1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Aus Hass attackiert

Ulrike Hummel26. November 2013

Juden und Muslime, Homosexuelle oder Obdachlose sind die Opfer sogenannter "Hate Crimes". Um diese Hasskriminalität zu bekämpfen, fordern immer mehr Experten eine gesonderte Datenerfassung - auch in Deutschland.

https://p.dw.com/p/1AKMB
Polizeikrawalle in New York (Foto: Spencer Platt/Getty Images)
Bild: Getty Images

Eigentlich wollte Nasr Abdelaoui nur mal raus, ein paar Tage Urlaub machen. Kunst, Kultur und Wellness standen auf dem Programm. Doch die Ferien begannen mit einem Schockerlebnis. Gleich nach seiner Ankunft am Dresdener Hauptbahnhof wurde der 42-jährige Krankenpfleger aus Köln von jungen Neonazis attackiert. "Ich hörte Geschrei und laute Pöbeleien, drehte mich um und plötzlich kam eine Bierflasche auf mich zu geflogen." Dann ging alles ganz schnell. Die jungen Männer hatten es auf ihn abgesehen. Sein schwarzes lockiges Haar und sein dunkler Teint verwiesen auf seinen ausländischen Hintergrund. "Ich dachte, gleich geht es los." Nasr Abdelaoui hatte Glück an diesem Tag. Die Polizei konnte früh genug eingreifen und Schlimmeres verhindern. Doch das Erlebnis sitzt Nasr Abdelaoui bis heute im Nacken.

Zunahme von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit

Professor Michael Fingerle, Goethe-Universität Frankfurt (Foto: DW/Hummel)
Michael Fingerle forscht an der Universität Frankfurt über HasskriminalitätBild: U. Hummel

Durch Vorurteile motivierte Gewalttaten, wie diese bei Nasr Abdelaoui, werden in den USA seit den sechziger Jahren als "Hate Crime" erforscht. In Deutschland spricht man in diesem Zusammenhang von "Hasskriminalität" oder "Hassverbrechen". Die Bandbreite der Straftaten reiche von Verleumdung, Nötigung, übler Nachrede und Volksverhetzung bis hin zu Mord und Totschlag, sagt Michael Fingerle, der an der Goethe-Universität in Frankfurt zu diesem Thema forscht. Opfer solcher Gewaltdelikte sind oft Menschen, die eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe repräsentieren: Migranten, Juden, Muslime, Homosexuelle, Obdachlose aber auch Behinderte und Angehörige von Subkulturen, wie etwa Punks. "Attacken auf Banker oder besonders reiche Leute zählen aber auch dazu, wenn sie durch Vorurteile motiviert sind", sagt Fingerle.

Zahlen über die Häufigkeit von "Hate Crimes" in Deutschland liegen nicht vor. In der Kriminalstatistik wird lediglich die Kategorie "politisch motivierte Gewalt" erfasst. Doch Studien, etwa der Bertelsmann-Stiftung oder des Bielefelder Professors Heitmeyer, weisen auf eine Ausbreitung von Antisemitismus, Islamfeindlichkeit und Fremdenfeindlichkeit in Deutschland hin. Fraglich ist jedoch, ob hieraus tatsächlich auch mehr Hassverbrechen resultieren.

Verlust des Vertrauens in Polizei und Justiz

Caroline Bonnes von der Uni Frankfurt (Foto: DW/Hummel)
Caroline Bonnes: "In Deutschland wird das Motiv nicht aufgezeichnet"Bild: U. Hummel

In den USA und einigen EU-Ländern werden hassmotivierte Delikte statistisch gesondert erfasst. So könne man eine Ab- oder Zunahme auch dokumentieren. "In England gibt es im Polizeiprotokoll die Möglichkeit, ein Delikt als 'Hate Crime' kenntlich zu machen, also das Motiv der Täter zu benennen", sagt Caroline Bonnes, wissenschaftliche Mitarbeiterin in Fingerles Team. Richter in Großbritannien hätten sogar die Möglichkeit härtere Strafen anzuordnen, wenn eine Tat durch Vorurteile motiviert war. Im Rahmen des Forschungsprojektes "When Law and Hate Collide" haben Michael Fingerle und sein Team potenzielle Opfer von Hasskriminalität befragt. "Uns hat interessiert, welche Bedürfnisse die Betroffenen haben, was sie sich von Gesetzen, Institutionen und Gesellschaft an Unterstützung wünschen", sagt Bonnes.

In den Ergebnissen sei deutlich geworden, dass die nächste Traumatisierung nach der Tat in den Polzeirevieren erfolge. "Der Empfang, der solchen Opfern auf dem Revier gemacht wird, ist oft eher kühl und unverständlich", erläutert Fingerle. Viele Opfer berichteten, sie seien von den Beamten nicht ernst genommen und erneut diskriminiert worden. Die Kapitalverbrechen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) etwa haben nicht nur bei den direkt Betroffenen Traumatisierungen ausgelöst, sondern bei vielen Menschen mit Zuwanderungsgeschichte. "Es ist offenbar so, dass die Geheimdienste nicht die Institutionen sind, die über privilegiertes, exklusives Wissen verfügen, um das in die Hand nehmen zu können." Das Vertrauen in Polizei und Justiz sei infolge des Umgangs mit den NSU-Verbrechen ein Stück weit abhanden gekommen.

Datenerfassung von Hassverbrechen gefordert

Karim Moustafa fordert, die Islamfeindlichkeit als Straftat zu erfassen. (Foto: DW/Hummel)
Karim Moustafa: "Islamfeindlichkeit muss als Straftat erfasst werden"Bild: U. Hummel

Um Hate Crime entgegenzuwirken, plädiert Michael Fingerle für die Einführung eines Monitoring in Deutschland - also des systematischen Erfassens von Hassdelikten. "Wir brauchen eine Datenbank, in der solche Straftaten erfasst werden, aufgeschlüsselt nach Zielgruppen und Häufigkeiten", sagt der Professor für Sonderpädagogik. Dadurch erst würden Hassverbrechen überhaupt sichtbar gemacht.

Die Bekämpfung der Hasskriminalität in Europa stand Mitte November im Mittelpunkt der EU-Grundrechte-Konferenz, die am 12./13. November in Vilnius stattfand. Es gehe darum, die Rechte der Opfer anzuerkennen und Hassverbrechen sichtbar zu machen, sagt Karim Moustafa, der die Anliegen des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD) vertritt. "Islamfeindlichkeit muss als Straftat erfasst werden. Es kann nicht sein, dass wir in Deutschland weiterhin im Mittelfeld der Europäischen Union liegen, was die Datenerhebung betrifft", sagt der Sozialwissenschaftler.

Hasskriminalität sei jedoch nur die Spitze des Eisbergs. "Wir haben ein massives Problem, was die Alltagsdiskriminierung angeht. Insbesondere im Bildungsbereich, bei der Wohnungssuche oder auch auf dem Arbeitsmarkt", sagt Karim Moustafa. Dort hätten Muslime und andere Minderheiten große Probleme. Diese anzuerkennen und nach Lösungen zu suchen, gehöre aus muslimischer Sicht zu den wesentlichen Zielen für Deutschland.