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Farben im Film

Bettina Baumann
13. Dezember 2017

"Ultra Violet" wurde zur Trendfarbe 2018 ausgerufen. Im Film steht dagegen häufig eine ganz andere Farbe im Mittelpunkt: Rot. Warum - das erklärt Susanne Marschall, Medienwissenschaftlerin an der Uni Tübingen.

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Filmszene, Die Farbe Lila
Bild: picture-alliance

DW: Frau Professor Marschall, gerade erst hat das amerikanische Farbinstitut Pantone "Ultra Violet", ein sattes, auberginefarbenes Lila, zur Farbe des Jahres 2018 gekürt. Wofür steht Violett und was löst diese Farbe beim Betrachter aus? 

Violettes Stoffstück, das in der Farbe "Ultra Violet" gehalten ist.
So sieht es aus, das "Ultra Violet" von PantoneBild: picture-alliance

Susanne Marschall: Generell ist es so, dass es keine hundertprozentige Sicherheit darüber gibt, was ein Farbton bei einem Individuum auslöst. Das ist empirisch sehr schwer herauszubekommen. Aber was man beschreiben kann, ist, welche kulturhistorische Entwicklung eine Farbe genommen hat. Violett ist ganz stark auch im religiösen Bereich, im christlichen Bereich bei bestimmten Kleidungsstücken präsent. Violett ist eine Farbe, die immer auch mit Spiritualität in Verbindung gebracht wird - nicht von ungefähr hat auch die Hippiebewegung gerne Lila gehabt. Außerdem ist Violett sicher auch keine konservative Farbe, das zieht man nicht an, wenn man nicht auffallen will. Violett ist auch keine wirklich warme Farbe. Sie ist eher sphärisch und kalt.

Bei Farben denkt man wahrscheinlich zuerst an Mode, die Farben bewusst einsetzt und mit ihnen spielt. Aber auch in Filmen kommen sie gezielt zum Einsatz. Welche Rolle spielen Farben dort?

Mit einer Farbdramaturgie und einer farblich durchdachten Bildkomposition erzeugt man die Atmosphäre des Films. Man schafft also eine emotionale Basis, auf der sich die Geschichte und das Publikum begegnen können. Man kann einen Film warm oder kalt machen, man kann durch die Farbigkeit historische Kontexte wachrufen, Erinnerungen an alte Zeiten. So wissen wir zum Beispiel alle, dass es zu verschiedenen Zeiten verschiedene Tapetenfarben gab. Das heißt, daran, wie jemand ein Set ausstattet, erkennt man sofort, wo man ist. Aber auch Gattungs- oder Genrekonventionen spielen eine Rolle: Ein Horrorfilm hat sicher eine andere Farbensprache als ein Melodram oder Musical.

Haben Sie ein Beispiel, einen Film, bei dem die Farbdramaturgie eine ganz besondere ist?

Ein ganz berühmtes Beispiel des Farbkinos ist "Vertigo" von Hitchcock. In dem Film wurde mit rot und grün, also mit Komplementärkontrasten, gearbeitet. Außerdem mit ganz knalligen graphischen Farben, zum Beispiel schwarzen Silhouetten vor grünem oder rotem Hintergrund, wenn es um Alptraumsequenzen ging. Ganz berühmt ist das Filmende, wenn sich Polizist Scottie, der sich eigentlich in ein Phantasma verliebt hat, diese Figur wieder herstellt, indem er ihr dieses Kostüm anzieht und ihr die Haare färbt und sie dann aus einem grünen Nebel wieder auftaucht. Dieses Zurückkehren des Phantasmas hat Hitchcock unheimlich raffiniert gemacht. Grün wird in solchen Zusammenhängen sehr oft für etwas Irreales gebraucht, häufig in Verbindung mit einer Nebel-Situation wie bei Hitchcock.

Filmstill aus "Vertigo" von Alfred Hitchcock: Ein Mann geht an einer Wand entland und wird grün bestrahlt.
Alfred Hitchcocks "Vertigo" (1958) besticht durch eine außergewöhnliche Farbdramaturgie, die mit Grün und Rot spieltBild: picture-alliance / Mary Evans Picture Library

Auffallend ist, dass besonders die Farbe Rot häufig gezielt in Filmen eingesetzt wird - sei es eben bei "Vertigo" oder auch in Tom Tykwers "Lola rennt", der der Lola feuerrote Haare verpasste oder in Schwarz-Weiß-Filmen, in denen Rot als einzige Farbe sichtbar gemacht wird. Nimmt Rot nochmal eine Art Sonderstellung unter den Farben ein?

Neben Schwarz und Weiß ist Rot die wichtigste Farbe in fast allen Sprachen, also auch wenn es um Farbnamen geht. Das ist eine Farbe, mit der wir auf der symbolischen Ebene extrem viele Dinge verbinden, die auch mit Gefahr zu tun haben. Unser Blut ist rot - wenn wir das zu sehen bekommen, ist es meistens kein gutes Zeichen. Gleichzeitig ist es die Farbe, mit der die ersten Höhlenmalereien entstanden, und diese Farbe prägt eben auch in sehr vielen Filmen die Farbdramaturgie. Eine Figur, die von besonderer Bedeutung ist, trägt dann eben Rot.

Porträt von Susanne Marschall, Medienwissenschaftlerin Universität Tübingen
Susanne Marschall, Professorin für Medienwissenschaft an der Universität TübingenBild: Universität Tübingen/Institut für Medienwissenschaft/Foto: Martin Frech

Warum? Allein aufgrund dessen, weil die Farbe einem ins Auge sticht?

Ja, das ist eine Farbe, die man sofort sieht, an die man sich auch sehr gut erinnern kann. Es ist auch eine Farbe, die wir für attraktiv halten. Auch über die Kunstgeschichte und die Bildgeschichte sind wir an die Fokussierung auf die Farbe Rot in einer zentrierten Bildkomposition mit Sicherheit schon gewöhnt. Das gehört zu den Standards der Bildgestaltung, dass leuchtende Farben, allen voran Rot, als Aufmerksamkeitssignal gesetzt werden.

Aber mit Rot verbinden wir auch farbhistorisch viele existentielle Erfahrungen: Rot kann über die Verletzung, die Wunde, den Schmerz als negativ wahrgenommen werden. Es kann aber auch über ein reifes Obst als Nahrungsspender süß, wichtig, nahrhaft, lebensspendend erinnert werden.

Können Sie sagen, von welchen Faktoren es letztlich abhängt, wie jemand eine Farbe für sich interpretiert?

Es gibt verschiedene Faktoren. Es gibt einmal die Frage, wie ist unsere Wahrnehmung beschaffen? Jeder von uns sieht Farbe ein bisschen anders. In welcher Kultur sind wir aufgewachsen und geboren? Mit welchen Konventionen im Bereich der Farbgestaltung sind wir vertraut? Aber auch die Kreativität oder die Neigung zu künstlerischen Dingen spielt eine Rolle. Menschen, die kreativ unterwegs sind, sind meistens auch in Bezug auf Farben aufmerksamer. Aber es ist nie eindimensional - die ganzen Kontexte spielen eine große Rolle.

Wolken am blauen Himmel.
Eine Farbe mit Universalcharakter? Blau gilt als eine der beliebtesten Farben weltweit.Bild: picture-alliance/blickwinkel/P. Frischknecht

Was sich aber sagen lässt: Nirgendwo ist beispielsweise Rot eine gleichgültige Farbe. In der Farbgeschichte bzw. den Farbkonventionen unterschiedlicher Länder, wird Rot allerdings unterschiedlich eingesetzt. Blau wiederum ist zum Beispiel eine der weltweit beliebtesten Farben. Das hat wahrscheinlich auch etwas mit der Erfahrung des blauen Himmels zu tun. Gleichzeitig ist blau aber auch sehr abstrakt, transzendent. Wie wir eine Farbe wahrnehmen, ist eine Mischung aus dem, was wir psychophysisch mitbringen - als unsere Fähigkeit zur Farbwahrnehmung oder Farbempfindung - und unserem erlernten kulturellen Wissen und den vielen Kontexten, in denen wir stehen.

Das Gespräch führte Bettina Baumann.

Susanne Marschall ist Professorin für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf den Themenbereichen Audiovisuelle Medien, Film und Fernsehen. 2005 habilitierte sie sich mit der Monografie "Farbe im Kino", die bereits in zweiter Auflage erschienen ist. Darin beschreibt sie die Dramaturgie der Farbe im Film, angefangen bei den frühen Farbfilmen bis hin zu neueren Arbeiten wie "Hero" oder "Memento". Das Buch gilt als wichtige Farbenlehre der Filmkunst.