Neue Unruhen
11. September 2012Im Tana-River-Bezirk im Osten Kenias ist es in den vergangenen Wochen immer wieder zu ethnischen Spannungen gekommen - oft mit tödlichem Ausgang. Diese Woche eskalierte die Gewalt erneut. Am Dienstag (11.09.2012) setzten bewaffnete Angreifer in mindestens vier Dörfern Häuser in Brand. Nach Angaben der Polizei kamen dabei mindestens vier Menschen ums Leben.
Vermutlich war es ein Racheakt der Orma-Volksgruppe an Pokomo-Bauern. Angehörige der Pokomo sollen für einen Überfall auf Orma verantwortlich sein, bei dem am Montag 38 Menschen starben. Seit August gab es eine ganze Serie von solchen Angriffen zwischen den Orma und Pokomo , bei denen insgesamt über 100 Menschen getötet wurden.
Abbas Gullet vom Roten Kreuz ist erschüttert. Ein solches Ausmaß der Gewalt hat er in seiner jahrelangen Arbeit noch nie erlebt. "Ich bin erstaunt über den großen Hass zwischen Menschen, die über Jahrhunderte als Nachbarn gelebt haben", sagte Gullet im Gespräch mit der DW. "Zwar gab es hier auch früher Differenzen, aber nicht in diesem Ausmaß."
Polarisierung als Wahlkampfstrategie
Zwar gab es schon immer Rivalitäten zwischen Farmern und Viehhaltern in der Region, bei denen es um Land- und Wassernutzungsrechte geht. Doch die Eskalation der vergangenen Wochen lässt sich nicht allein mit der Landnutzungsfrage erklären, meint Caleb Khisa von der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Kenia. "Erstens haben die Pokomo ihre Ernte bereits eingeholt.“ Es sei also unwahrscheinlich, dass ein derartiger Gewaltausbruch ausgelöst wurde, weil Orma-Viehhalter ihre Herden zum Grasen auf abgeerntete Felder der Pokomo getrieben haben. "Zweitens gibt es seit Längerem schon Verhandlungen zwischen Pokomo und Orma. So waren die Orma auch bereit, für den Zugang zu Weideland zu zahlen."
Aus Sicht von Caleb Khisa tragen vor allem lokale Politiker die Verantwortung für die Eskalation. "Politiker sind entscheidend daran beteiligt, ob Chaos geschürt oder Stabilität gestärkt wird", so Khisa. "Wenn ein Lokalpolitiker vom Tana Delta und einer aus dem nördlich gelegenen Ijara sich gegenseitig beschuldigen, die Hände im Spiel zu haben, braucht man nur eins und eins zusammenzuzählen, um zu erkennen, dass sie Einfluss ausüben."
Der Programmdirektor der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kenia ist mit seiner Meinung nicht alleine. In einem DW-Interview hatte vor wenigen Wochen bereits Gideon Ochanda von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Nairobi den Verdacht geäußert, dass lokale Politiker die Bevölkerung zur Gewalt anstiften und so versuchen, sich für die Wahlen im kommenden März Vorteile zu verschaffen.
Kenias Regierung muss handeln
Auch die Nähe zur somalischen Grenze könnte von Bedeutung sein. Kenia hat sich als wichtiger Bündnispartner der USA im Kampf gegen islamistischen Terror am Horn von Afrika hervorgetan. Seit die kenianische Armee gegen Al-Shabaab-Milizen in Somalia vorgeht, hat es in Kenia wiederholt Entführungen und Anschläge gegeben, die den islamistischen Al-Shabaab zugeschrieben werden. Nun würden diese auch den schwelenden Konflikt im Tana-River-Bezirk nutzen, um neue Unruhen in Kenia zu schüren, vermutet Caleb Khisa von der FES. Gerüchten zufolge haben die muslimischen Orma bei ihrem Angriff gegen - teils christliche - Pokomo Waffen aus Somalia benutzt.
Die Bevölkerung beklagt das Versagen der Regierung in Nairobi. Eine nächtliche Ausgangssperre, die Präsident Mwai Kibaki am Montag verkündet hatte, habe lediglich dazu geführt, dass Übergriffe nun am Tag stattfinden, heißt es in einem kenianischen Internetforum. Dort fragt jemand: "Brauchen wir eine landesweite friedliche Demonstration, um die Regierung zum Eingreifen zu bewegen?" Inzwischen haben sich zwei Parlamentsabgeordnete dafür ausgesprochen, die kenianische Armee, die eigentlich für die Außenverteidigung zuständig ist, zur Lösung des Konflikts einzusetzen. Wie die kenianische Zeitung "Daily Nation" meldet, haben die beiden einen Antrag gestellt, eine Ausnahmeklausel in der Verfassung für den Einsatz im Inneren geltend zu machen.
Viele Kenianer und auch externe Beobachter sind nun besorgt, dass die bevorstehenden Wahlen die Stimmung weiter anheizen könnten. Eine Ausweitung des ostkenianischen Konflikts könnte verheerende Folgen haben. Auch Abbas Gullet vom Roten Kreuz ist beunruhigt. "Meine Sorge ist, dass noch viele Menschen sterben werden, auch Frauen und Kinder, wenn nicht schnellstmöglich eine Lösung gefunden wird."