Mit Religion gegen das Ebola-Virus
8. August 2014Verstirbt ein Familienmitglied, ist dies schon schockierend genug. Doch in Guinea, Sierra Leone und Liberia, wo bereits mehr als 880 Menschen am Ebola-Virus gestorben sind und sich täglich weitere Menschen infizieren, zwingt die Epidemie die Menschen zur Verhaltensänderung. Gesundheitsexperten mahnen zu besonderer Vorsicht beim Umgang mit Toten: Der leblose Körper soll nicht mehr berührt werden. Die Ansteckungsgefahr ist zu groß.
Je nach Tradition werden Verstorbene gewaschen oder aufgebahrt. Berührungen während der letzten Verabschiedung sind nun aber tabu. "Das ist sehr, sehr schwierig", sagt Pater Peter Konteh im Gespräch mit der Deutschen Welle. Er ist Direktor der Caritas in Freetown, der Hauptstadt von Sierra Leone. "Bei uns ist körperliche Nähe bei Beerdigungen üblich. Familienmitglieder und die religiösen Amtsträger berühren die Toten, segnen sie." Er kenne Imame, die gestorben seien, wohl weil sie sich bei ihrer Arbeit infiziert hätten.
Internationale Helfer der Weltgesundheitsorganisation (WHO), "Ärzte ohne Grenzen" und andere Gruppen warnen deshalb so gut es geht vor der Ansteckungsgefahr. Sie bringen Regeln und Vorschriften mit, verteilen Flyer. "Diese Teams stehen oft unter einem enormen Druck", sagt Hansjörg Dilger, Professor für Ethnologie an der Freien Universität Berlin. "Von ihnen wird erwartet, dass sie die Situation schnell in den Griff bekommen." So fehle den Helfern oft die Zeit, um auf die Bedürfnisse der Menschen einzugehen oder auch nur darüber nachzudenken, "wie die Bevölkerung an zwischenmenschlichen Umgangsformen festhalten kann, um ein würdevolles Kranksein und Sterben zu ermöglichen".
Nach Anweisung der Regierung von Sierra Leone dürften Leichname dort nicht beerdigt, sondern müssen verbrannt werden. Angehörige begannen, Verstorbene zuhause zu verstecken, berichten Medien. Ganz anders in Liberia: Dort beschweren sich Anwohner nach Medienberichten, dass niemand die Toten berühren mag und die Behörden sie folglich auch nicht abholten.
Vorbehalte gegen staatliche Institutionen sind groß
Die Skepsis gegenüber den Behörden sei nicht neu, sondern beruhe auf schlechten Erfahrungen, weiß Ethnologe Dilger. Doch nun kollidiere die zögerliche Haltung der Bevölkerung mit staatlichen Bemühungen, die Verbreitung der Krankheit schnell einzudämmen: "Die Versorgung von Kranken findet häufig gar nicht in den Krankenhäusern statt, mangels eines funktionierenden öffentlichen Gesundheitssystems, sondern wird notwendigerweise von Familien selbst übernommen", sagt der Afrika-Experte Dilger. Die Verantwortung nun an die internationalen Helfer abzugeben, falle den Menschen schwer.
Pater Konteh aus Sierra Leone berichtet von Menschen, die kranke Angehörige wieder aus Gesundheitszentren herausholten, weil sie gesehen hätten, dass andere nicht wieder lebend heraus kamen. Stattdessen hofften sie auf die Hilfe von traditionellen afrikanischen Heilern.
Die Verzweiflung können diese womöglich eher lindern, als unnahbare Fremde in weißen Kitteln und Anzügen. "Wenn Epidemien ausbrechen, wird schnell die Sinnfrage gestellt: Warum sterben so viele Menschen so plötzlich?", sagt Ethnologe Dilger. "In manchen Fällen glauben Menschen dann auch an Ursachen, die nicht durch die medizinischen Spektren abgedeckt werden, wie zum Beispiel Hexerei." Dies bedeute jedoch nicht, dass westlich-medizinische Konzepte nicht bekannt sind oder generell nicht akzeptiert werden. "Diese liefern vielmehr keine Antwort auf die moralischen Sinnfragen, die das rasche Sterben nahestehender Menschen aufwerfen."
Prävention im Gebetsraum
Haben religiöse Riten die Verbreitung von Ebola anfangs begünstigt - etwa Beerdigungszeremonien - so will man den Spieß jetzt umdrehen. Religion soll bei der Seuchenbekämpfung helfen. Pater Konteh etwa nutzt den christlichen Gottesdienst als Informationsveranstaltung. Er erklärt, wie die Krankheit sich verbreitet und was man dagegen tun kann. "Über die Hälfte der Bewohner Sierra Leones gehen in die Kirche oder Moschee", sagt er.
Gerade ist Konteh auf dem Weg zu einem Treffen in Freetown mit Vertretern der Muslime, Christen, Mitarbeitern der WHO und der Regierung. Dort will man sich einigen auf die eine, "die richtige" Nachricht, die sie weitergeben wollen. Selbst diejenigen, die nicht zum Gottesdienst gingen, versuche er zu erreichen. "Vorgestern bin ich mit einigen anderen Caritas-Mitarbeitern durch die Slums gelaufen, mit dem Megaphon." Schließlich habe nicht jeder ein Radio. Auch so vermittelt er Informationen zur Prävention. Fraglich ist allerdings, wie vielen Bewohnern es überhaupt möglich ist, alle hygienischen Vorkehrungen zu treffen.