Was wird aus den Flüchtlingen in Dadaab?
7. Mai 2015Keine Abschiebung, sondern ein "freiwilliges Rückführungsprogramm" - darauf haben sich UN-Flüchtlingskommissar Antonio Guterres und Kenias Präsident Uhuru Kenyatta am Mittwoch geeinigt. Damit ist die Ankündigung Kenias vom Tisch, die rund 350.000 somalischen Flüchtlinge im Lager Dadaab in das bürgerkriegsgeschüttelte Somalia abzuschieben. Einige leben schon seit 20 Jahren hier und kennen nichts anderes als das Leben im Camp.
Nach dem Anschlag der Terrorgruppe Al-Shabaab auf die Universität in Garissa im April dieses Jahres, bei dem mehr als 140 Menschen getötet wurden, hatte Kenias Vizepräsident William Ruto gefordert, die UN solle das größte Flüchtlingslager der Welt innerhalb von drei Monaten schließen. Kenia bezeichnete das Flüchtlingscamp als Brutstätte für Al-Shabaab-Terroristen.
"Kenia wollte Stärke nach Terroranschlag zeigen"
Kenias Abkehr von der Schließung des Lagers sei keine Kehrtwende, auch wenn es vielleicht vordergründig so aussähe, sagt Analyst Cedric Barnes, Leiter des "Horn von Afrika"-Projektes der International Crisis Group. Die Forderung, das Lager innerhalb von drei Monaten zu schließen, sei lediglich eine populistische Maßnahme gewesen, um Stärke nach dem Terrorangriff auf Garissa zu zeigen.
"Aber es gibt definitiv die Ansicht in der kenianischen Regierung, dass Dadaab zu groß geworden ist," so Barnes. Auch wenn die Situation im Lager alles andere als gut sei, könne man Dadaab jedoch nicht für den Al-Shabaab-Terror in Kenia verantwortlich machen.
"Von Al-Shabaab als Verräter gebrandmarkt"
Ein Programm von UN und den Regierungen Kenias und Somalia sieht vor, dass bis Ende Juni 10.000 Menschen nach Somalia übersiedeln sollen. Doch bislang sind erst knapp 2000 Menschen mithilfe dieses Projekts zurückgekehrt. "Das Problem ist, dass viele der Flüchtlinge, die noch in Dadaab sind, aus Regionen stammen, die im Moment von Al-Shabaab kontrolliert werden", sagt Tim Glawion, Somalia-Experte am GIGA-Institut in Hamburg. Zurzeit forscht er an der Universität in Hargeisa in Somaliland. "Es ist für viele unmöglich, dorthin zurückzukehren, weil sie höchstwahrscheinlich starker Repression ausgesetzt wären. Sie wären als Verräter gebrandmarkt, weil sie ins Ausland geflüchtet waren."
Zwar gebe es durchaus Regionen in Somalia, die als relativ sicher gelten könnten: Etwa Somaliland im Norden, das sich als unabhängiger Staat versteht, international aber nicht anerkannt ist, oder Puntland, sagt Glawion. Aber es sei nur sinnvoll für Somalier, dorthin zurückzukehren, wenn sie sich in diesen Regionen auch zuhause fühlten.
Sozialer Dialog und ökonomische Perspektiven nötig
Die Bevölkerung, die in sicheren Gegenden Somalias lebt, sollte mit den Flüchtlingen in Dadaab zu einem Dialog zusammengebracht werden, schlägt Glawion vor. Wo werden die Flüchtlinge empfangen, wo ist es sicher, wo könnten sie leben? "Im Moment sind die Leute, um die es eigentlich geht - nämlich die Flüchtlinge sowie die Leute, die noch in Somalia wohnen - leider kaum Teil der Debatte."
Realistisch betrachtet würde es Jahre dauern, um die Flüchtlinge sinnvoll umzusiedeln, schätzt Barnes von der International Crisis Group. UN-Flüchtlingskommissar Guterres spricht nun mit der somalischen Regierung, um auszuloten, wie eine mögliche Rückkehr aussehen könnte. Glawion erwartet, dass es jetzt verstärkt um die sozialen, politischen und ökonomischen Bedingungen im Land geht - und dass von der bisherigen Debatte über militärische Lösungen gegen Al-Shabaab abgerückt wird.
Kenia hat nach dem Anschlag auf Garissa Regionen im südlichen Somalia bombardiert, wo Al-Shabaab-Kämpfer vermutet wurden. "Natürlich werden bei solchen Angriffen immer auch Zivilisten getötet. Und das ist genau das Gegenteil von dem, was eine Wiedereingliederung von Flüchtlingen braucht. Es schafft Unsicherheit in der Zivilbevölkerung im Süden Somalias, es schafft Aggression und Frustration mit der kenianischen Regierung - das ist überhaupt keine Situation, in der Flüchtlinge zurückkehren können," so Glawion.