Wie Amsterdam gegen die Massen ankämpft
8. März 2019Vor dem Amsterdamer Reichsmuseum sieht man in diesen Tagen viele ratlose Gesichter. Nervös tippen Touristen auf ihren Smartphones herum, blicken kurz auf, dann wieder zurück auf den Bildschirm. Sie suchen den weltberühmten "I amsterdam"- Schriftzug. Doch sie werden enttäuscht. Anfang Dezember 2018 entfernte die Stadt das beliebte Fotomotiv. Ein symbolischer Akt im Kampf gegen den Massentourismus, der die niederländische Hauptstadt innerhalb kürzester Zeit an ihre Belastungsgrenze gebracht hat.
19 Millionen Touristen kamen letztes Jahr in die 850.000-Einwohner-Stadt - und es werden immer mehr. Für 2025 erwartet Amsterdams Bürgermeisterin Femke Halsema 29 Millionen Besucher. Billigflüge und schnelle, bequeme Online-Buchung machen's möglich.
Bereits in der Nebensaison tummeln sich die Touristen in den Straßen von Amsterdams Innenstadt. Besonders beliebt ist das Rotlicht-Viertel. Hier schieben sich die Massen vorbei an Sexshops, Kneipen und den Prostituierten, die in ihren Glaskabinen auf Kundschaft warten. Im Sommer ist es hier so voll, dass man sich nur noch im Schneckentempo fortbewegen kann.
Viele Amsterdamer haben die Touristenmassen satt. Sie sind in ruhigere Stadtteile umgezogen, weil sie die feierwütigen Touristen nicht mehr aushielten. Ihr Gegröle, ihr Gesaufe, ihr Gekotze. Was tun? Im vergangenen Sommer beschloss die Stadt ein radikales Maßnahmenpaket, um das Leben ihrer Einwohner wieder erträglich zu machen.
Aus für Hotels und Souvenirläden
Hinter dem eher sanftmütig anmutenden Namen "City in Balance" steckt ein knallhartes Programm: Baustopp für Hotels, aber auch für Souvenirläden, Ticket-Verkaufsstellen oder Käse-Geschäfte, in die ein Amsterdamer nie einen Fuß setzen würde. Die Kapazität des Flughafens Schiphol soll begrenzt und der Anleger für Kreuzfahrtschiffe aus dem Stadtgebiet verbannt werden.
"Natürlich heißen wir weiterhin Touristen willkommen, aber Amsterdam ist in erster Linie eine Stadt, in der Menschen leben und erst an zweiter Stelle ein Reiseziel", sagt Vera Al, Sprecherin von Amsterdams stellvertretendem Bürgermeister. Deshalb geht die Stadt auch gegen private Vermietungsplattformen wie Airbnb und Booking.com vor. Nur noch 30 Tage im Jahr dürfen Eigentümer ihre Wohnung über solche Anbieter vermieten. Für einige Straßen ist sogar ein Verbot von Airbnb im Gespräch. "Einige Amsterdamer fühlen sich mittlerweile fremd in ihren Häusern, weil sie keine Nachbarn mehr haben, nur noch wechselnde Touristengruppen", erklärt Vera Al.
Und die benehmen sich nicht selten daneben. Deshalb hat die Stadt die Geldstrafen für Ordnungswidrigkeiten, wie Alkoholkonsum und Urinieren in der Öffentlichkeit, drastisch angehoben. Bezahlt werden muss an Ort und Stelle, sonst geht es ab auf die Polizeiwache.
Um die Touristen zusätzlich dafür zu sensibilisieren, dass Amsterdams Innenstadt keine Partymeile ist, haben Anwohner zusammen mit der Stadtregierung die "I live here"-Initiative ins Leben gerufen. Auf meist lebensgroßen Wandbildern bitten Anwohner die Besucher, sich so zu verhalten wie zuhause in ihrer eigenen Nachbarschaft.
Mit allen Mitteln gegen Problem-Touristen
Das Phänomen des Overtourism kam für Amsterdam überraschend. Noch vor einigen Jahren stand es schlecht um die Stadt. Sie kämpfte mit den Nachwehen der Finanzkrise: Unternehmer wanderten ab, Touristen blieben fern. Mit einer weltweiten Werbekampagne versuchte das Stadtmarketing, Amsterdam wieder attraktiver zu machen - mit Erfolg. "Wir müssen keine Werbung mehr machen, jeder kennt Amsterdam. Jetzt geht es darum, den Ruf der Stadt zu verbessern", sagt Nico Mulder von Amsterdam Marketing.
Im Sommer 2018 startete die Kampagne "Enjoy and Respect". Sie soll den Touristen Grenzen aufzeigen. "Rotlicht-Viertel und Coffeeshops ziehen auch Besucher an, die denken, dass in Amsterdam alles erlaubt ist", sagt Mulder. "Liam" nennen sie den typischen Problem-Touristen intern. Liam kommt aus Großbritannien, ist zwischen 18 und 34 Jahre alt und reist nach Amsterdam um sich ein, zwei Nächte abzuschießen. Die "Enjoy and Respect"-Kampagne soll Liam schon vor Reiseantritt darauf aufmerksam machen, dass er sich in Amsterdam zu benehmen hat.
Bereits bei der Google-Suche wird sie ihm bei bestimmten Suchanfragen angezeigt. Weiter geht es am Flughafen, in den öffentlichen Verkehrsmitteln, auf Plakaten in der Innenstadt. Zusätzlich hat Amsterdam einen digitalen Zaun um die besonders betroffenen Zonen gespannt. Betritt Liam diese Zonen, wird er nun auch auf Facebook und Instagram daran erinnert, die Stadt und seine Einwohner respektvoll zu behandeln.
Amsterdam ist nicht allein
Ob all diese Anstrengungen ihren gewünschten Effekt erzielen, könne man frühestens Ende 2019 absehen, sagt Nico Mulder. Bis dahin versuche man die aktuellen Maßnahmen so gut wie möglich umzusetzen und sich mit anderen europäischen Städten, die dasselbe Problem haben - Barcelona, Lissabon, Venedig, Dubrovnik - auszutauschen. Auch in Verhandlungen mit Unternehmen wie Airbnb ziehe man gemeinsam an einem Strang, betont Mulder.
Um auch in Zukunft der immer größer werdenden Massen Herr zu bleiben, setzen Europas angesagteste Städte nun darauf, die Besucher besser zu steuern. Sie sollen länger bleiben und neben den Hauptattraktionen auch andere Stadtteile und das Umland erkunden. "Spreading" und "Crowd Control" nennen das Experten. Doch es wird eine Gratwanderung werden. Amsterdam, Venedig und Co. werden sie wagen - und sollten nicht scheitern.