Wachstumpakt für Europa
28. Juni 2012Über Strategien, das Wirtschaftswachstum in Europa zu stärken, wird seit Jahren regelmäßig auf den Gipfeltreffen der Europäischen Union gesprochen. Die Regionalförderung der Europäischen Union, rund 30 Milliarden Euro pro Jahr, ist ohnehin darauf angelegt, möglichst Wachstum und Arbeitsplätze zu schaffen, so der zuständige EU-Kommissar Johannes Hahn. Bereits im Januar 2012 beauftragte ein Sondergipfel der EU die EU-Kommission in Brüssel, ein Maßnahmenpaket vorzulegen. Unter dem Druck des neuen sozialistischen französischen Präsidenten Francois Hollande bekam die Debatte wieder Schwung. Hollande hatte im Wahlkampf im April Wachstum zu einem seiner wichtigsten Themen gemacht.
Jetzt kann Hollande liefern, wie er schon vor einer Woche in Rom befriedigt feststellte. "Wir haben uns auf einen Pakt für Wachstum verständigt, der ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts der EU umfassen soll. Dieses Geld soll im laufenden Jahr so schnell wie möglich mobilisiert werden", kündigte Hollande nach einem Treffen mit der deutschen Bundeskanzlerin, dem italienischen und dem spanischen Ministerpräsidenten an. Dieser Pakt für Wachstum wird auf dem Gipfeltreffen an diesem Donnerstag in Brüssel offiziell verkündet.
Pakt ist nur ein Teil des "Puzzles"
Ein Prozent des europäischen Bruttoinlandsproduktes entspricht etwa 130 Milliarden Euro. Der Wirtschaftsfachmann des Brüsseler "European Policy Centre", Janis Emmanouilidis ist skeptisch, ob das Volumen des Pakets ausreicht, um die Konjunktur zu beflügeln. "Es ist ein Element - ein Element des Puzzles. Aber natürlich wird dadurch diese Krise nicht überwunden. Das Volumen dieses Pakets ist nicht so erheblich, dass es am Ende tatsächlich die Dinge ökonomisch wird verändern können." Der Ökonom Emmanouilidis bemängelt wie viele Fachleute, dass die 120 Milliarden Euro kein "frisches" Geld sind, sondern bereits in den Haushalten und Fördertöpfen verschiedener EU-Institutionen eingeplant sind. "Es sind in diesem Paket Dinge, die altes Geld darstellen. Man wird relativ wenig neue Mittel bereitstellen, um Wachstum fördernde Maßnahmen zu ergreifen."
Merkel zu konkreten Aussagen gedrängt
Neu sind zehn Milliarden Euro, die der Europäischen Investitionsbank als zusätzliches Eigenkapital zugeschossen werden sollen. Daraus erzeugt die Bank dann 60 Milliarden an Krediten, die an mittelständische Unternehmen vergeben werden können. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte dem Wachstumspakt zugestimmt, weil auch sie natürlich für eine Belebung der Konjunktur sei, heißt es aus ihrem Umfeld. Das sei keine Erfindung von Staatspräsident Hollande oder der sozialdemokratischen Opposition in Deutschland, so deutsche Diplomaten. "Wachstum und solide Finanzen. Das sind die zwei Seiten einer Medaille" sagte Angela Merkel beim Vierergipfel in Rom und wehrte sich gegen den Eindruck, sie wolle Europa kaputt sparen. "Solide Finanzen sind eine Voraussetzung, aber sie reichen nicht aus, wenn man daraus kein Wachstum macht und daraus nicht wieder Beschäftigung und Arbeitsplätze macht. Das ist ja unser dringlichstes Problem in Europa."
Diskussion über Wachstum und Sparen schon alt
Der Wirtschaftsfachmann Janis Emmanouilidis glaubt, dass der französische Präsident dem Wachstumspakt den entscheidenden Schubs gegeben hat, erfunden habe er ihn aber nicht. Die Diskussion, ob klamme Staaten durch Sparen immer weiter in die Rezession abgleiten, sei älter. "Wir haben seit dem Sommer letzten Jahres, glaube ich, eine verstärkte Diskussion über eine bessere Balance zwischen Sparen und Wachstum. Es hat sehr lange gedauert, bis man zu einem konkreten Wachstumspakt, wie man ihn jetzt nennen wird, gekommen ist. Dazu hat es im Januar und im März europäische Gipfel gegeben, die sich auch mit dem Thema Wachstum beschäftigt haben. Jetzt liegen aber wesentlich konkretere Dinge auf dem Tisch als im Januar oder März", so Emmanoulidis.
Geldmangel ist nicht das Problem
Zum Wachstumspakt gehören bislang nicht verwendete Mittel aus den Fördertöpfen der Europäischen Union im Umfang von bis zu 60 Milliarden Euro über die nächsten zwei Jahre. Der österreichische EU-Kommissar Johannes Hahn warnte aber im Interview mit der Deutschen Welle schon im April vor Missverständnissen. Die Mittel seien zwar noch nicht abgeflossen, aber bereits für konkrete Projekte verplant. Man werde jetzt nicht Bulgarien etwas wegnehmen, um Griechenland stärker zu fördern. Das Problem ist nach Ansicht von Fachleuten wie Johannes Hahn nicht, dass es zu wenig Geld für Projektförderung gäbe. Vielmehr mangelt es an Projekten, die umgesetzt werden können. Für Griechenland gibt es eine lange Liste von möglichen Maßnahmen. Im Durchschnitt dauere es aber vier Jahre, bis eine bestimmte Fördermaßnahme entscheidungsreif sei, so Hahn.
"Projekt-Bonds" winzig klein
Der "Pakt für Wachstum", der auf dem EU-Gipfel als Erfolg gefeiert werden wird, sieht auch sogenannte "Projekt-Bonds" vor. Das sind gemeinschaftliche Anleihen der Euro-Staaten für bestimmte Baumaßnahmen, etwa für Straßen, Leitungen oder Tunnel. Diese "Projekt-Bonds" sollen frisches Geld in die Kassen bringen. "Geplant sind in diesem Jahr aber nur 230 Millionen Euro an Projekt-Bonds", bemängelt der Chef der liberalen Fraktion im Europäischen Parlament Guy Verhofstadt. "Das ist lächerlich wenig in einem Paket von 130 Milliarden", so der ehemalige belgische Ministerpräsident. Im Endausbau sollen die "Projekt-Bonds" rund 4,5 Milliarden Euro umfassen. Die konkrete Umsetzung der Projekte und Kreditmaßnahmen aus dem "Pakt für Wachstum" wird nach Schätzungen von Beamten in der EU-Kommission ohnehin viele Jahre dauern.
Mit dem "Wachstumspakt" sollen Investitionen angeschoben werden, die ihrerseits für Arbeitsplätze sorgen. Es geht nicht um Anreize für den privaten Konsum, wie sie etwa mit der "Abwrackprämie" in Deutschland für den Kauf von neuen Autos geschaffen wurden. Außerdem ist klar, dass es "keine Konjunkturprogramme auf Pump" mehr geben könne - darauf hat Bundeskanzlerin Angela Merkel wiederholt hingewiesen.