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Glaube

Weniger nicht - Allerseelen

2. November 2024

Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod? Marie Luise Kaschnitz stellt sich dieser Frage in einem Gedicht. Sie findet Bilder, die trösten können beim Gang auf den Friedhof. Ein Beitrag der evangelischen Kirche.

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Nordbrücke im Nebel bei Hattingen
Bild: Martin Vorländer/Evang. Kirche

Der späte Herbst stellt die Vergänglichkeit vor Augen. In den Kirchen wird der Verstorbenen gedacht. Angehörige besuchen ihre Gräber und schmücken sie mit Blumen und Grablichtern.  

Mit dem Totengedenken drängt sich die bange Frage auf: Was mag sein – nach dem Tod? Gibt es so etwas wie ein Danach? Manche Kirchenlieder sind voller Zuversicht. Da heißt es: „Gott wird uns fröhlich leiten ins ewig Paradies“ (Evangelisches Gesangbuch 148,5). Vom ewigen Leben ist die Rede in der Überzeugung: Wenn meine Zeit aufhört, fängt Gottes Ewigkeit an.  

Die Ewigkeit, das ist Gottes Reich, mit dem sich die Sehnsucht nach dem Paradies verbindet: Da kann kein Wirrwarr herrschen, kein Schmerz und Unrecht uns beschweren –  alles wird sich lösen, was uns in unserer Begrenztheit unlösbar scheint.  

Es gab Zeiten, in denen Menschen ihr irdisches Leben vor allem als Last empfanden und sich wirklich freuten auf die Ewigkeit: „Oh, Ewigkeit, du schöne, mein Herz an dich gewöhne, mein Heim ist nicht in dieser Zeit“, heißt es in einem andern, oft gesungenen Kirchenlied. (EG 481, 5))  

Erlösung – was mag das sein? 

Aber wer ist heute noch so himmelsgewiss? Ich bin’s, offen gesagt, nicht. Und trotzdem mag ich an den Tod nicht nur als ein schwarzes Loch denken und mir unter ‚Erlösung‘ nicht nur das Ende von schwerer Erkrankung vorstellen. Ich bin dankbar, dass es ein Gedicht von Marie Luise Kaschnitz gibt, das mir die Ewigkeit – das Leben nach dem Tod – in neuer Weise aufleuchten lässt. 

Viele Jahre hat die Dichterin um ihren geliebten Mann getrauert. Zwei Jahre vor ihrem eigenen Tod fand sie dann diese Worte: 

„Glauben Sie fragte man mich 

an ein Leben nach dem Tode 

Und ich antwortete: ja 

Aber dann wusste ich  

Keine Auskunft zu geben 

Wie das aussehen sollte 

wie ich selber 

Aussehen sollte 

Dort 

 

Ich wusste nur eines 

Keine Hierarchie  

Von Heiligen auf goldenen Stühlen sitzend 

Kein Niedersturz 

Verdammter Seelen 

 

Nur Liebe freigewordene 

Niemals aufgezehrte 

Mich überflutend“  

 

Mit den alten Bildern von Himmel und Hölle kann Marie Luise Kaschnitz nichts mehr anfangen. Die Vorstellung interessiert sie nicht mehr, im Jenseits könnte so etwas wie eine moralische Klassengesellschaft herrschen. Ist man denn wirklich erlöst, wenn man ganz oben sitzen darf?  

Erlösung – wäre das nicht gerade: sich nicht mehr vergleichen müssen mit anderen? „Liebe, frei gewordene, niemals aufgezehrte, mich überflutend“ – das heißt doch auch: nicht mehr besser sein wollen, nicht mehr Recht haben wollen. Aufgehoben sein in Bejahung und Zuneigung.  

Liebe – stärker als der Tod 

Eingehen in das Reich Gottes, sagt die Dichterin, kann doch nur das sein: Eingehen in die Ewigkeit der Liebe, die leicht ist wie ein Hauch: 

„Kein Schutzmantel starr aus Gold 

Mit Edelsteinen besetzt 

Ein spinnwebenleichtes Gewand 

Ein Hauch 

Mir um die Schultern 

Liebkosung schöne Bewegung 

Wie von Worten die hin und her 

Wortfetzen 

Komm du komm 

 

Schmerzweh mit Tränen besetzt 

Berg-und-Tal-Fahrt 

Und deine Hand  

wieder in meiner 

 

So lagen wir lasest du vor 

Schlief ich ein 

Wachte auf 

Deine Stimme empfängt mich 

Entlässt mich und immer 

So fort 

 

Mehr also fragen die Frager 

Erwarten Sie nicht nach dem Tode? 

Und ich antworte 

Weniger nicht.“      

 

Weniger nicht – das klingt nach wie eine kleine Offenbarung. Ich muss nichts Abstraktes im Sinn haben, wenn ich an die Liebe denke. Kein Alles in Allem, das meine Vorstellungen übersteigt. Wie Liebe sich anfühlt, das weiß ich doch: das vertraute Einverständnis im Gespräch, auch der Schmerz beim Missverständnis, das immer wieder Aufeinanderzustreben und Zueinanderfinden. Geborgensein zu zweit.  

Das hat Marie Luise Kaschnitz in der Ehe mit ihrem geliebten Mann erfahren. Das erwartet sie vom ‚Leben nach dem Tod‘. Weniger nicht. So findet sie Worte für die Ewigkeitshoffnung, die ganz nah an der eigenen Erfahrung bleiben.  

Die Ewigkeit, das Reich Gottes, ist das Reich der frei gewordenen Liebe. Die kann ich in manchen Augenblicken hier auf Erden auch schon erfahren: Da, wo das Leben seine Schwere verliert, ist Gottes Reich gegenwärtig. 

 

(https://www.deutschelyrik.de/ein-leben-nach-dem-tode-16113.html Abruf: 29.10.2024) 

oder: Marie Luise Kaschnitz, Seid nicht so sicher. Geschichten, Gedichte, Gedanken. 

          GTB Siebenstern, Gütersloh 1979, S. 72 

 

Zur Autorin:  

Angelika Obert (Jahrgang 1948) war von 1993 - 2014 Rundfunk- und Fernsehbeauftragte der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz für den Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb). Nach dem Studium der Evangelischen Theologie und der Germanistik besuchte sie eine Schauspielschule, bevor sie Pfarrerin wurde. Als Autorin gestaltet sie auch Sendungen für Deutsche Welle, Deutschlandfunk und Deutschlandfunk Kultur. Jetzt ist sie im Ruhestand. 

Angelika Obert - Autorin
Bild: Evangelische Kirche Deutschland

Dieser  Beitrag wird redaktionell von den christlichen Kirchen verantwortet.