"Weltgericht" nimmt Arbeit auf
20. März 2006Mit schwungvoller Handschrift unterzeichnete die brasilianische Richterin Sylvia Steiner das Dokument mit der Nummer "ICC 01/04-01/06-38". Das Aktenblatt vom 17. März 2006 dürfte historischen Wert bekommen - es ist die Anordnung zur ersten öffentlichen Sitzung des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) in Den Haag mit einem Angeklagten. Das "Weltgericht" macht ernst.
Kriegsverbrechen
Zum ersten Mal seit seiner Einsetzung vor fast vier Jahren hat der IStGH in Den Haag einen Angeklagten vernommen. Der kongolesische Rebellenführer Thomas Lubanga wird beschuldigt, Kinder im Alter von weniger als 15 Jahren für seine Miliz angeworben und in Kämpfen eingesetzt zu haben. Nach dem Statut des Gerichtshofs ist dies ein Kriegsverbrechen.
Er war schon vor längerer Zeit in Kongo verhaftet und am vergangenen Freitag dem Strafgerichtshof überstellt worden. Das Gericht befasst sich auf Bitte der kongolesischen Regierung mit Straftaten während des Bürgerkrieges in dem Land.
Ohne Anklage in Haft
Bei seiner ersten Vorführung vor drei Richtern bezeichnete sich Lubanga als "Berufspolitiker". Er sei bei der Überführung in Den Haag und in der Haftanstalt korrekt behandelt worden. Sein kurzfristig ernannter Anwalt Jean Flamme (Belgien) schloss nicht aus, dass er einen Antrag auf Haftentlassung stellen werde. Er kritisierte, dass sein Mandant schon vor der Überstellung nach Den Haag längere Zeit in Kongo ohne Anklage in Haft gesessen habe.
Der Termin vor einer so genannten Vorverfahrenskammer diente vor allem der Feststellung der Personalien des Angeklagten und anderer Formalitäten. Die Kammer berief für den 27. Juni eine weitere Sitzung ein, bei der die Anklagepunkte inhaltlich erläutert werden. Erst danach wird über die Eröffnung eines Hauptverfahrens entschieden.
Im Gegensatz zum Kriegsverbrechertribunal der Vereinten Nationen für das ehemalige Jugoslawien, einem Sondergericht mit klar begrenztem und zeitlich eingeschränktem Auftrag, hat das Strafgericht eine weltweite Zuständigkeit, um Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu ahnden. Es kann Haftstrafen bis zu lebenslanger Dauer aussprechen, aber nicht die Todesstrafe.
100 Staaten dabei - die USA nicht
Jahre lange Verhandlungen waren der Gründung des IStGH voraus gegangen. Die Schlussphase war geprägt von geradezu verzweifelten Bemühungen vor allem europäischer Länder, die USA mit ins Boot zu holen. Doch unter Präsident George W. Bush ließ sich Washington nicht erweichen: Aus Furcht, die weltweit eingesetzten US-Soldaten könnten dereinst das Opfer politisch motivierter Justiz in Den Haag werden, lehnen die USA jede Zusammenarbeit mit dem IStGH nach wie vor ab.
Bislang 100 Staaten haben dagegen das "Statut von Rom" angenommen, das nicht nur zur Zusammenarbeit mit dem Gericht verpflichtet, sondern auch die Straftaten beschreibt, für die es zuständig ist: Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. (sams)