Werden in Albanien künftig EU-Asylanträge bearbeitet?
9. November 2023Albaniens Ministerpräsident Edi Rama wies den Vorschlag empört zurück. Sein Land werde "niemals" akzeptieren, für die Europäische Union Flüchtlingslager einzurichten. Albanien sei kein Land, in dem man "verzweifelte Menschen abladen" könne "wie Giftmüll, den niemand will". Es sei eine "gefährliche Lösung, Albanien zum Wellenbrecher für Europas Flüchtlinge" machen zu wollen. Auch als Gegenleistung für einen EU-Beitritt werde sein Land keine Flüchtlingszentren einrichten.
So sagte es Albaniens Regierungschef der deutschen Bild-Zeitung im Jahr 2018. Was Rama damals "niemals" wollte, soll nun umgesetzt werden - auf einem ehemaligen Militärgelände nahe des Ortes Gjader in Nordwestalbanien, wenige Kilometer von der Adria-Küste entfernt. Laut einer Absichtserklärung, die der albanische Premierminister Edi Rama und seine italienische Amtskollegin Giorgia Meloni Anfang der Woche (06.11.2023) in Rom unterzeichneten, soll hier ein Aufnahmezentren für Asylsuchende in Europa errichtet werden. Albanien will den italienischen Behörden das Gelände ohne Entschädigung überlassen.
Das Vorhaben sorgt derzeit für viele Schlagzeilen und auch für Unruhe in der europäischen Politik. Denn Meloni und Rama haben es offenbar im Alleingang beschlossen. "Sollte das Projekt zustande kommen, so wäre es das erste Mal, dass eine solche Idee wirklich in die Tat umgesetzt wird", sagt Ruud Koopmans, Migrationsexperte an der Berliner Humboldt-Universität, der DW.
Sicheres Drittland
Zwar gab es auch in der Vergangenheit Versuche, Asylaufnahmezentren außerhalb der EU einzurichten, jedoch ohne Erfolg. Im August 2023 war ein ähnlicher Deal der EU mit Tunesien geplatzt. Und ein britisches Gericht stoppte im Juni 2023 ein Flüchtlingsabkommen zwischen Großbritannien und Ruanda, da der zentralafrikanische Kleinstaat kein sicheres Drittland sei.
Für das Meloni-Rama-Abkommen würde zumindest letzteres Argument nicht gelten. Denn das Balkanland, das von Italien nur durch das Adriatische Meer getrennt ist, hat in der EU seit langem den Status eines sicheren Drittlandes. Laut dem Abkommen sollen nach Albanien diejenigen Migranten gebracht werden, die die italienische Küstenwache auf hoher See rettet oder einsammelt. Ausgenommen sollen Kinder, Frauen und Familien sein.
Albanien als Abschreckung
Bis zu 36.000 Flüchtlinge im Jahr hofft die rechtspopulistische Premierministerin Italiens so von ihrem Land fernzuhalten. 145.000 Migranten seien laut Eurostat alleine in diesem Jahr nach Italien gekommen. Das Abkommen, dessen Text mittlerweile veröffentlicht wurde, sieht vor, dass die Asylverfahren von italienischen Behörden nach italienischem Recht durchgeführt werden. Wem das Recht auf Schutz zuerkannt wird, der soll nach Italien gebracht werden. Diejenigen, die abgewiesen werden, sollen schnell abgeschoben werden.
Das klingt einfacher als es ist, denn in der Praxis kooperieren die Herkunftsländer oft nicht und händigen keine Dokumente für die Abschiebekandidaten aus. "Das ist ein Problem, dem sich auch Albanien stellen muss. Aber wenn Menschen wissen, dass sie in Albanien warten müssen, wenn sie abgelehnt werden, wird es weniger attraktiv für sie, viel Geld an Schlepper zu zahlen", sagt Migrationsexperte Koopmans.
Gefahr der sekundären Migration
Pellumb Nako, der unter Ramas Vorgängerregierung Direktor der Abteilung Grenz- und Migrationsmanagement bei der staatlichen Polizei war, sieht noch ein weiteres Problem: "Flüchtlinge werden versuchen, von Albanien aus illegal die Grenze zu Montenegro und dann weiter nach Kroatien zu überqueren", so Nako. "Und dann ist die Frage: Wenn sie in Kroatien Asyl beantragen und abgelehnt werden, wohin werden sie dann abgeschoben? Nach Albanien oder nach Italien?" Geklärt sei das noch nicht, so der Experte.
Die EU reagierte verhalten auf das Abkommen. Man wolle weitere Details sehen, so die Kommission in Brüssel. Die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson sagte, das Abkommen müsse in voller Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen für Flüchtlinge stehen.
Die Bundesregierung äußerte sich bisher nicht zum Meloni-Rama-Deal. Aber auch Deutschland wolle die Möglichkeit von Asylanträgen außerhalb der EU prüfen, so eine Regierungssprecherin am Mittwoch in Berlin auf Anfrage der DW. Allerdings wies sie darauf hin, dass es schwierig sei, Länder zu finden, die bereit seien, Aufnahmezentren einzurichten.
"Italien ruft, Albanien antwortet"
Der Innenminister Albaniens, Taulant Balla, sagte der DW, Albanien werde keine weiteren Aufnahmezentren einrichten. Das italienische Aufnahmezentrum sei eine Ausnahme, weil Italien sehr viel für Albanien getan und "uns in Krisenzeiten sehr viel geholfen" habe. Er spielte damit auf die Zeit ab 1991 an, als zahlreiche Albaner vor den Wirren nach dem Ende der kommunistischen Herrschaft über das Meer nach Italien flohen. Auch in den Folgejahren unterstützte Italien Albanien wirtschaftlich und finanziell. Der albanische Premierminister Edi Rama fasste diese besondere Beziehung Albaniens zu Italien mit einem Satz zusammen: "Italien ruft, Albanien antwortet", so Rama nach der Pressekonferenz mit Meloni.
Genc Pollo, ehemaliger Vize-Premierminister und Mitglied der oppositionellen Demokratischen Partei (PD), glaubt nicht an dieses Narrativ: Rama wolle sich vielmehr bei den EU-Spitzen einschmeicheln und sie dazu bringen, über seine persönlichen Korruptionsskandale und Demokratieverstöße hinwegzuschauen, so Pollo zur DW. In der Tat erteilte der am Mittwoch (08.11.2023) erschienene Fortschrittsbericht der EU-Kommission in Brüssel Albanien eine schlechte Note bei der Bekämpfung der Korruption.
Von Akzeptanz bis zu Verschwörungstheorien
Die albanische Öffentlichkeit ist in der Frage des Abkommens offenbar gespalten, wie Straßenumfragen albanischer Fernsehsender zeigten: Manche Befragte finden, man solle Menschen in Not helfen, andere machen sich Sorgen um die Sicherheit im Land.
Die parlamentarische Opposition beklagt insbesondere die Tatsache, dass das Abkommen vorher geheim gehalten wurde und kündigte eine parlamentarische Fragestunde an. Der rechte Flügel der Oppositionspartei um den ehemaligen Premierminister Sali Berisha nennt Rama einen "Verräter".