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Gesellschaft

Merkel verzichtet auf Gemälde

9. April 2019

Für Nolde-Bilder ist kein Platz mehr im Kanzleramt. Auch Schmidt-Rottluff wird dort nicht hängen. Der Nolde-Experte Bernhard Fulda über den Antisemitismus des Künstlers Emil Nolde und die Rolle der Kunst in der Politik.

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Bundeskanzlerin Merkel besucht Nolde-Stiftung
Bild: picture-alliance/ dpa

Nach der Rückgabe von Gemälden des Malers Emil Nolde aus den Arbeitsräumen von Kanzlerin Angela Merkel stehen nun auch die als Ersatz genannten Arbeiten des Expressionisten Karl Schmidt-Rottluff in Frage. So wurde Agenturenberichten zufolge hinter den Kulissen über andere mögliche Leihgaben der Stiftung Preußischer Kulturbesitz verhandelt. Aber die Bundeskanzlerin hat sich dafür entschieden, die Wände hinter ihrem Schreibtisch leer zu lassen - und derzeit kein Gemälde aufzuhängen. Nolde (1867-1956) wurde von den Nazis als "entarteter Künstler" diffamiert. Doch zugleich war der Maler NS-Parteimitglied und nach Erkenntnis von Kunsthistorikern ein Antisemit, Rassist und überzeugter Nationalsozialist. Dies will die Ausstellung "Emil Nolde - Eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus" zeigen, die vom 12. April an in der Berliner Nationalgalerie zu sehen ist, Ko-Kurator ist der Historiker und Nolde-Forscher Bernhard Fulda.

Deutsche Welle: Herr Fulda, Emil Noldes Bilder mussten aus Angela Merkels Arbeitszimmer weichen. Hätten Sie als Historiker mehr Kunst-Sachverstand im Kanzleramt erwartet? Oder mehr historisches Bewusstsein?

Das Kanzleramt und Angela Merkel ist über die historische Forschung zu Emil Nolde seit über fünf Jahren auf dem Laufenden. Die Frankfurter Städel-Ausstellung 2014, in der meine Frau und ich schon erste Arbeitsergebnisse des Forschungsprojektes (im Auftrag der Nolde-Stiftung forschte Fulda mit Aya Soika zum Verhältnis von Nolde zum NS-Regime, Anm. d. Red.) vorgestellt hatten, was damals ja auch schon für einiges Aufsehen gesorgt hat - das war bekannt.

Im Zuge der Anfrage, ob wir dieses eine Bild für unsere Ausstellung bekommen können, haben wir natürlich den Ausstellungskatalog, also die noch unveröffentlichte Forschung an das Kanzleramt kommuniziert. Und uns wurde quasi eine Leihgabe der Leihgabe, die bei der Bundeskanzlerin hängt, gewährt. Die eigentliche Frage ist, wie man diese Rückgabe jetzt erklärt. Und was ist Frau Merkels Position bei ihrem Umgang mit Kunst?

Kunst kann ein unglaublich effektives Kommunikationsmittel sein, um ausländischen Gästen zu sagen: was wir Deutsche, der deutsche Staat, seine Entscheidungsträger tun, das ist von der deutschen Geschichte geprägt, von ihren positiven wie auch negativen Aspekten.

Die Kommunikation über Noldes Bild hätte besser laufen können?

Wir freuen uns, dass wir das Bild bekommen, weil es sinnbildlich für eine langfristige, kulturelle, kunsthistorische und auch politische Geschichte steht. Warum auf einmal alles sehr schnell gehen musste, kann ich nicht abschätzen. Auch hätte ich gedacht, nachdem wir die Leihanfrage Anfang Februar gestellt haben, dass im Kanzleramt darüber nachgedacht würde, mit welchen Bildern man die entstehende Lücke füllen kann.

Bernhard Fulda, Emil-Nolde-Forscher
Der Historiker und Nolde-Forscher Bernhard FuldaBild: privat

Sie haben jahrelang zu Emil Nolde geforscht. Was macht den Künstler heute so anrüchig?

Es sind zwei Hauptsachen. Zum einen hat diese Heldengeschichte, die der Künstler selber in die Welt gesetzt hat und die dann von Werner Haftmann (deutscher Kunsthistoriker, Anm. d. Red.) und besonders Siegfried Lenz (deutscher Schriftsteller, Autor der "Deutschstunde", Anm. d. Red.) literarisch überformt wurde, eine gewisse Fallhöhe zu dem historischen Nolde. Eine extremere Umdeutung und Uminterpretation ist kaum vorstellbar.

Schon vor 1933 hat Nolde an der eigenen Legende gestrickt - der des ewig verkannten Künstlers. Dann hat er sie zur Legende des von Juden verfolgten, deutschen Pioniers der neueren Malerei umformuliert. Und nach 1945 wird er auf einmal nicht mehr von den Juden verfolgt, sondern von den Nationalsozialisten. Das ist schon eine ganz erstaunliche Umdeutung der eigenen Lebensgeschichte – die aber mit Begeisterung in der deutschen Gesellschaft aufgenommen wurde. Erstaunlich, wie schnell sich doch so eine Transformation vom Sünder zum Heiligen vollziehen kann.

Dazu kommt die Story der heimlich geschaffenen "ungemalten Bilder". Sie zeichnen das Bild von dem widerständigen Künstler, der zwar ideologisch dem Regime zugetan war, aber doch wenigstens künstlerisch widerständig agierte. Das ist eine fast schon genialische, aber eben falsche Erzählung. Diesen Mythos dekonstruieren wir jetzt in unserer Ausstellung.

Damit fallen zwei ganz wichtige Erzählungen in sich zusammen und eröffnen ein neues Panorama - über den Kunstbetrieb im Nationalsozialismus und danach, über Auratisierungsprosa, über politische Interessensgruppen, die sagen, das gehört ins Museum, das gehört nicht ins Museum, das gehört ins Kanzleramt oder auch nicht. Und man versteht auf einmal, dass Kunst immer auch Teil eines weiteren gesellschaftlichen und kommunikativen Prozesses ist und deshalb relevant. Nolde gibt uns die Möglichkeit, über das Verhältnis von deutscher Identität, Kunst und sich ändernden politischen Machtverhältnissen, aber auch medialen Verhältnissen, nachzudenken.

Karl Schmidt-Rottluff
Karl Schmidt-RottluffBild: picture-alliance / dpa

Möglicherweise füllen jetzt zwei Gemälde von Schmidt-Rottluff die Lücke im Kanzleramt. Ein Künstler, der etwa der gleichen Zeit entstammt und ebenfalls Antisemit war. Eine gute Wahl für das Büro von Kanzlerin Merkel?

Schmidt-Rottluff wurde in den Medien zitiert mit antisemitischen Aussagen während des Ersten Weltkriegs, zu einem Zeitpunkt, als die antisemitische Kriegspropaganda in Deutschland im Kampf gegen das angeblich materialistische England einen Höhepunkt erreicht hatte. Der Künstler greift da Phrasen auf, die gängig sind, die wahrscheinlich die überwiegende Mehrheit der deutschen Bevölkerung in der einen oder anderen Weise auch gebraucht hat.

Dass Schmidt-Rottluff sich in den 1930ern und, frühen 1940ern Jahren nirgendwo affirmativ zum Regime oder antisemitisch gegenüber seinen Mitmenschen äußert, scheint überhaupt nicht relevant zu sein. Aber dass eine antisemitische Äußerung ihm lebenslang das Label Antisemit anheftet, das kann nicht richtig sein. Vor keinem Gericht hätte das Bestand.

Doch in der aufgeheizten Debatte geht es um mehr als darum, ob ein Antisemit im Kanzleramt hängen kann. Wissen Sie denn, wie oft die Kanzlerin nach Bayreuth gefahren ist, um die wunderbare Musik des Antisemiten Richard Wagner zu hören? Damit können wir ja schließlich auch umgehen.

Noldes und auch die Werke von Schmidt-Rottluff gehören zum kunsthistorischen Kanon. Aber sind sie nicht auch eins – unschuldig?

Das hängt davon ab, in welchen erzählerischen Rahmen wir sie setzen. In unserem Katalog können Sie nachlesen, wie Nolde 1933 versucht hat, sich zum Staatskünstler, als repräsentativer Künstler dieser angeblich jungen deutschen Erneuerungsbewegung zu qualifizieren: Er setzt sich hin und entwickelt einen Entjudungsplan, eine territoriale Lösung der Judenfrage durch Zuweisung eines fruchtbaren Landes. Hauptsache irgendwo weg, damit die aus Deutschland rauskommen. Und den will er Adolf Hitler unterbreiten.

Brecher Emil Nolde Gemälde Öl auf Leinwand
Das Original-Gemälde "Brecher" von Emil Nolde aus dem Jahr 1936Bild: Nolde Stiftung Seebüll/J. P. Anders

Das macht Nolde dann zwar nicht, weil ihm geraten wird, dass das zu sehr nach Konjunktur-Rittertum aussieht. Aber innerhalb der deutschen Kunstszene der damaligen Zeit, die durchaus viele opportunistische Aktivitäten verzeichnet, ist das doch eine bemerkenswerte Aktion, um es mal vorsichtig zu formulieren. Und das ist noch nicht das Ende der Fahnenstange: Wenn Sie diese Erzählung um ein Bild von 1933 herumstricken, dann ist sie zwar unsichtbar, aber Sie denken beim Betrachten des Bildes mit. Dann sieht ein vorher harmloses Bild nicht mehr so harmlos aus. Freilich gibt es kein einziges Bild Noldes von 1933, auf das Sie schauen und dann denken müssten: Hier arbeitet Nolde visuell an der Lösung der Judenfrage.

Welche Erwartungen muss man an Kunst stellen, die dort hängt, wo der deutsche Staat repräsentiert?

Das ist eine sehr sehr gute Frage! Jedenfalls sollten dabei viele Meinungen gehört werden, weil unterschiedliche Interessen- und Bevölkerungsgruppen ganz verschiedene Erwartungen an unsere demokratisch gewählten und legitimierten Vertreter haben. Diese Frage greift ganz essenziell in die DNA einer Massendemokratie wie der unseren ein: Wird solche Kunst durch Experten, also institutionell qualifiziertes Kennertum ausgewählt und vorgeschlagen? Oder sollte es ein kollaboratives Element geben - wie etwa in London, wo ein Sockel der vielen Statuen leer bleibt und mit wechselnder Kunst bespielt wird?

Es gibt viele Möglichkeiten. Man könnte ja auch sagen: Ins Büro der Bundeskanzlerin gehören weibliche Künstler, denen es noch immer an Wertschätzung fehlt. Das wäre mal ein Statement, mit dem man politisch symbolisch kommunizieren könnte. Und es würde der Welt noch einmal klar machen, warum Kunst relevant ist.

Der deutsche Historiker Bernhard Fulda lehrt am britischen Sidney Sussex College der Universität Cambridge. In Zusammenarbeit mit der Nolde-Stiftung Seebüll, die dafür ihre Archive öffnete, forschte Fulda zur Geschichte Emil Noldes. 

Das Gespräch führte Stefan Dege.