Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb
7. Juli 2011"Literarisches Scharfgericht", "Zentrum der Langeweile", "Show" - oder auch "der schönste Betriebsausflug der Literatur": seit seiner Gründung 1977 hat der Wettbewerb um den Ingeborg-Bachmann-Preis in der Heimatstadt der Dichterin, dem österreichischen Klagenfurt, schon viele – zum Teil sich widersprechende – Etiketten aufgedrückt bekommen. Vom 6. bis 10. Juni finden die "Tage der deutschsprachigen Literatur" zum 35. Mal statt. Der Schriftsteller Burkhard Spinnen ist seit etlichen Jahren Vorsitzender der Jury.
DW-WORLD: Was ist der Wettbewerb, auf dem sich der schon bekanntere Literaten-Nachwuchs trifft, denn für Sie als Jurymitglied?
Vor allen Dingen immer wieder eine große Herausforderung. (lacht) Wenn es irgendetwas gibt, das das Gegenteil von langweilig ist, dann sind es diese vier Tage im Jahr. Ich brauche in der Regel ein Jahr um mich davon zu erholen.
14 Autoren und Autorinnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz stellen sich in diesem Jahr dem Jury-Urteil. Bis auf den Linus Reichlin, der schon einmal den Deutschen Krimipreis gewonnen hat, sind nur wenig bekannte Kandidaten dabei. Das war in der Vergangenheit schon mal anders. Gibt es ein Nachwuchsproblem, wie manche aus der Branche behaupten?
Nein, könnte ich nicht sagen. (…) Da muss man einfach in dieser großen Menge von Versuchen suchen, was vielleicht gelungen ist. Kunst ist keine Sache, die man auf der Schule lernt und dann kann man die. Und dann wird sie so produziert, wie in Deutschland Maschinen gebaut werden, damit das Bruttosozialprodukt gesteigert wird - sondern da sind eine Menge individuelle Abhängigkeiten dabei, auch Zufälle. Es gibt Leute, die wunderbar schreiben können, denen aber das Leben dazwischen kommt, andersrum gibt es das auch. Und mit der Sache ist nicht so einfach zu kalkulieren, man muss abwarten und die Ruhe behalten.
Peter Wawerzinek war Bachmann-Preisträger 2010 und er ist auch ihr Kandidat gewesen, hat kritisiert, dass im deutschen Literaturbetrieb zu wenig Chancen geboten werden für Querdenker und ungewöhnliche Lebensläufe, stimmt das?
Ich möchte dem Peter ganz ungern widersprechen. Aber letztlich ist jede Literatur nur dann interessant, wenn sie sich vom Erwartbaren abhebt. Alle Bücher, nach denen wir greifen sind letzten Endes Bücher über Grenzsituationen, über abweichendes Verhalten usw. Es mag sein, dass das in unserer Gesellschaft nicht mehr so einfach ist und das der Wahnsinn vielleicht nicht mehr so offen über die Straße geht und dass man die Kasper Hausers auf zwanzig Meter Entfernung nicht mehr sofort erkennt. Dass im Alltag, im Selbstverständlichen, im Üblichen, im Normalen eigentlich die Abweichungen bereits enthalten sind.
Deswegen glaube ich, kaprizieren sich viele Autoren oder Autorinnen auch auf das mehr oder wenige normale Leben, um die Schwierigkeit dieses unschwierig Erscheinenden darzustellen. Das hat meines Erachtens etwas Zeitgenössisches. Vielleicht ist es weniger spektakulär, vielleicht liegt es weniger in der literarischen Tradition, wie wir sie in den letzten Jahrzehnten gekannt haben. Aber letztlich ist das so.
Die Namenspatronin Ingeborg Bachmann wäre in diesem Jahr (am 25. Juni) 85 Jahre alt geworden. Ihr Credo für die Literatur wie für das Leben war: "Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar". Den Schmerz, der damit verbunden ist, sollte der Schriftsteller selbst wahrnehme bevor er ihn beschreibt. Haben Bachmanns 'Söhne' und 'Töchter' in der Spaßgesellschaft auch noch dieses existentielle Verständnis vom Schreiben?
Also Teil der Spaßgesellschaft sind sie sicherlich nicht! Es gibt nur eine große Skepsis gegenüber großen Gesten und Worten. Ingeborg Bachmann emanzipiert sich als Autorin, als Mensch, als Frau, in einer Gesellschaft, zu einer Zeit, die noch zutiefst geprägt wurde durch die verheerenden Katastrophen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Daraus zu erwachsen ist etwas anderes, als in eine Gesellschaft hineinzuwachsen, die eigentlich schon dem Kind in der Wiege signalisiert: "Mach dir keine Sorgen, wir sind auf dem richtigen Weg. Die großen Fehler werden nicht mehr gemacht, es geht nur noch um Details". Und wenn man so groß wird – und die meisten sind jetzt so groß geworden - dann ist einem die ganz große Geste der Verweigerung, des Widerspruchs, der Rebellion etc. fremd geworden. Schauen Sie, wie jemand, der heute Anfang 20 ist - wenn ich nur mal meine Söhne nehme - auf die RAF schaut. Zunächst einfach nur mit dem großen Staunen und mit der Frage: Ja aber wogegen waren die denn, warum denn? So schlimm war es doch nicht, usw. Das heißt, diese Tradition, auch Kunst mit dem ganz großen Widerspruch zum Bestehenden zu verbinden - dies ist in einer Gesellschaft, die jetzt mal locker formuliert, schon so gut ist, wie die unsere – ist nichts mehr, was einem quasi das Korsett gibt, in dem man sich bewegen kann. Junge Autoren und Autorinnen haben es heute schwerer, eine Position anzunehmen.
Ich komme noch mal zu meinem Eingangs-Statement zurück: Eines der Etiketten für den Bachmann-Wettbewerb ist "der schönste Betriebsausflug der Literatur". Was war denn Ihr schönstes Klagenfurt-Erlebnis?
Die schönsten Erlebnisse sind ganz ohne Zweifel die, in denen ein Text, den ich selbst vorgeschlagen habe, beim Lesen und in der Jury ankommt.
So wie letztes Jahr mit dem Text von Peter Wawerzinek…
…Es ist mittlerweile drei Mal passiert. Man geht als Juror dorthin wie ein Vater, der mit einem Kind zum Vorspiel in der Musikschule geht. Man hat selber nicht geübt, man ist es nicht, aber man fühlt gleichzeitig die volle Verantwortung und die volle Hilflosigkeit. Und das ist eine ganz außergewöhnliche Situation.
Das Interview führte Gabriela Schaaf
Redaktion: Sabine Oelze
Burkhard Spinnen, geboren 1956, schreibt Romane, Kurzgeschichten, Glossen und Jugendbücher. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet. Für DW-World schreibt er die Sprach-Glosse "Spinnens Wortschau".