Werder Bremen nah am Abgrund
12. Februar 2020Vier Deutsche Meisterschaften, sechs DFB-Pokalsiege und ein Erfolg im Europapokal der Pokalsieger - die Titelsammlung des SV Werder Bremen ist beeindruckend. Die Bremer spielen ihre 56. Bundesliga-Saison, so viele hat kein anderer Verein auf seinem Konto. Erst einmal sind die Grün-Weißen abgestiegen, 1980. Und nach nur einem Jahr in der 2. Liga waren sie zurück im Oberhaus und starteten unter Trainer Otto Rehhagel in ihre erfolgreichste Ära.
Doch die rosigen Zeiten sind lange vorbei. Tatsächlich ist die Lage in Bremen so bedrohlich wie seit 39 Jahren nicht mehr. 17 Punkte nach 21 Spieltagen, lautet die traurige Ausbeute. Rang 17, Abstiegsplatz, schon vier Zähler Rückstand auf das "rettende Ufer".
Nur noch Schadensbegrenzung
Nun soll ausgerechnet Leipzig der Ort sein, an dem Werder Bremen wieder gesunden soll. Beim Tabellenzweiten RB tritt Werder am Wochenende zum nächsten Auswärtsspiel an. Trainer Florian Kohfeldt hat seiner Mannschaft ein Kurz-Trainingslager verordnet, in dem sich die Spieler voll und ganz auf ihre Aufgaben konzentrieren können. "Wir wollen alle Störfaktoren, die da sind, hinter uns lassen. In einem Trainingslager hast du eine erhöhte Fokussierung, du kannst besser Einzelgespräche führen", sagt der Werder-Coach.
Eigentlich hatten Kohfeldt und sein Team vor der Saison die Teilnahme an einem internationalen Wettbewerb als Ziel ausgegeben. Doch seit 2010 ist der SV Werder nicht mehr im Europapokal dabei gewesen. Meistens stand man am Ende der Saison auf einem zweistelligen Tabellenrang. Zwei achte Plätze (2017 und 2019) waren noch das beste Ergebnis. Auch in dieser Spielzeit stehen für den norddeutschen Traditionsklub nur noch Schadensbegrenzung und der nackte Überlebenskampf auf der Agenda.
Auch Pokalsieg bringt keinen Aufschwung
"Wir sind uns sehr bewusst, in welcher Situation wir sind und dass wir auf nichts zu warten haben. Wir haben jetzt zu punkten, egal wer der Gegner ist", sagt Kohfeldt. Der 37-Jährige gibt sich kämpferisch und erhöht den Druck auf seine Spieler. Sieben Pleiten aus acht Partien haben den freien Fall der Bremer verursacht. Die Lage ist bedrohlich wie lange nicht mehr an der Weser. Auch für Kohfeldt?
Bremens Sportchef Frank Baumann, normalerweise ein Mann der bedachten Worte, scheint mittlerweile die Geduld zu verlieren. Allerdings nicht mit dem Coach, sondern vielmehr mit den Werder-Profis, die eine geradezu absurd schwache Saison spielen. "Wir haben wieder ein Spiel weggeschenkt. Es wird ungemütlich werden", sagte Baumann nach der 0:2-Heimniederlage gegen Union Berlin - und meinte damit die Spieler. Den Trainer nahm Baumann nach der Union-Pleite ausdrücklich in Schutz. "Es bleibt dabei, dass wir daran arbeiten werden, gemeinsam da unten rauszukommen", sagte der 44-Jährige. "Flo kann kein Tor schießen oder verhindern. Die Mannschaft ist gefordert, ihm und auch dem Verein etwas zurückzugeben."
Die Heimniederlage gegen Berlin war bereits die siebte Pleite (1 Sieg, 2 Remis) in der einstigen Festung Weserstadion in dieser Spielzeit. Selbst der geradezu sensationelle Sieg im Achtelfinale des DFB-Pokals gegen Borussia Dortmund drei Tage zuvor brachte keinen Aufschwung im Bundesliga-Alltag.
Trübe Grundstimmung
Nicht nur aufgrund der misslichen Tabellenlage, sondern auch wegen der kommenden sportlichen Aufgaben benötigen die Bremer allerdings dringend Verbesserungen in allen Bereichen. Nach der Partie in Leipzig kommen schließlich Borussia Dortmund und Eintracht Frankfurt an die Weser. Sollte gegen diese favorisierten Teams kein Überraschungserfolg gelingen, rückt der Abstieg immer näher. Und anders als in den 80er Jahren ist ein sofortiger Wiederaufstieg nicht garantiert. Die ohnehin nicht so finanzstarken Bremer müssten weitere finanzielle Einbußen hinnehmen, was in Zeiten immer weiter steigender Transfersummen die Neu-Orientierung zusätzlich erschweren würde.
Am vergangenen Samstagabend gab Werder-Profi Niklas Moisander mit Blick auf die anstehenden Aufgaben einen bemerkenswerten Einblick in die Grundstimmung im Team. "Ich bin ehrlich. Im Moment gibt es nicht so viel, das Mut macht", sagte Moisander. Spätestens bis zum Anpfiff in Leipzig sollte das Team eine mentale Trendwende hinbekommen. Denn sonst dürften auf den einst sportlich so großen Klub weitere Auflösungserscheinungen zukommen.