Weg frei für Wahlen in Mali?
20. Juni 2013An Azawad scheiden sich die Geister. Als Azawad bezeichnen Angehörige der Tuareg-Volksgruppe den Norden Malis, und Azawad soll der unabhängige Staat heißen, für den Tuareg-Rebellen seit Jahren kämpfen. Für die malische Regierung war der Name deshalb bislang ein Kampfbegriff von Separatisten.
Dass der Begriff Azawad nun im Abkommen zwischen Tuareg-Rebellen und der malischen Regierung auftaucht, kann daher als Erfolg für die "Nationale Bewegung für die Befreiung des Azawad" (MNLA) und ihre Verbündeten gewertet werden. In dem Dokument, das beide Parteien am Dienstag unterschrieben hatten, ist die Rede von "den Regionen Nord-Malis, die von einigen als Azawad bezeichnet werden".
Armee auch in Azawad
Für den malischen Innenminister Moussa Sinko Coulibaly ist jedoch entscheidend, dass die MNLA sich nun bereit erklärt, in eben jenen Regionen die Stationierung von Soldaten der malischen Armee zuzulassen. Nach der Vertragsunterzeichnung in Ouagadougou, der Hauptstadt des Nachbarlandes Burkina Faso, erklärte Coulibaly im Gespräch mit der DW: Der Vertrag sei von großer Bedeutung für die Stabilisierung, die Sicherheit und den Frieden im Norden Malis. "Das Abkommen ebnet den Weg für die Organisation der Wahlen, die wir im Juli abhalten wollen," so Coulibaly.
Die deutsche Bundesregierung begrüßte die Einigung. "Dies ist ein entscheidender Schritt im innermalischen Friedensprozess", erklärte die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Cornelia Pieper, am Mittwoch (19.06.2013). Gleichwohl gab sie zu bedenken, dass vor Mali "noch viel Arbeit" liege, um zu einer "gleichmäßigen Entwicklung des gesamten Landes zu kommen und eine nachhaltige Versöhnung zu erreichen."
Teil der Herausforderung sind die Wahlen am 28. Juli 2013: Nach anderthalb Jahren soll endlich wieder eine demokratisch gewählte Regierung in Mali an die Macht kommen. Auf Druck internationaler Geberländer - besonders durch Frankreich - hatte Mali diesen Termin angekündigt. Der Friedensvertrag ermöglicht Bamako nun, mit Regierungstruppen die Wahl auch in Kidal zu beaufsichtigen - das hatte die MNLA bislang abgelehnt. Die strategisch bedeutende Stadt ist eine Hochburg der MNLA.
Waffen weiter in Rebellenhand
Nach einem Putsch im vergangenen Jahr sowie der anschließenden Eroberung Nord-Malis - zuerst durch Tuareg und dann durch Islamisten - strebt Bamako nach territorialer Einheit; es sehnt sich nach einem Staatsgebiet, das wirklich von der Hauptstadt aus kontrolliert wird.
Auch nach der Rückeroberung weiter Teile Nord-Malis mit Hilfe von Truppen Frankreichs und afrikanischer Staaten kontrollieren MNLA-Rebellen immer noch einzelne Städte und Dörfer, darunter Kidal. Die MNLA und ihre Verbündeten verpflichten sich nun, keine weiteren Gebiete zu erobern. Im Gegenzug erlaubt der Vertrag den Kämpfern der MNLA, ihre Waffen vorerst zu behalten.
Im Gespräch mit der DW zeigt sich der Mali-Experte Georg Klute, Professor für Ethnologie an der Universität Bayreuth, jedoch skeptisch, dass diese Vereinbarung auch zu langfristigem Frieden führt. Sinnvoller sei ein breit angelegter Dialog über die Zukunft des Landes. "Erst auf Ebene der Gemeinden, dann auf Ebene der Regionen und dann auf nationaler Ebene", so Klute. Dabei müsse man verschiedene Fragestellungen diskutieren: "Welches System geben wir uns? Welche moralische Grundlage geben wir uns? Müssen wir einen laizistischen Staat haben? Wie soll ein zukünftiges Mali aussehen?" Dieser Dialog könne durch internationale Hilfe mit organisiert werden. Anschließend solle man den Maliern Gelegenheit geben, in Referenden über eine Verfassung zu entscheiden. Das könne dann auch mehr Autonomie für einzelne Gebiete bedeuten.
Frieden, so Gott will
Für den Verhandlungsführer der Tuareg, Mahamadou Djeri Maïga, ermöglicht der Vertrag jedoch erst einmal eine Rückkehr zum friedlichen Zusammenleben, das die Geschichte Malis präge. "Wir werden, so Gott will, unser Möglichstes tun, um dieses Abkommen einzuhalten", sagte Maïga nach der Vertragsunterzeichnung. "Mit Worten und Taten werden wir darauf hinwirken, das Kapitel des Hasses zu schließen und ein neues Kapitel aufzuschlagen, eines von Liebe und Zusammenhalt zwischen den verschiedenen Volksgruppen."
So werde man der Welt zeigen, dass man auch zum Frieden in der Lage sei. Auf insgesamt zwölf Seiten versichern sich die Tuareg und die malische Regierung, gemeinsam für diesen dauerhaften Frieden arbeiten zu wollen.
Druck aus dem Süden
Seit dem 6. Juni hatten die beiden Parteien in Ouagadougou verhandelt. Zeitgleich übte die malische Armee militärischen Druck auf die Tuareg-Gruppen aus. Sie marschierte weiter nach Norden in Richtung Kidal vor. Nach Kämpfen zwischen Regierungstruppen und Rebellen der MNLA konnte die Armee dabei das Dorf Anéfis einnehmen - einen strategisch wichtigen Ort einhundert Kilometer südwestlich von Kidal. Zum befürchteten Kampf um Kidal, der zahlreiche Zivilisten in Gefahr gebracht hätte, wird es nun voraussichtlich nicht kommen.
Damit ist zunächst einmal die schwierigste Hürde auf dem Weg zu freien Wahlen im gesamten Land aus dem Weg geräumt. Es bleiben jedoch weitere Hindernisse. Denn angesichts von Hunderttausenden Flüchtlingen im Süden Malis sowie in den Nachbarländern erscheint weiter fraglich, ob sich schon bis zum 28. Juli 2013 Wahlen organisieren lassen.
Geld und Soldaten aus dem Ausland
Alleine steht die Regierung in Bamako bei der Vorbereitung nicht da: Ab dem 1. Juli 2013 soll eine UN-Mission mit 12.600 Soldaten den Frieden in Mali sichern. Bereits seit April trainieren im Rahmen einer EU-Mission europäische Ausbilder Angehörige der malischen Armee. Deutschland beteiligt sich mit bis zu 180 Soldaten an dieser Mission. Zudem hat die internationale Gemeinschaft Mali Hilfszahlungen von mehr als drei Milliarden Euro in diesem und im nächsten Jahr versprochen.
Auf diese Hilfe sei man auch angewiesen, so der malische Innenminister Moussa Sinko Coulibaly gegenüber der DW. "Wir werden weiterhin um Hilfe bitten, bei der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS, der Afrikanischen Union und der internationalen Gemeinschaft insgesamt", kündigt Coulibaly an. "Das wird es uns ermöglichen, diese Vereinbarung umzusetzen."
Autonomie für Azawad?
Allerdings: Der Friedensvertrag gilt vorerst nur bis zu den Wahlen. Erst wenn ein neuer Präsident eingesetzt ist, werde man über einen endgültigen Kompromiss verhandeln, heißt es im Dokument. Die Gespräche zwischen der neuen Regierung und den Vertretern der Tuareg-Rebellen sollen 60 Tage nach den Wahlen beginnen. Dabei werde man insbesondere klären, wie viel Autonomie Azawad erhalten wird - oder genauer gesagt, "die Regionen Nord-Malis, die von einigen als Azawad bezeichnet werden", wie es im Vertragstext heißt.