Widerstand im Exil
4. November 2013Der Flüchtlingsstrom von Afrika in die Europäische Union reißt nicht ab - auch nicht nach der Katastrophe vor der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa vom 3. Oktober: Mehr als 300 Menschen waren ertrunken - viele stammten aus Eritrea, dem "größten Gefängnis Afrikas", wie Menschenrechtsorganisationen das Land im Osten des Kontinents nennen. Es wird seit fast zwanzig Jahren von dem autoritär herrschenden Präsidenten Isaias Afewerki regiert. Wer beim Fluchtversuch gefasst wird, muss mit einer Gefängnisstrafe rechnen.
Mesfin Hagos hatte Glück: Seit zwölf Jahren lebt der Eritreer als politischer Flüchtling im Exil in Deutschland. Von Europa aus kämpft er nun für den Regimewechsel - dabei war er es, der Diktator Afewerki einst zur Macht verhalf. Geduldig steht er an diesem Tag in der Herbstsonne am Flughafen in Brüssel und wartet. Geschäftsleute schieben sich an ihm vorbei. Kaum einer von ihnen würde wohl vermuten, dass der 65-Jährige mit Schirmmütze und zerknittertem Anorak von vielen Eritreern als Freiheitsheld verehrt wird und eine der wichtigsten Figuren der eritreischen Exilopposition ist. Das ist auch der Grund für seinen Besuch in Brüssel: Er trifft im Flughafenhotel weitere Mitstreiter aus anderen Teilen Europas, um den Widerstand gegen die Diktatur in Eritrea zu organisieren.
Auf der schwarzen Liste
"Jeder Eritreer will das Land verlassen - vor allem die Jüngeren. Es gibt keine Jobs, sie können ihre Familien nicht ernähren", sagt Hagos, als er es sich in der Lobby des Flughafenhotels bequem gemacht hat. "Wer kann, flieht - wer zurückbleibt, muss lebenslangen Dienst in der Armee leisten." Alle, die den Widerstand anführen könnten, seien außer Landes.
So wie er selbst. Dabei war Hagos früher Teil der Machtelite. 1988 befehligte er die eritreischen Aufständischen in der legendären Schlacht bei Afabet. Sie brachte Eritrea die Unabhängigkeit vom großen Nachbarland Äthiopien. Seite an Seite kämpfte Hagos mit dem heutigen Präsidenten Afewerki. Der machte Hagos später zum Verteidigungsminister. Doch Afewerki entpuppte sich nach und nach als brutaler Diktator. Vor zwölf Jahren verfasste Mesfin Hagos mit 14 weiteren Militärs und Politikern einen offenen Brief: Sie forderten eine Verfassung, die Gründung von Oppositionsparteien und freie Wahlen. Präsident Afewerki antwortete auf seine Weise: 13 Unterzeichner wurden ermordet oder verschleppt. Hagos hatte Glück - er befand sich auf Durchreise in Deutschland und beantragte dort Asyl.
Seitdem kämpft er von Frankfurt am Main aus gegen das Afewerki-Regime. "Unsere Rolle ist es, die Eritreer zu mobilisieren, sie aufzuklären und ihnen zu zeigen, wie sie sich gegen die Regierung auflehnen können - nämlich durch Ungehorsam", erklärt Hagos. "Die Armee ist ziemlich schwach. Wir glauben, dass es möglich wäre für das Volk, sich zu erheben."
Unabhängig - aber unterdrückt
Wie man Widerstand organisiert, hat Mesfin Hagos früh gelernt: Als Sohn einer Bauernfamilie wurde er mit 19 Jahren von der Eritreischen Befreiungsfront nach China geschickt und ein halbes Jahr lang im Guerillakrieg ausgebildet. Das war 1967, sechs Jahre nach der Annexion Eritreas durch Äthiopien. "Zuerst lernten wir, wie man die Bevölkerung für den Guerillakampf mobilisiert. Danach zeigte man uns den Umgang mit Sprengstoff und wie man einem Ermüdungskrieg standhält", erinnert er sich.
Am 18. März 1988 war es dann soweit: Um fünf Uhr morgens griffen Hagos' Truppen mit erbeuteten Panzern und Artillerie die äthiopischen Besatzer nahe der Stadt Afabet im Norden Eritreas an. Viele Männer starben - auf beiden Seiten. Den Äthiopiern blieb nur der Rückzug durch den engen Ad Shirum-Pass. Dort setzten Hagos' Truppen den ersten und letzten Panzer in Brand - die Äthiopier saßen in der Falle.
1993 folgte die Unabhängigkeit von Äthiopien, doch 20 Jahre später ist die Lage der 5,6 Millionen Eritreer schlimmer als zuvor. Der Staat steht im UN-Entwicklungsindex auf Platz 181 von 187. Dass er Verantwortung dafür trägt, auch weil er damals dem Kampfgefährten Afewerki vertraute - das lässt dem Mann mit den wachen dunklen Augen keine Ruhe. Niemals habe er es für möglich gehalten, dass ein Volk, das alles für seine Unabhängigkeit gegeben habe, sich nun einer Diktatur beugen müsse, sagt er. "Das ist die Bitterkeit, die ich fühle."
Exil im Exil
Bitter ist für Hagos auch, wie das Regime in Asmara seine Fühler bis nach Deutschland ausstreckt: Die eritreische Exilgemeinde in Frankfurt ist zwar eine der größten in Europa. Trotzdem ist Hagos ziemlich allein. Wer noch Familie in Eritrea habe, meide den Kontakt zu ihm, sagt er. Bei der Einreise frage das Regime die Leute gezielt, ob sie wüssten, mit wem Hagos Kontakt pflege. Wer Namen nenne, bekomme von den Machthabern Reiseerleichterungen. Nur die, die nicht nach Eritrea zurück wollten, hätten keine Angst vor der Regierung. "Die grüßen mich ganz offen und zeigen sich mit mir auch in der Öffentlichkeit", sagt der 65-Jährige.
Nach einem Regimewechsel würden Hagos vermutlich wichtige Führungspositionen in der Politik angeboten. Doch er winkt müde ab. Er werde zwar weiter für den demokratischen Wandel in Eritrea kämpfen, sagt er. Sei der aber einmal erreicht, wolle er nur eines: "Zurück nach Eritrea und dort den Rest meines Lebens verbringen. Ich will einfach nur meine Ruhe".
Während er das sagt, beobachtet Mesfin Hagos nachdenklich das geschäftige Hin und Her in der Lobby des Brüsseler Flughafenhotels. Plötzlich entdeckt er seine Parteifreunde und begrüßt sie herzlich. Gemeinsam kämpfen sie wieder für die Freiheit ihres Landes. Mesfin Hagos wirkt auf einmal viele Jahre jünger. Er führt nun die zweite entscheidende Schlacht in seinem Leben.