Weltverbesserer zwischen den Fronten
30. Januar 2019Keine Woche ist vergangen, seit Greta Thunberg beim Weltwirtschaftsforum in Davos mit einer emotionalen Botschaft an Spitzenpolitiker und Wirtschaftsbosse appellierte, sich stärker für den Klimaschutz einzusetzen. Seitdem ist viel passiert. Am Freitag demonstrierten in Berlin Tausende Schülerinnen und Schüler aus ganz Deutschland gegen den Klimawandel. Auch in den USA, Australien, Kanada, Österreich und der Schweiz gingen Kinder und Jugendliche unter dem Motto "Fridays for Future" auf die Straße. Am Vortag waren mehr als 30.000 junge Menschen für den Klimaschutz durch Brüssel gezogen.
Doch nicht nur die Proteste, die von Greta Thunbergs "Schulstreik für das Klima" inspiriert sind, den sie jeden Freitag vor dem Reichstag in Stockholm veranstaltet, nehmen an Fahrt auf. Die Schwedin, die seit ihrer Rede auf der UN-Klimakonferenz in Kattowitz im Dezember weltbekannt ist, gerät zunehmend zwischen die Fronten eines erhitzten Meinungskampfes. In den Medien wird die 16-Jährige als "Shootingstar" und "Galionsfigur der Klimaschutzbewegung" gehandelt. Die norwegische Prinzessin Märtha Louise bezeichnete sie jüngst als "meine neuentdeckte Superheldin", das "TIME"- Magazin kürte sie zu einer der einflussreichsten Teenagerinnen des Jahres 2018.
Lob und Diffamierungen
In den sozialen Netzwerken bekommt die Schülerin, die offen mit dem bei ihr diagnostizierten Asperger-Syndrom umgeht, viel Zuspruch. Sie wird aber auch angefeindet, als "altklug und verhaltensgestört" und als "dummes Kind" beschimpft. Der Vorsitzende der AfD Sachsen attestierte ihr auf Twitter eine "Psychose". In einem Blogbeitrag werden die Zöpfe, die Thunberg meist trägt, als "BDM [Anm. d. Red.: Bund Deutscher Mädel]-Frisur" bezeichnet. Es ist nicht der einzige Nazi-Vergleich, der im Netz kursiert.
Immer wieder taucht auch der Vorwurf auf, Thunberg sei fremdgesteuert - von ihren Eltern, einer PR-Firma, Umweltorganisationen, der Politik. Medienspekulationen zufolge geht ihre plötzliche Bekanntheit etwa auf den schwedischen PR-Berater Ingmar Rentzhog zurück, der zwar einräumt, ihr mit Postings in den sozialen Netzwerken geholfen zu haben, aber versichert, es habe sich dabei nicht um eine geplante PR-Kampagne gehandelt.
Der rasante Aufstieg der Teenagerin zum Gesicht einer Bewegung, der Hass auf der einen, die Heldenverehrung auf der anderen Seite: Vieles am Fall Thunberg erinnert an die Geschichten anderer junger Aktivisten. So wurde vor weniger als einem Jahr die damals 19-jährige US-amerikanische Schülerin Emma González im Rahmen der Proteste für strengere Waffengesetze nach dem Schulmassaker von Parkland weltberühmt.
Morddrohungen und Verschwörungstheorien
Auch sie wurde gefeiert: Das Magazin "Glamour" nannte sie eine "Ikone" und das "Gesicht der #NeverAgain-Bewegung", die "Washington Post" verglich sie mit dem kubanischen Nationalhelden José Martí, auf Twitter folgten ihr innerhalb weniger Tage eine Million Nutzer - und "TIME" zeigte sie zusammen mit anderen Aktivisten, die das Massaker überlebt hatten, auf seiner Titelseite.
Aber auch González hatte schnell lautstarke Gegner. Ein republikanischer Kandidat für die Kongresswahlen nannte das Mädchen mit dem rasierten Kopf eine "Skinhead-Lesbe". Zusammen mit ihren Mitstreitern geriet González ins Visier von Verschwörungstheoretikern, die die Jugendlichen als "Krisen-Schauspieler" diffamierten.
Zu den derart gescholtenen gehört auch David Hogg. Der 18-Jährige gilt, zusammen mit González, als Aushängeschild der Schülerproteste gegen Waffengewalt. Er wurde ebenfalls auf dem "TIME"-Cover abgebildet, schrieb nach dem Massaker ein Buch - und machte sich schnell Feinde. Die TV-Moderatorin Laura Ingraham etwa verspottete ihn auf Twitter, weil er Absagen von einigen Universitäten erhalten hatte. Hoggs Mutter berichtete in der "Washington Post" von Morddrohungen gegen ihre Familie.
Die Marke Malala
Auch die Kinderrechtsaktivistin und jüngste Friedensnobelpreisträgerin aller Zeiten, Malala Yousafzai, wird nicht nur verehrt. Nachdem sie im Alter von 15 Jahren ein Attentat der Taliban überlebte, wurde sie zur globalen Symbolfigur des Kampfes für Bildungschancen für Mädchen.
Ihre Autobiografie ist ein internationaler Bestseller, ein Dokumentarfilm über ihr Leben schaffte es in die engere Auswahl der Oscars. Yousafzai ist mittlerweile Millionärin, eine weltweit gefragte Rednerin und wird von einer führenden Werbeagentur betreut. In ihrem Heimatland spaltet die 21-Jährige allerdings die Gemüter. Ihr Buch ist in vielen pakistanischen Schulen verboten worden, nicht wenige sehen sie dort als vom Westen instrumentalisierte Nestbeschmutzerin.
"Jeder, der sich für das Klima einsetzt, erlebt diese Kritik"
Ein weiterer Aktivist, der schon als Kind im Rampenlicht stand, ist Felix Finkbeiner. Vieles an seinem Werdegang erinnert an die Geschichte von Greta Thunberg. Als Grundschüler begann er mit Freunden, Bäume zu pflanzen, um dem Klimawandel entgegenzuwirken. Die von ihm gegründete Kinder- und Jugendinitiative "Plant for the Planet" hat heute rund 70.000 Mitglieder weltweit. Finkbeiner hat vor den Vereinten Nationen und im EU-Parlament gesprochen. Vergangenes Jahr wurde ihm das Bundesverdienstkreuz verliehen - mit 21 Jahren.
Aus seiner Sicht haben die extremen Gegenreaktion, die der Hype um Figuren wie Greta Thunberg auslöst, nichts mit deren Alter zu tun. "Jeder, der sich für das Klima einsetzt, erlebt diese Kritik. Die Schüler in den USA, die haben das auch nicht erlebt, weil sie Schüler waren, sondern weil sie sich für eins der polarisierendsten Themen in ihrem Land eingesetzt haben", so Finkbeiner. Zwar beziehe sich die Kritik häufig auf das Alter der jungen Aktivisten, aber "sie kommt vor allem dann, wenn man sich für ein Thema einsetzt, bei dem Leute ohnehin Kontrapositionen vertreten wollen".
"Der Hass trifft sie, weil sie verletzlich erscheinen"
Etwas anders sieht das Sebastian Haunss, Protestforscher an der Universität Bremen. Vor allem die Anfeindungen seien zum einen ein Social-Media-Phänomen, ein Resultat mangelnder Konsequenzen für Pöbeleien im Netz. Zum anderen habe die negative Reaktion mit der starken Wirkung der Jugendlichen zu tun. "Der Hass trifft sie, weil sie Galionsfiguren sind, und weil sie verletzlich erscheinen."
Letzteres sei der Grund, warum gerade junge Menschen als Gesichter von Bewegungen taugten. "Schülerinnen und Schüler sind wehrloser und ungeschützter als Erwachsene, wenn sie in der Öffentlichkeit auftreten. Gleichzeitig vermutet man bei ihnen zu Recht erst mal nicht, dass sie sich taktisch oder strategisch verhalten, sondern dass sie wirklich überzeugt sind von dem, was sie sagen. Deshalb bekommen sie auch mehr Aufmerksamkeit, als wenn die gleiche Art des Protestes von Erwachsenen gemacht würde."
Dankbare Medien
Dabei spielen die Medien laut Haunss eine zentrale Rolle. Aushängeschilder wie Thunberg seien "für die Medienwirkung von Protestbewegungen wichtig, weil die Medienberichterstattung schlecht damit umgehen kann, wenn es diese nicht gibt". So sei es etwa bei den Protesten der französischen "Gelbwesten" zu beobachten, "die immer noch keine wirklichen Gesichter haben, und man hat gesehen, wie schwierig es für Medien ist, so etwas zu fassen, weil der Personalisierungsaspekt fehlt".
Das kann Felix Finkbeiner bestätigen: Die Medien hätten sich auffällig häufig auf seine persönliche Geschichte konzentriert und weniger auf das Thema, das ihm am Herzen lag. "Ich glaube, dass es besonders beim Thema Klima einfacher ist, über einen Menschen eine persönliche Geschichte zu schreiben, als komplexe Sachverhalte zu erklären", sagt er.
Das müsse dem Anliegen nicht unbedingt schaden. "Wir würden gerade nicht über das Thema Klima sprechen, wenn nicht die Greta uns dazu aufgefordert hätte, wenn sie es nicht geschafft hätte, dieses Thema wieder auf die Titelseiten zu bekommen." Junge Menschen hätten "die Fähigkeit, über unsere Rationalisierungen hinweg zu gucken und Themen ganz klar anzusprechen. Wir kennen natürlich alle die Argumente, wieso es schwer ist, die Klimakrise anzupacken. Aber wir müssen uns auch daran erinnern, wie wichtig das Problem ist."
Marionetten der Politik?
Und der Vorwurf, junge Menschen, die in kurzer Zeit zu Ikonen einer Protestbewegung aufsteigen, würden politisch instrumentalisiert? Finkbeiner behauptet, als Kind und Teenager nie unter Druck gesetzt oder professionell auf Medienauftritte vorbereitet worden zu sein. Stattdessen, erzählt er amüsiert, habe er als Schüler selbst eine Pressekonferenz einberufen. Dass Greta Thunberg weder fremdgesteuert noch eine Ausnahme sei, zeige allein die Tatsache, dass sich die Schülerproteste inzwischen verselbstständigt und Zehntausende sich ihr angeschlossen hätten, sagt Finkbeiner - und fügt hinzu: "Man kann als Eltern ein Kind sicher überzeugen, an Weihnachten ein Gedicht aufzusagen, aber nicht, was weiß ich wie viele Wochen lang vor dem Parlament zu sitzen."
Laut Protestforscher Haunss sind Versuche, junge Aktivisten für bestimmte Zwecke auszunutzen, nie auszuschließen. Aber auch er zweifelt nicht daran, dass Greta Thunberg und andere von ehrlicher Motivation getrieben sind. Bei den jungen Galionsfiguren der vergangenen Jahre handele sich um "einzelne Personen, die diese Position nicht bekommen, weil irgendeine strategische Planung dahinter steht, sondern weil sie wirklich mit Engagement auftreten".
Das wird Greta Thunberg wohl auch weiterhin tun - trotz des Gegenwinds. Ob die Auseinandersetzung mit ihrer Botschaft sachlicher wird, ist allerdings fraglich. Wie es auch kommt: Für den 1. Februar sind wieder weltweite Schülerstreiks geplant.