Weltweit weniger Hinrichtungen
10. April 2019"Die Zahl der weltweiten Hinrichtungen ist so niedrig wie seit zehn Jahren nicht mehr. Das ist das Hauptergebnis unseres Berichts", sagt Chiara Sangiorgio, Expertin für das Thema Todesstrafe bei Amnesty International. Vor allem in den Ländern, die in den vergangenen Jahren die meisten Menschen hingerichtet haben, sehe Amnesty einen signifikanten Rückgang. "Wir reden hier zum Beispiel vom Iran, Pakistan und dem Irak", so Sangiorgio.
Die neuen Zahlen wären für die Menschenrechtsorganisation ein Grund, optimistisch in die Zukunft zu schauen. Doch kurz vor der Veröffentlichung des Berichts für 2018 kam eine Meldung, die den positiven Trend überschattet: Der Sultan von Brunei, Hassanal Bolkiah, verkündete, dass für Homosexualität und für Ehebruch künftig die Todesstrafe verhängt wird.
Todesstrafe für Homosexuelle
Die Ankündigung löste weltweit Entsetzen aus. Die Sprecherin des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte, Ravina Shamdasani, kommentierte: "Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte fordert die Regierung Bruneis auf, das Inkrafttreten eines Gesetzes zu verhindern, das die Todesstrafe für eine Reihe von Straftaten vorsieht. Darunter fallen etwa Ehebruch und einvernehmlicher Geschlechtsverkehr unter Homosexuellen. Das Gesetz würde außerdem Auspeitschung und Amputation als grausame und unmenschliche Bestrafung für diverse Vergehen einführen." In Deutschland bestellte die Bundesregierung die Botschafterin Bruneis ein, um gegen die Einführung des Scharia-Strafrechts zu protestieren.
Weltweit kritisierten LGBT-Communitys die Gesetzespläne. Unter anderem Hollywood-Schauspieler George Clooney forderte zum Boykott von Luxushotels auf, die dem Alleinherrscher von Brunei gehören. Der Sultan zeigte sich unbeeindruckt: Am 3. April traten die neuen Gesetze in Kraft.
"Bereits jetzt hören wir von der LGBT-Community in Südostasien, dass das Gesetz die allgemeine Situation verschlimmert hat. Seit das Gesetz in Kraft getreten ist, verstecken sich viele Aktivisten und die Angst geht um", berichtet Chiara Sangiorgio.
Aktuell, so die Amnesty-Expertin, gebe es ungefähr zehn Länder, in denen einvernehmlicher Geschlechtsverkehr unter Homosexuellen unter Todesstrafe steht. Allerdings sei es oft unmöglich, von außen zu beurteilen, ob es sich in einzelnen Fällen um eine behauptete Vergewaltigung handelt oder um Homosexualität an sich, oder auch um sexuelle Beziehungen außerhalb der Ehe. In manchen Ländern müsse man zudem zwischen Strafrecht und Religionsrecht unterscheiden, so Sangiorgio.
Todesstrafe zunehmend geächtet
Seit fast 60 Jahren kämpft Amnesty International weltweit für Menschenrechte und gegen die Todesstrafe - mit Erfolg, immer mehr Staaten schaffen die Todesstrafe ab.
Am 17. Dezember 2018 stimmten 121 der insgesamt 193 UN-Mitgliedstaaten für ein Todesstrafenmoratorium. Nur 35 Staaten stimmten in der UN-Generalversammlung dagegen, 32 Länder enthielten sich. "Die weltweite Abschaffung der Todesstrafe rückt näher" so betitelte Amnesty International die Meldung.
Der Trend bestätigt sich im diesjährigen Bericht. Im vergangenen Jahr hat Burkina Faso die Todesstrafe abgeschafft. In Gambia gilt ein Moratorium für Hinrichtungen und das Land erwägt, die Todesstrafe ganz abzuschaffen. In Malaysia hat die neue Regierung de facto ein Moratorium eingeführt, jedoch nicht offiziell bestätigt. Und in den USA wurde die Todesstrafe im Bundesstaat Washington für verfassungswidrig erklärt. Gleichwohl wurden 2018 insgesamt 25 Menschen in den USA exekutiert.
Weniger Hinrichtungen im Iran und in Pakistan
Im Iran, der mit über 253 Hinrichtungen auf dem zweiten Platz der Liste steht, seien 2018 halb so viele Menschen hingerichtet worden wie noch 2017, so Sangiorgio. Der Hauptgrund sei eine Änderung des Drogengesetzes durch eine Erhöhung der für die Todesstrafe relevanten Drogenmenge. Auch in Pakistan seien die Zahlen signifikant gesunken: 2018 gab es 14 Hinrichtungen, im Jahr davor über 250.
"Wir sind zuversichtlich, dass sich dieser Trend, den wir über die vergangenen Jahrzehnte gesehen haben, verstärkt", sagt die Amnesty-Expertin.
China führt immer noch die Liste an
In anderen Ländern sind die Trends laut dem Bericht allerdings negativ. China führt seit Jahren die Liste an. Amnesty schätzt, dass jedes Jahr Tausende von Menschen in der Volksrepublik hingerichtet werden. Die konkreten Zahlen sind jedoch als Staatsgeheimnis klassifiziert.
In Saudi-Arabien gab es 149 teilweise öffentliche Hinrichtungen durch Enthauptung. Das Königreich gibt die Zahl bekannt, um nach eigenen Angaben für Abschreckung zu sorgen. In Ägypten wurden 2018 43 Menschen hingerichtet und mehr als 717 Menschen zum Tode verurteilt - viele von ihnen wegen "politisch motivierter Gewalt" oder "Terrorismus".
In Vietnam wurden mindestens 85 Menschen hingerichtet - bemerkenswert ist in diesem Jahr, dass die Regierung diese Zahl überhaupt bekannt gibt. In Japan und in Singapur wurden so viele Menschen hingerichtet wie seit mehr als zehn Jahren nicht mehr: in Japan 15 und in Singapur 13 Menschen.
In Subsahara-Afrika gab es 2018 nur noch vier Länder, in denen Hinrichtungen stattfanden: in Somalia, im Südsudan, im Sudan und in Botswana. 17 afrikanische Länder haben die Todesstrafe vollständig abgeschafft, in fast so vielen Ländern südlich der Sahara gilt seit Jahren ein Moratorium.
Todesstrafe bald Geschichte?
Insgesamt ist Chiara Sangiorgio optimistisch, dass sich der Trend in Richtung einer weltweiten Abschaffung der Todesstrafe fortsetzt. Als die Vereinten Nationen 1945 gegründet wurden, hatten nur acht der damals 51 Mitgliedstaaten die Todesstrafe abgeschafft. Heute haben 103 der 193 UN-Mitgliedstaaten die Todesstrafe aufgehoben.
"Der Druck darf nicht nachlassen, wie auch die Entwicklung in Brunei zeigt", sagt die Expertin. "Aber wir sind zuversichtlich, dass wir in naher Zukunft endlich die Todesstrafe weltweit in die Geschichtsbücher verbannen können."