"weltwärts" - Afrika mit anderen Augen sehen
8. Oktober 2012Den Alltag in einem Entwicklungsland zu erleben - das ermöglicht das deutsche Freiwilligen-Programm "weltwärts": Junge Menschen können bis zu einem Jahr in einer Schule, einem Jugendzentrum oder einer anderen sozialen Einrichtung arbeiten. Möglich ist das in Staaten in Asien, Afrika, Lateinamerika und Osteuropa, wobei der Schwerpunkt in Afrika liegt. Das Programm läuft unter der Federführung des Entwicklungsministeriums und hat seit 2008 bereits mehr als zehntausend junge Deutsche "weltwärts" geschickt. Für die meisten eine einmalige Erfahrung, die Spuren hinterlässt.
Etwa bei der 23-jährigen Politikstudentin Anna Schwarz: "Für mich ist das ein richtiger Wendepunkt. Ich sortiere jetzt immer alle Erlebnisse, die ich in meinem Leben gemacht habe so: War das vor oder nach Togo?" beschreibt Anna ihren "weltwärts"-Aufenthalt im westafrikanischen Togo. Dort hat sie acht Monate an einer Schule für Kinder mit geistiger Behinderung gearbeitet. Für Politik hat sie sich schon als Schülerin interessiert. Doch erst in Togo hat sie mit eigenen Augen gesehen, vor welchen Herausforderungen die Entwicklungspolitik wirklich steht. Dort sah sie zum Beispiel die Folgen der europäischen Agrar-Subventionen für Geflügel-Exporte: "Ich hatte schon vorher davon gehört, aber erst dort konnte ich es eigentlich richtig glauben: Hühnerteile, die in Europa nicht so beliebt sind, werden auf den afrikanischen Märkten zu so geringen Preisen verkauft, dass die einheimischen Geflügelproduzenten ihr Fleisch nicht mehr verkaufen können", erzählt Anna - bis heute macht sie das fassungslos.
Prügelstrafe an der Schule
Auch der 21-jährige Mathematik-Student Jakob Heuke war mit "weltwärts" in Afrika: Er lebte ein Jahr in Kenia und unterrichtete an einer Grundschule Mathematik und Sport. An der Schule war die Prügelstrafe an der Tagesordnung. In Deutschland ist sie seit 1973 abgeschafft und gilt juristisch als Körperverletzung. Mit anzusehen, wie sein kenianischer Kollege die Kinder physisch bestrafte, war für Jakob Heuke nicht leicht. Aber statt den Lehrer dafür zu verurteilen, habe er versucht, nach den Ursachen zu fragen: "Ich habe gelernt, ihm das nicht persönlich zu verübeln, sondern irgendwie nachzuvollziehen: Warum macht er das? Warum denkt er, dass das gut ist?" Gleichzeitig habe auch er seine Sicht der Dinge darlegen können, und das sei sehr wichtig für ihn gewesen.
Kritik an “weltwärts“
Jakob ist froh, dass er diese Erfahrung dank "weltwärts" machen konnte. Aber so positiv sehen das Programm nicht alle: Kritiker bemängeln, dass unausgebildete deutsche Jugendliche nicht zur Entwicklung eines Landes beitragen könnten. Schließlich hätten sie noch keinen Beruf erlernt, der in Entwicklungsregionen gebraucht würde, etwa als Ingenieur oder Ärztin. Dessen sind sich die Freiwilligen aber sehr wohl bewusst: Auf einem zwölftägigen Seminar bereiten sie sich auf ihren Auslandsaufenthalt vor und diskutieren über ihre Erwartungen an die Zeit im Entwicklungsland. "In der ersten Einheit unseres Seminars ging es erstmal darum, alle Leute, die das Ziel hatten, vor Ort zu helfen, davon zu überzeugen, dass wir nicht helfen können", erinnert sich Jakob.
Entwicklungspolitisches Engagement in Deutschland
Viel wichtiger findet Jakob, dass sich die "weltwärts"-Teilnehmer nach ihrer Rückkehrer in Deutschland entwicklungspolitisch engagieren. Er selber tut dies bei "Studieren-Ohne-Grenzen", einem Verein, der zum Ziel hat, die Studienbedingungen in Krisenregionen wie im Osten der Demokratischen Republik Kongo zu verbessern. Zum Beispiel geht es darum, vor Ort Praktika für einheimische Agrar-Studenten zu organisieren.
Auch Anna Schwarz ist seit ihrer Rückkehr entwicklungspolitisch aktiv. Sie leitet Seminare, in denen sich Freiwillige auf ihren Afrika-Aufenthalt vorbereiten. Dafür musste sie sich mit der Geschichte und der aktuellen Lage weiterer afrikanischer Länder auseinandersetzen. Sie kommt zu dem Schluss: Das Afrika-Bild, das in Deutschland vorherrsche und auch von manchen deutschen Medien unterstützt werde, ist verzerrt: "Der Großteil der Berichterstattung über Afrika zeichnet entweder ein romantisierendes Bild mit Giraffen und Elefanten im Sonnenuntergang oder eines von Krieg, Krankheit und Elend." Mehr habe die deutsche Berichterstattung offenbar nicht zu bieten, stellt Anna fest. Seit sie selbst in Afrika gearbeitet hat, weiß sie dass das Leben dort weder nur romantisch ist noch nur aus Armut und Elend besteht.