Westerwelle auf Abschiedstour in New York
29. September 2013Gemessenen Schritts geht der deutsche Noch-Außenminister zum Rednerpult und legt in seiner Muttersprache die Positionen der Bundesregierung zu Syrien, Iran, dem Nahostkonflikt und - eine kleine Überraschung - zum Datenschutz im Internet dar. Letzteres als Reaktion auf die ausgreifenden Überwachungsaktivitäten der Amerikaner, die in Europa Besorgnis und Bestürzung ausgelöst hatten.
Rheinländer mit preußischen Tugenden
Es ist scheinbar wie immer: Westerwelle zeigt kaum persönliche Regungen. Er wirkt gesammelt und konzentriert. Eine perfekte Vorstellung. Nichts weist darauf hin, dass es vermutlich seine letzte Rede vor der UN-Vollversammlung sein wird. Aber auch bei den Vereinten Nationen wissen viele: Nach dem verheerenden Ergebnis seiner Partei bei der Bundestagswahl wird er der nächsten Bundesregierung nicht mehr angehören.
Der gebürtige Bonner hat sich hier in New York noch einmal als Rheinländer mit preußischen Tugenden gezeigt: Mit hoher Selbstdisziplin absolviert er fünf Tage lang ein kräfteraubendes Programm. "Es versteht sich von selbst, dass ich meine Arbeit pflichtgemäß zu Ende bringe", erklärt Westerwelle den Journalisten draußen vor der deutschen UN-Vertretung die Entscheidung, warum er trotz vorhersehbarem Karriereende nach New York gekommen ist.
"Bis dann eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger das Amt übernehmen, soll jeder sich darauf verlassen können, dass Deutschland nach innen und nach außen auch in einem solchen Fall einer Regierungsbildung in vollem Umfang handlungsfähig ist." Der krisenerprobte Westerwelle gibt sich sehr viel Mühe, gefasst zu wirken. Doch er kann nicht verhindern, dass bei diesen Worten leichte Röte in sein Gesicht steigt.
Nur wenig emotionale Regungen
Dass er ein Außenminister auf Abruf ist, vertritt Westerwelle hier in New York offensiv. "Natürlich freue ich mich nicht über den Ausgang der Wahl in Deutschland was das Abschneiden meiner eigenen Partei angeht. Aber das ist hier in New York kein Thema, hier gehen wir alle professionell miteinander um." Irgendwo, so Westerwelle, habe immer irgendjemand auch Wahlen mit Bestätigungen oder Veränderungen von Regierungen. Und dann wird er doch ein Spur emotionaler: "Natürlich ist es so, dass viele Kollegen zu einem ein sehr persönliches Verhältnis haben. Aber das hört ja nicht auf mit dem Amt."
Lob der Amerikaner für den Minister auf Abruf
Keiner seiner von langer Hand geplanten Termine ist abgesagt worden, hört man von den mitreisenden Diplomaten, die dabei dennoch etwas bedrückt dreinblicken. Wird Westerwelle dann auch noch außerhalb des UN-Zirkels Aufmerksamkeit zuteil, macht das die ministerielle Hängepartie sogar komfortabel. In der Zeitung ist nachzulesen, dass der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Ronald S. Lauder, bei einem eigens zu seinen Ehren ausgerichteten Empfang in der "Neuen Galerie" in der 5th Avenue voll des Lobes war und Westerwelle als "einen der charismatischsten Politiker, den ich je traf" feierte.
Schärfer könnte der Kontrast kaum sein, versetzt man sich vier Jahre zurück, als Westerwelle in den USA ein "Nobody" war und ihm allenfalls Negativ-Einschätzungen vorauseilten. "Ich bin mir bewusst, dass die Erwartungen damals innerhalb und außerhalb Deutschlands ziemlich niedrig waren", sagt Fiona Hill, Direktorin des Zentrums für die Vereinigten Staaten und Europa bei der Washingtoner Brookings Institution. "Aber er ist wirklich gewachsen und hat aus sich selbst heraus Ansehen erworben." Hill erinnert sich gegenüber der Deutschen Welle an eine ihrer Begegnungen mit dem damals gerade frisch ernannten Minister - inmitten der Euro- und Finanzkrise: "Er gab eine eindrucksvolle Vorstellung in Englisch und hat das Publikum hier in Washington in Bann gezogen mit seiner Darstellung der Rolle Deutschlands in Europa."
Westerwelles persönlicher Erfolg in New York
Westerwelle ist Polit-Profi und hat es in New York mit Seinesgleichen zu tun. Mit eiserner Disziplin sieht und spricht er sie alle: Vom UN-Generalsekretär und den Außenministern der fünf Vetomächte im UN-Sicherheitsrat bis zum neuen iranischen Präsidenten Rohani. Und es ist klar erkennbar, dass der Durchbruch zu einem Verhandlungszeitplan mit dem Iran auch sein ganz persönlicher Erfolg ist.
Mag Deutschland bei der Erarbeitung der einstimmig verabschiedeten Syrien-Resolution des UN-Sicherheitsrates eher abseits gestanden haben: Beim Iran agieren die deutschen Diplomaten im Zentrum des Geschehens. Dass es jetzt in Genf zu ernsthaften Gesprächen über das iranische Nuklearprogramm kommt, ist auch Westerwelles gutem Draht zur neuen iranischen Führung zu verdanken. Dies mag man auf der Habenseite seiner Bilanz verbuchen, die keinesfalls ungetrübt ist.
Gemischte Bilanz
In seiner Rede vor der Vollversammlung hat Westerwelle nochmals eine Reform der UN angemahnt und für Deutschland einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat gefordert. Dieses Anliegen, an dem schon Vorgängerregierungen scheiterten, hat er nicht verwirklichen können. Auch mit seiner Initiative zur Nuklearen Abrüstung, die er jetzt wieder erwähnte, ist Westerwelle stecken geblieben. Unvergessen ist das heftig umstrittene Abstimmungsverhalten der Deutschen zur Einrichtung einer Flugverbotszone in Libyen.
Fiona Hill nennt das einen "harten Schlag", von dem sich Westerwelle und Merkel mittlerweile wieder erholt hätten. Allerdings sieht Hill mit Blick auf die internationalen Krisen generell eine "Frustration in den USA über den Stil deutscher Politik". Während die Amerikaner möglichst zeitnah konkrete Aktionen verabreden wollten, wirkten die Deutschen zögerlich und benötigten viel Zeit für komplexe Abstimmungsvorgänge. Wer dies allerdings allein dem Außenminister anlastet, verkennt die Realitäten deutscher Politik. Längst werden die zentralen außenpolitischen Projekte vom Kanzleramt gesteuert - seien es die Europapolitik oder die Beziehungen zu wichtigen Mächten wie Russland, China oder eben den USA. Dass Westerwelle den Bedeutungsverlust des Auswärtigen Amtes nicht aufhalten konnte, hat man auch in Washington aufmerksam registriert.
Was wird aus Westerwelle?
Am Rande der UN-Vollversammlung hat sich Westerwelle keine Bemerkungen entlocken lassen, wie es mit ihm persönlich nach dem Ausscheiden aus dem Amt weitergeht. Kaum vorstellbar, dass der 51-Jährige, der sein ganzes Berufsleben mit Haut und Haaren Politiker war, nun nur noch Kunst sammelt oder sich als Redner kostenpflichtig andient.
"Ich würde Guido Westerwelle gerne weiterhin in einer öffentlichen Rolle sehen", wünscht sich Fiona Hill. "Mit seiner eigenen Geschichte und seiner Biografie, da gibt es viel, was er auf der europäischen oder internationalen Bühne tun kann."