Blasphemie in der Kunst
20. September 2012Die Mutter Gottes hat ihr nacktes Kind übers Knie gelegt und versohlt ihm den Hintern so heftig, dass sein Heiligenschein auf den Boden fällt. Das Bild "Die Jungfrau züchtigt das Jesuskind vor drei Zeugen" von Max Ernst (1926) löste einst großes Aufsehen aus. Nicht etwa durch die Darstellung, sondern, weil sich der Heiligenschein nicht mehr an der rechtmäßigen Stelle befindet.
Ein giftgrüner Frosch hängt am Kreuz und hält einen Bierkrug in der Hand – diese Skulptur des Künstlers Martin Kippenberger wird 2008 im norditalienischen Bozen ausgestellt, kurz bevor der Papst zu Besuch kommen soll. "Weg mit dem Dreck" heißt es da aus hunderten erboster Christenkehlen, vor dem Museum finden Mahnwachen statt, ein Politiker tritt gar in einen Hungerstreik. Auch der Papst ist von dem Frosch nicht begeistert.
Ein Aufschrei geht durch die christliche Gemeinde, als 1979 der Monthy Python-Film "Das Leben des Brian" in die Kinos kommt. In den USA und in England gehen christliche Gruppen auf die Barrikaden und sprechen von "einem bösartigen Angriff auf das Christentum". In Norwegen darf der Film zunächst gar nicht gezeigt werden.
Betende Frauen vor den Kinos
Es gibt unzählige Beispiele, in denen die Kunst ihre Freiheiten ausreizt. 1988 zeigt Martin Scorseses Film "Die letzte Versuchung Christi" Gottes Sohn als zerrissenen Menschen, der sich nicht nur ständig selbst in Frage stellt, sondern auch sexuelle Bedürfnisse hat. Aus Protest läuten in Venedig einen Tag lang sämtliche Kirchenglocken. Es gibt wütende Proteste, in Frankreich wird ein Kino, das den Film zeigt, in Brand gesetzt. In Deutschland will die Kirche mit Protestnoten und Unterschriftensammlungen ein Verbot durchsetzen.
Ganz frisch: Der Regisseur Ulrich Seidl zeigt bei den Filmfestspielen in Venedig den zweiten Teil seiner "Paradies"-Trilogie: In "Paradies: Glaube" masturbiert seine Protagonistin mit einem Kreuz und fegt wütend ein Papstporträt von der Wand. Eine ultra-katholische Gruppe erstattet daraufhin Anzeige wegen Gotteslästerung.
Wird Kunst etwa nicht richtig verstanden?
Seidl wollte den religiösen Fanatismus einer einsamen Frau hervorheben. Seine Mittel sind drastisch, aber sehr anschaulich. Die Monthy Python-Truppe wollte unter anderem zeigen, wie schnell man einem blinden religiösen Dogmatismus verfallen kann, wie schnell das Bedürfnis, sich einer Autorität zu unterwerfen, zu schwer kontrollierbaren Massenbewegungen führen kann.
So wird die Hauptfigur Brian zum Messias erkoren. Der will es gar nicht sein – die Masse folgt ihm trotzdem zu hunderten ("Du BIST der Messias, und ich muss es wissen, denn ich bin schon einigen gefolgt!"). Die Meute will sogar einen "Ungläubigen" töten, religiöser Fanatismus pur – dieser Film entstand lange vor den ersten Ausschreitungen wütender Muslime wegen vermeintlicher Gotteslästerung.
Viele Künstler, Filmemacher und Musiker wollen mit ihren Provokationen Zeichen setzen. Sie wollen nicht die Religion oder den Glauben in Frage stellen, eher die Art, wie Religion instrumentalisiert wird. In der Kunst gibt es die vielfältigsten Mittel, das auszudrücken. Dazu gehört auch die Grenzüberschreitung.
Petra Bahr, die Kulturbeauftragte der evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) geht noch weiter: "Kunst versucht, mit Tabus, mit Wahrnehmungsschranken so umzugehen, dass sie ein neues Bild von der Welt zeichnet. Und die Religion ist so leicht zu reizen an dieser Stelle. Weil die heiligen Schranken, mit denen sich konservative Gläubigen gerne umgeben, die Künstler geradezu herausfordern, sie wieder einzureißen."
Wo sind die Grenzen?
Kritik üben, Missstände anprangern, ungemütliche Wahrheiten aussprechen – das ist, sollte man meinen, in Deutschland überhaupt kein Thema. Hier herrscht Meinungsfreiheit, hier gibt es keine Zensur. Blasphemie in der Kunst ist selbstverständlich, ja sogar salonfähig. Wäre da nicht der Prophet Mohammed, bei dem die wachsende muslimische Gemeinde in Deutschland keinen Spaß versteht. Noch bleibt alles ruhig hierzulande, man ist zwar verärgert über die Beleidigungen des Propheten im so genannten "Mohammed-Video", bleibt aber besonnen und distanziert sich von den wütenden Protestlern, die seit Tagen in vielen arabischen Ländern auf die Straße ziehen.
Schon im Juni, als der Film noch nicht so bekannt war wie jetzt, löste der Schriftsteller Martin Mosebach mit seinem Essay "Kunst und Religion – vom Wert des Verbietens" eine heftige Debatte aus. Er plädierte darin für die Einführung von Zensur, dafür, dass Blasphemie härter bestraft werden sollte.
Einen entsprechenden Paragrafen gibt es schon im deutschen Gesetzbuch. Danach macht sich strafbar, "wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören". Dafür gibt es bis zu drei Jahre Gefängnis. Zu wenig, meint Martin Mosebach und findet, es fördere das soziale Klima, wenn Blasphemie wieder gefährlich werde.
Eine hitzige Debatte
Mit dieser Meinung steht Mosebach ziemlich alleine da. Beispiele für Künstler, die um ihr Leben fürchten müssen, gibt es genug. Schon 1987 bekam der Showmaster Rudi Carell Polizeischutz, weil er in einem Fernsehsketch den iranischen Religionsführer Ayatollah Khomeini zeigte, wie er mit Damenunterwäsche beworfen wurde.
Kurz darauf die Fatwa gegen den Schriftsteller Salman Rushdie. 2004 der Mord am Filmemacher Theo van Gogh. Seit 2005 lebt der dänische Zeichner Kurt Westergaard unter Polizeischutz. Gerade wieder muss sich ein iranischer Rapper vor seinen Verfolgern verstecken. In solchen Zeiten, so Petra Bahr von der EKD, seien die Äußerungen Mosebachs irritierend: "Wenn man sich überlegt, was das für Künstler im Iran oder in Afrika oder in Afghanistan heißt, wird wohl deutlich, wie grotesk diese Forderung ist. Denn dass wir es in Westeuropa nach vielen blutigen Auseinandersetzungen gelernt haben, die Meinung des Anderen auch dann ertragen zu müssen, wenn sie uns wahnsinnig macht oder wirklich wütend oder erregt, das ist das, was die westliche Kultur, was Europa im Grunde ausmacht."
Blasphemie verkauft sich gut
Nicht zuletzt war es schon immer so, dass Provokationen in der Kunst viel Aufmerksamkeit bekommen. Manche nehmen es wohl auch in Kauf, dass in einigen Ländern Steine fliegen, wenn man Zeichnungen veröffentlicht, die für manche Menschen schwer erträglich sind.
Petra Bahr findet es durchaus richtig, dass Menschen ihre verletzten religiösen Gefühle artikulieren können. "Sie können auch demonstrieren oder sagen: 'So geht das nicht'. Oder auch mal begründen, warum ihnen etwas so sehr weh tut. Das ist ja oft überhaupt gar nicht mehr der Fall, dass Menschen eine Ahnung haben, warum andere Leute eigentlich so verletzt sind."
Diese Frage stellt sich jedes Mal, wenn eine wütende Meute im Namen ihrer Religion Häuser anzündet und gar Menschen tötet. Die Macher des Films "Leben des Brian" sind skeptisch, ob so ein Film angesichts der aggressiven Überreaktionen religiöser Fundamentalisten heutzutage gedreht werden könnte.
Weniger vorsichtig ist da die Popsängerin Madonna, die ihre Bühnenshow mit einer explosiven Mischung aus Sex und Religion aufpeppt. Der Vatikan hat sie schon lange auf dem Kieker. Ihr Song "Like a prayer" (1989) verursachte wegen brennender Kreuze einen Riesenskandal, belegte die Chartsspitzen weltweit und verkaufte sich fast 10 Millionen Mal.