Kurt Weill, das musikalische Chamäleon
15. März 2015Ein früher Biograf schrieb "Er wechselte die Stile öfter als die Länder" und meinte das keinesfalls als Kompliment. Im Nachruf zu Kurt Weill nach seinem Tod 1950 bezeichnete ihn der Philosoph und Musikologe Theodor W. Adorno sogar nicht als "Komponisten" sondern als "Musikregisseur". Bei aller Anerkennung für Weills Verdienste während seiner zweiten Karriere als Musical-Komponist am Broadway, sprach Adorno ihm dadurch jede Authentizität der musikalischen Schöpfung ab, behauptete, Weill habe seine Wurzeln verleugnet, seine autonome Kreativität dem Publikumsgeschmack geopfert und sich an den amerikanischen Theaterbetrieb verkauft.
Über Kurt Weill wurde nach dem Zweiten Weltkrieg heftig gestritten. Seitdem es das Kurt Weill-Fest in Dessau gibt, wird er gefeiert. Seit nunmehr 23 Jahren wird dort beim einzigen Weill-Festival weltweit auch der "amerikanischen Weill" enträtselt. In diesem Jahr fand das Fest an 20 Spielstätten in Dessau, aber auch in Wittenberg, Magdeburg und Halle statt.
Kantorssohn und Musicalkomponist
Er gehört zu den Künstlern, die weltweit einen größeren Status haben als im Land ihrer Geburt. 1900 als Sohn eines Kantors an einer Dessauer Synagoge geboren, lernte Kurt Weill sein musikalisches Handwerk in Berlin beim Komponisten Ferruccio Busoni. In den 20er-Jahren schuf Weill zusammen mit dem Dichter und Schriftsteller Bertold Brecht Meisterwerke wie "Die Dreigroschenoper" und "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny". 1933 ging der Jude ins Exil nach Paris, zog dann später mit seiner Frau, der Sängerin Lotte Lenya, nach New York, wurde amerikanischer Staatsbürger, weigerte sich - obwohl er nur gebrochenes Englisch sprach - mit seiner Frau in der "Sprache der Täter" zu unterhalten. Der Bruch zur Heimat ging mit einem stilistischen Wandel einher - so anders klangen Weills Musicals wie "Street Scene", "Lady in the Dark" oder "One Touch of Venus".
Dennoch ist Kurt Weill einer der wenigen "klassischen" Tonschöpfer, deren Melodien - wie beim "Mackie Messer Song" oder "September Song" - Menschen kennen, ohne den Komponisten nennen zu können. Mit dem Motto "Vom Lied zum Song" griff das 23. Kurt Weill Fest in Dessau dieses Thema auf. Von der Kammermusik zum Kabarett, von Berlin zum Broadway, mit Oper, Jazz und Sinfonik gaben die rund 60 Veranstaltungen in zweieinhalb Wochen einen Einblick in die verschiedensten Genres und Richtungen.
Dabei liegt der Schwerpunkt auf der "klassischen Moderne" - die musikalische Ära in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. "Richtig müsste der Motto heißen: 'Von Aria und Kunstlied zum Song'", sagte Festivalintendant Michael Kaufmann im Gespräch mit der DW. "Weill schaffte es, Texte, die die Menschen betrifft, mit der Musik gemeinsam zu entwickeln, in einer Art, die unbedingt heute noch aktuell ist."
Die Seele verkauft?
"Ich brauche Worte, um meine Fantasie in Bewegung zu setzen. Meine Kreativität ist kein Vogel sondern ein Flugzeug" schrieb Kurt Weill. Seine Aktualität ist ein Paradoxon, erinnert man an seinen Satz: "Was mich betrifft, komponiere ich für heute. Die Nachwelt interessiert mich keinen Deut." Das war auch ein Seitenhieb an seinen komponierenden Zeitgenossen Arnold Schönberg, der von seiner Stellung in der Musikgeschichte geradezu besessen war und meinte, dass in 50 Jahren seine Musik populär werden würde - ein Wunsch, der bis heute nicht in Erfüllung gegangen ist.
Hat Weill seine Seele an Broadway verkauft? Keinesfalls, sagt der Dirigent Ernst Theis, der das Abschlusskonzert leitete, in dem Weills Einakter "Royal Palace" drei Werken von Richard Strauss gegenüber gestellt wurde: "Wenn man beispielsweise 'Street Scene' nimmt - das ist einfach eines der besten Musicals, die es überhaupt gibt", sagte Theis. "Und wenn da jemand sagt, da kennt man Kurt Weill nicht, dann muss er sich bei mir melden, dann werde ich ihm das erklären. Er ist komplett authentisch, trotz der Varianten, die er in den Stilen oft wählt."
Michael Kaufmann erklärt die stilistische Vielfalt Weills und die ablehnende Haltung des Komponisten gegenüber dem Nachkriegsdeutschland anhand der Biographie: "Er war eigentlich ein Ideal, was wir uns in Deutschland vorstellen, wenn Menschen zu uns kommen als Exilanten, als Heimatsuchende", sagte Kaufmann. "Sie sollen sich sofort in unsere Gesellschaft integrieren und perfekt mit all unserer Kultur funktionieren. Aber von den Menschen, die aus Deutschland ins Exil weggehen mussten, hatte man immer die Erwartung: Sie müssen entweder scheitern oder große Probleme haben, aber sie dürfen sich nie assimilieren. Sie müssen deutsch bleiben."
Sich selber treu geblieben
1936 schrieb der Komponist: "Die Bühne hat heute nur dann eine Existenzberechtigung, wenn sie versucht, eine höhere Wahrheitsebene zu erreichen." Ein Beispiel dafür lieferte die Eröffnungsvorstellung des diesjährigen Kurt Weill Fests: "Braver Soldat Johnny", eine Bearbeitung des Weill-Musicals "Johnny Johnson" aus dem Jahr 1936. Weills erstes in den USA komponiertes Werk, das 50 Mal am Broadway gelaufen ist, nennt Joachim Landgraf, Leiter des Dessauer Kurt Weill-Zentrums, "eine Persiflage auf den Krieg - und das auf amerikanischem Gebiet. Er hat da sehr deutlich Stellung genommen und seinen Pazifismus ganz nachdrücklich inhaltlich gestaltet." Dies obwohl sich der frisch eingewanderte amerikanische Patriot gleichzeitig dafür engagierte, dass die USA in den Krieg gegen Nazi-Deutschland eintreten. "Weill ist seiner Haltung treu geblieben, hat natürlich auch Gängiges gemacht aber hat trotzdem politische Haltung bewahrt, auch in Amerika", sagte Landgraf.
Das Fest in der kleinen Stadt Dessau verfügt nicht über die Mittel, die großen Bühnenwerke Kurt Weills stilgerecht zu inszenieren - eine Situation, die die Veranstalter hoffen, in Zukunft verbessern zu können. So konzentriert man sich dort auf den Menschen, seinen Zeitgeist und seine verblüffende stilistische Vielfalt. Zwei Zitate, die zum Schluss des diesjährigen Kurt Weill Fests gehört wurden, machen den so widersprüchlichen Menschen verständlicher. Der bis zur Erschöpfung arbeitende und früh verstorbene Komponist soll seiner Frau Lotte Lenya mehrfach gesagt haben: "Zuerst kommt die Musik und dann du." Und dann, der so oft zitierter Satz: "Es gibt kein Unterschied zwischen U- und E-, zwischen Unterhaltungs- und ernster Musik. Sondern nur zwischen guter und schlechter Musik." Er stammt von Kurt Weill.
Das Kurt Weill Fest fand vom 27. Februar bis 15. März 2015 statt.