Was war noch mal in Waterloo?
17. Juni 2015Richtig! Mit "Waterloo" gewann Abba 1974 den Grand Prix d'Eurovision - ein Song, bei dem es um eine Niederlage im Liebesspiel geht - Widerstand zwecklos. Wer ein Waterloo erlebt, kann nicht schlimmer scheitern, sagt ein Sprichwort. Dass das kleine belgische Örtchen südlich von Brüssel sich auf diese Weise verewigen konnte, hat mit Weltgeschichte zu tun. Bei Waterloo zog Napoleon im Frühsommer 1815 in seine letzte Schlacht, die zu seiner endgültigen Niederlage wurde. Damit ging eine Ära zu Ende, die das Napoleonische Zeitalter genannt wurde und als solche Einzug in die Geschichtsbücher hielt.
Fast zwei Jahrzehnte hatte der kleine Korse Napoleon Bonaparte Europa in Bewegung gehalten, am Ende waren es die 100 Stunden von Waterloo vor 200 Jahren, die zwischen dem 15. und 18. Juni die politische Ordnung in Europa besiegelten. Nach den Umwälzungen der Französischen Revolution ab 1789, die auf dem ganzen Kontinent Gehör fanden und die alte Gesellschaft - nicht nur in Frankreich - erschüttert hatten, wurde mit Napoleons Ende in Waterloo das Rad der Geschichte wieder zurückgedreht. Restauration bestimmte die Zeit, die Wiederherstellung alter Verhältnisse. Entscheidenden Anteil daran hatten die Sieger von Waterloo: der Engländer Arthur Wellesley, besser bekannt als der Erste Duke von Wellington, und der Preuße Gebhard Leberecht Fürst Blücher, genannt "Marschall Vorwärts".
Blücher bekommt "eine ordentliche Tracht Prügel"
Napoleon Bonaparte selbst war in Waterloo nicht mehr der, der er vor seinem zwischenzeitlichen Exil auf Elba war. Nicht mehr ganz jung, kränklich und ungewöhnlich zögernd, zeigte er als an die Macht zurückgekehrter Kaiser Verschleißerscheinungen. Doch das Volk war immer noch fasziniert von dem einstigen Eroberer. Und der wollte noch einmal in die Schlacht gegen die anderen europäischen Mächte ziehen, die sich mittlerweile aber verbündet hatten.
Napoleons Taktik, die alliierten Heere aus Briten und Preußen getrennt zu besiegen, war allein schon aus Gründen der zahlenmäßigen Überlegenheit des Gegners zwangsläufig zum Scheitern verurteilt. Rund 72.000 Franzosen standen doppelt so vielen britischen und preußischen Soldaten gegenüber - ganz zu schweigen von den Österreichern und Russen, die vom Osten her im Anmarsch waren, um ebenfalls gegen Frankreich zu kämpfen.
Diese multinationalen Koalitionsheere nacheinander in die Knie zu zwingen, wäre durchaus möglich gewesen, sagen Militärhistoriker. Allein: Es fehlte der letzte Schritt. Napoleons Flucht aus dem Exil auf Elba und sein Siegeszug nach Paris in nur drei Wochen waren noch ein Beleg für die meisterhafte Fähigkeit des "petit corporal", vorausschauend und schnell das Richtige zu tun. Doch diese Gabe verlässt ihn in Waterloo, wo Napoleon zum Zauderer wird.
Am 16. Juni 1815 stehen sich dort rund 160.000 Soldaten gegenüber, etwas mehr Preußen als Franzosen. In sieben Stunden gelingt es Napoleon vor allem dank seiner alten Garde, Blüchers Armee in die Flucht zu schlagen. Der Preis des Sieges: 10.000 französische Kämpfer sind tot, doppelt so viele Deutsche. "Blücher hat eine ordentliche Tracht Prügel bekommen", kommentiert Wellington die Niederlage seines Verbündeten einen Tag später.
Dabei war der Brite selbst nur knapp einer Schlappe entgangen. Nur wenige Kilometer entfernt von Ligny, wo die Preußen gegen Napoleon den Kürzeren gezogen hatten, stand er einem Drittel der Nordarmee Napoleons unter Marschall Michel Ney gegenüber. Wellington konnte seine Stellung am wichtigen Straßenknotenpunkt Quatre-Bras halten, doch nur weil Ney nicht entschlossen zupackte. Auch er - als "Tapferster der Tapferen" mehr Kämpfer als Denker - war nicht mehr der Alte.
Erst nicht verfolgt und dann auch noch entkommen lassen
Dennoch: Napoleon war es gelungen, zwischen die britische und preußische Armee vorzustoßen. Doch dann machte er zwei kriegsentscheidende Fehler, so der Militärexperte Hans-Wilhelm Möser im DW-Interview, der über die Schlacht von Waterloo geforscht und ein Buch darüber geschrieben hat. "Er hat zunächst versäumt, die geschlagenen Preußen bei Ligny verfolgen zu lassen." Das heißt, Napoleon setzte nicht nach. "Er wusste anschließend nicht, wo sie waren und was sie taten. Er musste ins Ungewisse planen und handeln."
Und dann, so Möser, "hat er am Morgen des 17. Juni Wellington bei Quatre-Bras entkommen lassen und hat damit die Möglichkeit verschenkt, seine zwei Gegner einzeln und nacheinander zu schlagen, wie es die Grundidee seines Feldzugsplanes gewesen war." Dabei war dessen Schicksal fast besiegelt. Nichts bringt das besser auf den Punkt als Wellingtons überlieferter Seufzer: "Ich wollte, es wäre Nacht oder die Preußen kämen!" ("Either night or the Prussians will come!")
Die Preußen kamen spät, aber nicht zu spät. "Marschall Vorwärts" machte seinem Namen alle Ehre. Waren Napoleons Truppen schon am späten Nachmittag auf breiter Front in der Rückwärtsbewegung, sorgte Blüchers Nachsetzen für eine wilde Flucht unter den Franzosen. Der Tag war noch nicht zu Ende, da war die Schlacht geschlagen. Von der Nordarmee blieb nur noch die Hälfte übrig. Wer nicht getötet wurde, war verletzt oder in Gefangenschaft. Napoleon hatte den Preußen nach Ligny eine zweite Chance gelassen und die Briten taktisch unterschätzt. Er wurde mit seinen einstigen Stärken geschlagen.
Fluch und Segen des Wiener Kongresses
Und noch etwas stand Napoleon im Wege: der Wiener Kongress. Der Korse wähnte die Konferenz der Staatsoberhäupter zur Neuordnung Europas schon am Ende, als er zum Sprung von Elba auf das Festland ansetzte. Man muss sich das vorstellen: In Wien tagen die Mächtigen des alten Kontinents, um nach Millionen Kriegstoten gemeinsam Napoleon Bonaparte die Stirn zu bieten, da setzt der Korse erneut zum Angriff an. Noch während alle seine Widersacher beim Habsburger Kaiser beisammen sind, schmieden sie die Allianz gegen den Emporkömmling. Napoleons Elba-Flucht kommt vor diesem Hintergrund sechs Monate zu früh. Und der Kaiser weiß das.
Denn ohne das zufällige Zusammensein der Großen und Mächtigen in Wien wäre das Bündnis der französischen Gegner nie so schnell zustande gekommen - und Europas Geschichte nach 1815 vermutlich völlig anders verlaufen. So aber markiert Waterloo das definitive Ende der französischen Vorherrschaft über Europa und wurde zum Synonym für die totale Niederlage.