Westerwelle in Lateinamerika
8. März 2010Acht Tage nach dem Erdbeben der Stärke 8,8 auf der Richterskala traf Bundesaußenminister Guido Westerwelle in der chilenischen Hauptstadt Santiago mit seinem Amtskollegen Mariano Fernández sowie dem designierten Präsidenten Sebastián Piñera zusammen. Piñera tritt an diesem Donnerstag (11.03.2010) sein Amt an.
Das Auswärtige Amt sprach von einem "Solidaritätsbesuch", der die deutsche Unterstützung für Chile zum Ausdruck bringen solle. Westerwelle übergab Hilfsgüter im Wert von 630.000 Euro, darunter einen Stromgenerator, Zelte, Decken, Wasserbehälter und ein Dialysegerät. Auch ein Team des Technischen Hilfswerks (THW) war mit an Bord der Regierungsmaschine. Die vier Experten sollen in der am schwersten von dem Erdbeben zerstörten Stadt Concepción die Statik von möglicherweise einsturzgefährdeten Gebäuden prüfen.
Argentiniens Schulden
Der Abstecher nach Chile war angesichts der Zerstörungen durch das Erdbeben nachträglich ins Reiseprogramm eingefügt worden. Die eigentliche Lateinamerika-Reise des Bundesaußenministers begann am Montag in Argentinien, wo Westerwelle mit Präsidentin Christina Kirchner zusammentraf. Im Mittelpunkt der Gespräche standen dabei die Auslandsschulden Argentiniens und das Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem südamerikanischen Wirtschaftsbündnis Mercosur.
Westerwelle appellierte an die argentinische Regierung, die Schulden bei den Mitgliedsländern der Pariser Clubs zu begleichen. "Die argentinische Regierung hat 2008 ihre Absicht bekundet, die Schulden Schritt für Schritt zu bezahlen. Wir vertrauen darauf, dass es hier weitere Fortschritte geben wird", so Westerwelle gegenüber der argentinischen Tageszeitung La Nación. Seit dem Staatsbankrott von 2002 steht Argentinien gegenüber den 19 Mitgliedsländern der informellen Gläubigergruppe mit rund 4,6 Mrd. Euro in der Kreide, ein Drittel davon entfällt allein auf Deutschland. Aufgrund der Rückstände gibt es in Deutschland derzeit keine Versicherungsdeckung für Exportkredite, die Lieferungen an staatliche Abnehmer in Argentinien finanzieren.
2005 hatte Argentinien seine privaten Gläubiger zu einer Umschuldung mit einem Kapitalschnitt von etwa 50 Prozent gedrängt. Etwa ein Viertel der Gläubiger weigerte sich jedoch, auf dieses Angebot einzugehen. Bis heute stehen noch Forderungen in Höhe von etwa 20 Milliarden Dollar offen. Ende 2005 hatte das Land seine Schulden beim Internationalen Währungsfonds (IWF) in voller Höhe gezahlt.
"Argentinien ist als Markt und Produktionsstandort sehr attraktiv für deutsche Unternehmen", betonte Außenminister Westerwelle, der von einer Unternehmerdelegation auf seiner Lateinamerika-Reise begleitet wird. Das Land habe sich schnell von der weltweiten Finanzkrise erholt und verfüge über gut qualifizierte Arbeitskräfte. "Ich sehe auch großes Potenzial im Bereich der erneuerbaren Energien", fügte der der deutsche Chefdiplomat hinzu. Eine Tilgung der argentinischen Auslandsschulden würde das Land wieder attraktiv für deutsche Investitionen machen, ergänzte Westerwelle gegenüber La Nación.
Uruguays Wirtschaftspolitik
Auf der zweiten Etappe seiner Lateinamerikareise wird Westerwelle am Dienstag (09.03.2010) in Uruguay mit Staatspräsident José Mujica zusammentreffen, der seit dem 1. März im Amt ist. Schon vor seiner Vereidigung hatte der ehemalige Guerrilla-Kämpfer angekündigt, eine bescheidene Amtsführung zu seinem Markenzeichen machen zu wollen. 87 Prozent seines Präsidentengehaltes will Mujica für den Bau von Sozialwohnungen spenden. Ausländischen Unternehmern versicherte das neue uruguayische Staatsoberhaupt, es werde keine Verstaatlichungspolitik wie in Venezuela betreiben, sondern eine ähnliche Politik verfolgen wie der brasilianische Präsident Lula da Silva, der dank einer straffen Geldpolitik die Inflation in Brasilien gebremst, die wirtschaftliche Stabilität gestärkt und die Realeinkommen der ärmsten Bevölkerungsschichten gesteigert hat.
Diese Botschaft des uruguayischen Präsidenten dürfte gut ankommen beim FDP-Mann Westerwelle und den mitreisenden deutschen Unternehmern, die sich von der Südamerika-Tour gute Geschäftskontakte erhoffen. Die Staaten der Region sind besser durch die Weltwirtschaftskrise 2008/09 gekommen als manche europäische und asiatische Länder.
Brasilien: aufstrebende Regionalmacht
Brasilien ist das Hauptziel des Reise des deutsche Vizekanzlers und Außenministers, der am Mittwoch (10.03.2010) in Brasilia ankommt und anschließend Sao Paulo und Rio de Janeiro besuchen wird, von wo er am 12. März nach Berlin zurückfliegt.
Brasilien, das in den vergangenen Jahren international zunehmend an Einfluss gewonnen hat, gehört - ebenso wie Argentinien - zur Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G-20). Das Land hat zurzeit einen nicht-ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen inne. Deshalb werden auch der Streit um das iranische Atomprogramm und mögliche Sanktionen gegen Teheran bei den politischen Gesprächen in Brasilia eine Rolle spielen.
Westerwelle wird in Brasilien auch Niederlassungen deutscher Firmen besuchen, darunter VW und Siemens. Brasilien ist Deutschlands wichtigster Handelspartner in Lateinamerika. 2009 hat Deutschland Waren im Gesamtwert von 6,1 Mrd. Dollar nach Brasilien exportiert, in Gegenrichtung erreichten die Ausfuhren ein Volumen von 9,8 Mrd. Dollar.
Weitere Aufträge erhoffen sich deutsche Unternehmen von den beiden sportlichen Großereignissen, die in den nächsten Jahren in Brasilien stattfinden werden: Die Fußball-WM 2014 und die Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro. Mit einem milliardenschweren Modernisierungsprogramm sollen innerhalb der kommenden vier Jahr die Flughäfen des Landes renoviert und ausgebaut werden: drei Milliarden Euro sollen für den Umbau von 16 Flughäfen bereitgestellt werden. Zwischen den Metropolen Rio de Janeiro und Sao Paulo soll eine Hochgeschwindigkeitstrasse gebaut werden. Das Auftragsvolumen wird mit über 13 Milliarden Euro beziffert. Auch hier haben deutsche Unternehmer ihren Hut in den Ring geworfen. Bei seinem Deutschlandbesuch im Dezember 2009 hatte Präsident Lula da Silva unter anderem die ICE-Züge der Deutschen Bahn, die von Siemens gebaut werden, kennengelernt: Von Berlin nach Hamburg reiste das Staatsoberhaupt mit der Bahn.
Lateinamerika – der unterschätzte Kontinent
Für Westerwelle gilt Brasilien samt seinem charismatischen Präsidenten Lula da Silva als "strategische Region“ auf dem "immer noch unterschätzten Kontinent“ Lateinamerika. Westerwelle hatte in seiner Funktion als FDP-Chef zuletzt mehrfach großen Respekt dafür bekundet, wie vorwärtsgewandt etwa Brasilien, Uruguay und Chile Konsequenzen aus der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise gezogen hätten. Daraus zu lernen und der deutschen Wirtschaft, wo möglich, Türen zu öffnen, sei für ihn "Ansporn und Verpflichtung", so der deutsche Außenminister.
Traditionell gelten die Beziehungen zwischen Deutschland und Lateinamerika als eng, fest und gut. Deutsche Politiker, vom Bundespräsidenten über die Kanzlerin bis zu den Kabinettsmitgliedern verweisen immer wieder, fast schon gebetsmühlenartig, auf die historisch gewachsenen Beziehungen, auf die exzellenten Kontakte im Wissenschafts- und Kulturbereich, auf die gut funktionierenden wirtschaftlichen Beziehungen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Lateinamerika bislang einmal besucht. Vor knapp zwei Jahren war sie in Peru, Brasilien, Kolumbien und Mexiko. Ihr Amtsvorgänger Gerhard Schröder war sechs Jahre zuvor auch einmal in der Region gewesen. Bundespräsident Horst Köhler ist ebenfalls bislang einmal in Südamerika gewesen: 2007 besuchte er Brasilien, Paraguay und Kolumbien.
Allerdings spielt Lateinamerika in der deutschen Außenpolitik hinter Asien und Afrika –vor allem Bundespräsident Horst Köhler setzt sich stark für den europäischen Nachbarkontinent südlich des Mittelmeers ein – eine eher zweitrangige Rolle. Vielleicht sind gerade die weitgehende Konfliktfreiheit und vor allem auch die geographische Distanz eine Ursache dafür. Aus Lateinamerika droht Europa, zumal Deutschland, keine Terrorgefahr. Die Länder der Region gelten in der Mehrzahl als demokratisch gefestigt. Der Bürgerkrieg in Kolumbien, die ausufernde Drogengewalt in Mexiko, das sind Probleme, mit denen sich vorrangig die USA auseinandersetzen müssen, ebenso wie mit dem Putsch in Honduras.
Einwanderer aus Lateinamerika haben vorrangig Spanien als Ziel in Europa. Die Verantwortung für Lateinamerika wird innerhalb der EU, historisch begründet, Spanien, und in geringerem Maße Portugal, zugeschrieben. So wird auch in diesem Halbjahr, unter spanischer EU-Ratspräsidentschaft, wieder ein EU-Lateinamerika-Gipfel in Europa stattfinden, im Mai in Madrid.
Autorin: Mirjam Gehrke
Redaktion: Oliver Pieper