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Sierens China

Frank Sieren18. Juni 2014

Wirtschaftliche Überlegungen, moralische Standpunkte und politische Strategien zwischen Deutschland und China haben sich im Fall Ai Weiwei unglücklich verhakt, meint DW-Kolumnist Frank Sieren.

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Berlin Ai Weiwei Ausstellung Martin-Gropius Bau
Ai Weiwei-Ausstellung im Martin-Gropius-Bau in BerlinBild: Reuters

Eigentlich ist der Fall einfach: Dem chinesischen Künstler Ai Weiwei ist wiederholt in China Unrecht geschehen, wegen seiner politischen Ansichten, beziehungsweise seiner Kunst, mit der er die Regierung kritisiert. Das geht nicht und das sollte aufhören.

Aus der Sicht der deutschen Ausstellungsmacher bedeutet dies jedoch auch viel Medienaufmerksamkeit für die Gelder des Hauptstadtkulturfonds und des Kulturstaatsministeriums. Auch deshalb läuft gegenwärtig die größte Einzelausstellung weltweit von Ais Arbeiten in Berlin. Der Erfolg dieser Ausstellung war fast garantiert. Denn wer Ai Weiweis Ausstellung mit dem Titel Evidence anschaut, tut sich, China und der Welt etwas Gutes - da mögen noch so viele Kunstkritiker an seinen Arbeiten herumnöhlen.

Politisch korrekter Kunstgenuss

Zudem ist Ai ein schönes Ventil für die Deutschen, um ihrem Misstrauen gegenüber der aufsteigenden Wirtschaftsmacht China Luft zu machen. Eine deutsche Studie des chinesischen Telco-Ausrüsters Huawei hat jüngst aufgedeckt, dass knapp 60 Prozent der Deutschen Chinas politische Macht als Bedrohung empfinden. Die Ausstellung ist also politisch korrekt, wie man neudeutsch sagt.

Doch die Realität ist noch viel komplexer, als manche der inzwischen über 150.000 Menschen glauben, die in der Schlange vor dem Martin-Gropius Bau gestanden haben. Wirtschaftliche Überlegungen, moralische Standpunkte und politische Strategien haben sich inzwischen unglücklich ineinander verhakt. Das Grundproblem: Je verfolgter Ai Weiwei ist, desto bekannter wird er. Desto wertvoller sind seine Kunstwerke, desto politisch lohnender die deutschen Subventionen für die Ausstellung und desto kontraproduktiver sind die Drangsalierungen Ais durch die chinesische Staatsicherheit.

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DW-Kolumnist Frank SierenBild: Frank Sieren

Ai war eine Art Kulturprinzling

Aber fangen wir vorne an: Lange schon ärgert Ai Weiwei Chinas Politiker mit seinen treffenden kritischen Einlassungen. Es fand sich dennoch lange keine Mehrheit, ihn wegen seiner kritischen politischen Meinung zu verhaften. Auch deshalb, weil sein Vater Ai Qing, ein bekannter Dichter, zu sehr mit dem Establishment verwoben war. Ai Qing war nämlich von Mao von 1958 bis 1976 in den Westen Chinas verbannt worden, und gehörte danach zu den Reformern um Deng. Auch Sohn Ai war damit einer von ihnen und somit die Hemmschwelle höher, gegen ihn vorzugehen. Ai war eine Art Kulturprinzling. Deswegen war es auch möglich, dass er sich gemeinsam mit dem Schweizer Architektenbüro Herzog & de Meuron 2002 um die Planung des Pekinger Olympiastadions, dem sogenannten Vogelnest, bewarb und prompt gewann. Doch spätestens im Mai 2008, als Ai die Korruption beim Bau von Schulen für den Tod tausender Schüler während eines Erdbebens in der Provinz Sichuan verantwortlich machte, kippte die politische Stimmung gegen ihn. Bei diesem Erdbeben starben rund 70.000 Menschen. Bis heute lässt Ai nicht locker, was dieses Thema betrifft, was ihn international, besonders in Deutschland, als regimekritischen Künstler sehr bekannt gemacht hat.

Olympischen Sommerspiele Peking 2008 Feuerwerk
Das Olympiastadion in Peking, bekannt als "das Vogelnest"Bild: picture-alliance/dpa

Seine Verhaftung kam nicht aus heiterem Himmel. Im Januar 2011 wurde sein Shanghaier Studio mit der Begründung, er habe keine Baugenehmigung gehabt, auf seine Kosten abgerissen. Nur ein knappes Jahr zuvor hatten die gleichen Behörden ihn noch darum gebeten, sich doch in Shanghai an genau diesem Ort niederzulassen. Drei Monate nach dem Abriss wurde Ai verhaftet und in einem zum Gefängnis umgebauten Hotelzimmer festgehalten. Der offizielle Vorwurf: Steuerhinterziehung.

Spenden für einen kommerziell erfolgreichen Künstler

Kaum war er nach 81 Tagen wieder frei, überhäuften ihn die Deutschen mit Ehrungen und Angeboten. Ai wurde damals nicht nur in die Berliner Akademie der Künste aufgenommen, sondern bekam gleichzeitig eine Gastprofessur an der Universität der Künste angeboten. Deutsche spendeten dem kommerziell erfolgreichen Künstler rund eine Million Euro, um seine angebliche Steuerschuld von 1,7 Millionen Euro begleichen zu können. Nur in Deutschland widerfuhr Ai diese eigenartige, fast gläubige Überhöhung. Warum die Deutschen so sind, ist mal einen eigenen Text wert.

Der deutsche Kult um Ai Weiwei gipfelte darin, dass er als Chinese 2013 bei der venezianischen Biennale den Hauptraum des deutschen Pavillon namens Germania gestalten durfte. Dem folgte die weltweit größte Ai-Ausstellung seiner Werke in Berlin. Gleichwohl eine sehenswerte, großartige Schau mit auch für Laien zugänglicher Konzeptkunst, die Politisches auch mal ironisch auf den Punkt bringt, ohne dabei ästhetische Kompromisse einzugehen.

Starke Konzeptkunst

Kann man die Schattenseiten des chinesischen Booms zum Beispiel prägnanter abbilden als durch einige Vasen der Han-Zeit, die mit Metallic-Autolack überzogen wurden? Die alte Form ist noch sichtbar, aber die geschichtlichen Merkmale und Narben der Vasen sind auf immer und ewig überdeckt. Die minimalistische Arbeit "Forge" ist ein anderes Beispiel. Ai präsentiert Armierungseisen in einer Ästhetik, die in jedes Prenzlauer-Berg-Loft passt und an die Konzeptarbeiten des Amerikaners Brice Marden erinnert. Der größte Unterschied: Ais Werke sind auf dramatische Weise politisch aufgeladen und damit auch Kritik an der konzeptuellen Beliebigkeit der westlichen Kunst - und eben nicht nur politische Kritik an China. Die Armierungseisen für die Arbeiten stammen aus dem Schutt, der bei dem Erdbeben 2008 in der chinesischen Provinz Sichuan eingestürzten Schulen, die nicht so stabil waren, wie sie sein sollten, weil der Kader Geld unterschlagen hatte.

Die Kritik daran traf die Partei ins Mark. Mit der Verhaftung Ai Weiweis haben die Hardliner in der chinesischen Führung dann gezeigt, wie mächtig sie sind. Selbst der "freche" Sohn von Ai Qing ist nicht vor ihnen sicher. Die Reformer hatten danach wiederum die Möglichkeit, den Hardlinern zu erklären, wie dämlich sie sind: Der Sicherheitsapparat hat Ai Weiwei noch viel bekannter gemacht, als aus Sicht der Zensoren wünschenswert. Die Hardliner wollen ihm nun nicht weiter eine Bühne bauen. Das ist der Grund, warum sich Ai nun wieder in China frei bewegen kann. Zudem hindert ihn niemand mehr daran, seine sehr kritische Regierungskunst in China zu produzieren und ungehindert in Berlin auszustellen. Auch seine Mitarbeiter dürfen ungehindert reisen. Erstaunlich ist auch, dass die chinesische Regierung sich nie bei der Bundesregierung darüber beschwert hat, dass sie diese Ai-Ausstellung finanziert hat. Etwas, was angesichts der Vorgeschichte von den allermeisten deutschen Medien mit einer bemerkenswerten Selbstverständlichkeit ignoriert wurde.

Ai Weiwei 25.03.2014
Der chinesische Künstler Ai WeiweiBild: picture-alliance/dpa

Die Politik erwartet eine Geste der Demut

Bleibt der fehlende Pass, die letzte Hürde zur Wiederherstellung der Normalität. Und nun wird es noch komplizierter: Die chinesischen Behörden können Ai ihrer Vorstellung nach den Pass nicht einfach zurückgeben. Eine Einstellung des Verfahrens käme einem Schuldgeständnis gleich. Diesen Preis will in Peking niemand zahlen, solange man in einem rechtsstaatlichen China nicht dazu gezwungen wird. Und davon ist China weit entfernt. Deshalb brauchen diejenigen in der chinesischen Politik, die sich für Ais Freilassung einsetzen, eine symbolische Demutsgeste von ihm. Ai könnte sich, so lautet der Wunsch, ein paar Wochen nicht kritisch äußern, oder die Regierung für das loben, was sie schon alles erreicht hat. Oder zumindest deutlich machen, dass es ein wichtiger Schritt zu Normalität war, dass seine Arbeiten unbehindert und staatlich gefördert in Berlin gezeigt werden konnten.

Das will Ai Weiwei offensichtlich nicht. Warum sollte er auch? Erstens ist er nicht der Typ dazu. Und zweitens, warum soll er sich denjenigen gegenüber erkenntlich zeigen, die ihn brechen wollten? Doch dass Ai Weiwei je nach Perspektive uneinsichtig oder unbeugsam ist, hat seinen Preis: Denjenigen in der chinesischen, aber auch in der deutschen Politik, die sich für ihn einsetzen, vergeht allmählich die Lust, ihm zu helfen, in einer Zeit, in der es wahrscheinlicher denn je ist, dass Ai Weiwei wieder reisen darf. Darüber muss sich Ai im Klaren sein. Der Schaden, der dabei entsteht, muss nicht, kann aber groß sein und weit über ihn hinausreichen. Die Haltung von Ai ist natürlich Wasser auf die Mühlen der Hardliner, die den Reformern nun sagen: Wie lange wollt Ihr Euch noch von ihm auf der Nase herumtanzen lassen?

In der westlichen Politik ist die Geduld mit Ai auch nicht endlos. Dort stellt man sich die Frage, ob man politisches Kapital daraus schlagen kann, wenn man sich erfolgreich für die Freilassung Ai Weiweis einsetzt? Oder kürzer formuliert: Wie viele Wähler honorieren den Einsatz?

Ai Weiwei Ausstellung in Martin-Gropius Bau Berlin 02.04.2014
Installation "Souvenir aus Shanghai" - gefertigt aus Trümmerstücken von Ai Weiweis AtelierBild: Getty Images

Um auszuschließen, dass die Argumente in die falsche Richtung interpretiert werden. Es ist ein Teil der Freiheit von Ai, dieses Spiel nicht mitzumachen. Für die Folgen muss er jedoch geradestehen. Folgen, die seine Handlungen für andere haben können, die auf eine politische Lösung ihrer Freiheitsberaubung angewiesen sind.

Ein verfolgter Künstler ist wertvoller

Die Galeristen und Berater von Ai machen das Machtspiel nicht einfacher. Sie haben vor allem ein Interesse: Der Preis der Kunstwerke soll so lange wie möglich stabil steigen. Denn sie kriegen für jede verkaufte Arbeit hohe Provisionen. Niemand kann ihnen verdenken, dass sie insgeheim der chinesischen Staatsicherheit dankbar sein müssen und sich nüchtern die Frage stellen: Wie ist Ai Weiwei wertvoller? Mit oder ohne Pass? Da mag der ein oder andere auch zu dem Ergebnis kommen, dass der Status Quo ein so unkomfortabler nicht ist. Dann wäre die Strategie, sich sehr lautstark und ungelenk für die Rückgabe des Passes an Ai einzusetzen. Dann wird es unwahrscheinlicher, dass der Fall auch eintritt.

DW-Kolumnist Frank Sieren gilt als einer der führenden deutschen Chinaspezialisten. Er lebt seit 20 Jahren in Peking.