahr 2014 in den Vorstand der ukrainischen Burisma Holding aufgenommen worden; nicht der erste US-Amerikaner im Management des Gaskonzerns. Sein Vater, der damalige US-Vizepräsident Joe Biden, musste damals schon öffentlich versichern, dass es keinerlei Interessenskonflikt gebe. Medienberichte sprachen davon, dass Hunter Biden bis zu 50.000 Dollar pro Monat für die eher beratende Tätigkeit bekommen haben soll. Unbestätigt.
Doch es geht gar nicht um das Geld, das Hunter Biden aus der Ukraine bekommen hat. Denn zuvor in dem Telefonat erwähnt Trump einen Staatsanwalt der Ukraine, "der sehr gut war und dann ausgeschaltet wurde, und das ist wirklich unfair", wir Trump formuliert. Bei diesem Ermittler handelt es sich um Viktor Schokin, der Korruptionsermittlungen gegen die Firma Burisma und damit möglicherweise auch gegen Hunter Biden führte. Er wurde im April 2016 von der Regierung in Kiew entlassen. Der damals genannte Grund war aber, dass der Chefankläger nicht energisch genug gegen Korruption vorgegangen sein soll.
Auf einer Veranstaltung des "Council on Foreign Relations" hatte Biden in lockerem Plauderton wissen lassen, dass er die Entlassung Schokins gefordert habe. Darauf verweist auch Trump: "Biden lief rum und protzte, dass er die Anklage gestoppt hat. Also wenn Sie da nachforschen könnten... Für mich klingt das furchtbar."
Wie haben die USA der Ukraine geholfen?
In dem Memorandum des Telefonats ist nicht ausdrücklich von Summen die Rede. Aber die Art und Weise, wie Trump seinen ukrainischen Gesprächspartner auf die US-Hilfe hinweist, lässt sich unschwer als eine Art "Wink mit dem Zaunpfahl" deuten. "Germany does almost nothing for you" - "Deutschland tut fast nichts für Sie." Zum Zeitpunkt des Telefonats hielt die US-Regierung Militärhilfe für die Ukraine im Umfang von fast 400 Millionen US-Dollar zurück. Geld, das vom Kongress bereits bewilligt worden war. Das alles dürfte auch dem politisch deutlich unerfahreneren Selenskyj nicht entgangen sein.
Wer ist der Whistleblower?
Wer die Sache durchgestochen und so ins Rollen gebracht hat, wissen wir nicht. Was wir aber wissen: Im September wandte sich den Worten der Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, zufolge der Generalinspekteur der US-Nachrichtendienste an den Kongress. Michael Atkinson teilte mit, dass die Regierung ihn daran hindere, die Beschwerde eines Whistleblowers weiterzuleiten. Beobachter in Washington und vor allem die oppositionellen Demokraten gehen davon aus, dass der in der US-Presse als "intelligence officer", also als Geheimdienstmitarbeiter, beschriebene Informant noch mehr an Hinweisen auf ein mögliches Fehlverhalten des US-Präsidenten haben könnte. Sind etwa Staatsgeheimnisse verraten worden? Somit kann es sich bei dem Informanten eigentlich nur um jemanden handeln, der die Telefonate von ebenjenem "Situation Room" aus mithörte oder aber Zugang zu den Protokollen hatte. Die Demokraten setzen darauf, dass der Whistleblower im Zuge eines Impeachment-Verfahrens aussagen würde.
Hat der Präsident persönliche und Regierungsinteressen vermischt?
Das ist nach gegenwärtigem Wissensstand eine Frage der Textauslegung. Doch schon der Umstand, dass Trump in dem Telefonat seinen Justizminister William Barr und seinen persönlichen Anwalt Rudy Giuliani in einem Atemzug erwähnt, lässt auf das spezielle Amtsverständnis des US-Präsidenten schließen. "Rudy weiß sehr gut Bescheid darüber, was los ist, und er ist ein sehr fähiger Kerl. Wenn Sie mit ihm sprechen könnten, wäre das großartig", sagt Trump zu Selenskyj. Nochmal zur Klarstellung: Giuliani hat kein Regierungsamt, sondern ist Trumps privater Verteidiger.
Hat Rudy Giuliani mit Selenskyj gesprochen?
Nach allem, was wir bisher wissen, nicht. Aber wie das "Wall Street Journal" berichtet, kam der frühere New Yorker Bürgermeister im Juni in Paris mit einem Vertreter der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft zusammen. Und später, nach dem kritischen Telefonat zwischen den beiden Präsidenten, reiste Giuliani nach Madrid, um dort einen Mann namens Andrej Yermak zu treffen. Yermak gilt als einer der wichtigsten Berater des ukrainischen Präsidenten. Als Giuliani erstmals auf die Ukraine-Thematik im US-Sender CNN angesprochen wurde, wies er noch alles weit von sich - um dann Tage später einzugestehen, er habe die Ukraine gebeten, in Sachen Biden Untersuchungen anzustellen. "Natürlich habe ich das getan." Wollte sich Giuliani vor den Präsidenten stellen?
Was wurde aus Hunter Biden?
Hunter Biden gab Anfang Juli dem Magazin "The New Yorker" zu Protokoll, sein Vater habe ihn nur ein einziges Mal auf die Ukraine-Thematik angesprochen. "Vater sagte mir: Ich hoffe, Du weißt was Du tust. Und ich antwortete, das weiß ich." Das Magazin schildert auch Alkohol- und Drogen-Probleme des Sohns des Vizepräsidenten, dessen Bruder Beau Biden 2015 an einem Hirntumor verstorben war. Dem Bericht zufolge hat Hunter Biden im Mai 2019 das Angebot des ukrainischen Gaskonzerns abgelehnt, für eine weitere Amtsperiode im Vorstand zu sitzen. Die Überschrift des Artikels im "New Yorker" lautete: "Kann Hunter Biden die Kampagne seines Vaters zerstören?" Ursprünglich erschien der Text unter dem Titel "Vater und Sohn".
Wer oder was ist eigentlich Crowdstrike?
Der Gaskonzern Burisma wird in dem Telefonat zwischen den Präsidenten Trump und Selenskyj namentlich nicht erwähnt. Dafür spricht Trump in einer eher kryptischen Formulierung von einem anderen Unternehmen: Crowdstrike. Auch an dieser Stelle wird klar, dass der US-Amerikaner Informationen von seinem Amtskollegen in der Ukraine einfordert. Trump wörtlich: "Unser Land hat eine Menge durchgemacht, und die Ukraine weiß eine Menge darüber. Ich möchte, dass Sie herausfinden, was bei dieser ganzen Situation mit der Ukraine geschehen ist, sie sagen Crowdstrike ..."
Es ist unklar, ob an dieser Stelle des Manuskripts Passagen fehlen, gestrichen oder ausgelassen wurden. Die "Süddeutsche Zeitung" ist der Spur nachgegangen und berichtet, das in Kalifornien beheimatete Cybersicherheitsunternehmen Crowdstrike "spielte eine zentrale Rolle bei den Ermittlungen, wer 2016 die Systeme des Demokratischen Wahlkampfkomitees (DNC) gehackt" habe. Trump jedenfalls mutmaßt, die Drahtzieher säßen in der Ukraine: "Ich vermute, Sie haben einen Ihrer wohlhabenden Leute ... der Server, sie sagen, die Ukraine habe ihn", wird der US-Präsident in dem Protokoll zitiert.
Welchen Zusammenhang gibt es zwischen dem Mueller-Report und der Ukraine?
Das Telefonat zwischen Trump und Selenskyj fand am 25. Juli 2019 statt. Nur einen Tag zuvor, am 24. Juli, hatte in Washington Sonderermittler Robert F. Mueller vor dem Kongress ausgesagt - jener Mueller, der alle bisherigen Vorwürfe gegen den Präsidenten untersucht hatte. Trump ging in dem Telefonat auf diesen Auftritt Muellers ein, der allgemein eher als Punktsieg für den Mann im Weißen Haus gewertet worden war. Zitat: "Ich möchte, dass Sie der Sache auf den Grund gehen. Wie Sie gestern gesehen haben, endete dieser ganze Unsinn mit einer sehr schwachen Darbietung eines Mannes namens Robert Mueller, eine inkompetente Darbietung, aber sie sagen, dass viel davon mit der Ukraine angefangen hat."
Warum haben die Demokraten gerade jetzt ihren Kurs geändert?
Oppositionsführerin Nancy Pelosi stand dem Amtsenthebungsverfahren bislang skeptisch gegenüber. Ihre Sorge: Es könne am Ende dem Amtsinhaber eher nützen als schaden. Offenbar wurde nun aber der interne Druck innerhalb der Demokraten so groß, dass die Sprecherin des Repräsentantenhauses nicht mehr anders konnte. Der Vorsitzende des Justizausschusses, Jerrold "Jerry" Nadler, hatte schon mit der Befragung von Sonderermittler Mueller versucht, ausreichend Material zusammenzutragen - vergeblich. Nachdem die Ukraine-Verwicklung bekannt wurde, sprach sich - neben vielen Senatoren - auch der Anwärter auf die Präsidentschaftskandidatur, Joe Biden, öffentlich für das Verfahren aus. Hätte Nancy Pelosi auch diese gewichtige Stimme aus den eigenen Reihen überhört, sie hätte gleich den eigenen Mann beschädigt.
Welche Stufe des Amtsenthebungsverfahrens ist nun erreicht?
Noch nie in der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika ist ein Präsident durch ein Impeachment des Amtes enthoben worden. Richard Nixon kam 1974 einem Votum zuvor und trat in der "Watergate"-Affäre zurück. Klar ist: Im Repräsentantenhaus haben die Demokraten zur Zeit die erforderliche Mehrheit, im Senat hingegen nicht. Gegenwärtig ist eine Vorstufe des komplizierten Verfahrens erreicht. Der Rechtsausschuss hat zunächst die Aufgabe, die "Articles of Impeachment", also die genauen Anklagepunkte, aufzustellen. Über diese wird dann einzeln abgestimmt. Wenn die Mitglieder im Repräsentantenhaus auch nur einem einzigen Anklagepunkt mehrheitlich die Zustimmung erteilen, ist das Amtsenthebungsverfahren förmlich in Gang gesetzt. Präsident Trump dürfte dann ein weiteres Mal von "witch hunt" sprechen, von Hexenjagd. Der Präsidentschaftswahlkampf 2020, er hat nun sein Thema.