Wie Anthropologen die Toten von Víznar finden wollen
3. November 2008Wer den Anthropologen Miguel Botella in seinem Büro besuchen will, der muss hinunter in den Keller. Eine enge Treppe führt hinab in die fensterlosen Räume des Instituts des Wissenschaftlers in der Fakultät für Medizin in Granada. In Vitrinen liegen Knochen, Schädel, eine Kindermumie. Botella trägt einen weißen Kittel und einen langen weißen Bart, eine Art Indiana Jones auf andalusisch.
Botella hat schon unzählige Tote geborgen. Gerade ist die Leiche eines Mannes eingeliefert worden, der mit einer Axt getötet wurde. "Ein ungewöhnlicher Toter", sagt Botella, später will er sich ihn auf jeden Fall ansehen. Er und seine Mitarbeiter helfen der Polizei in Mordfällen bei der Identifizierung der Opfer, sie helfen auch Archäologen bei der Grabung nach Urzeit-Menschen. Der 59-Jährige selbst war häufig in Lateinamerika bei der Öffnung von Massengräbern dabei: Chile, Venezuela, Mexiko.
Arbeiten mit dem Erdscanner
35 Jahre ist er bereits Anthropologe, jetzt steht er vor seiner größten Herausforderung. Er soll die Exhumierung des weltberühmten Dichters Federico García Lorca leiten. Der Poet war am 19. August 1936 zusammen mit zwei Gewerkschaftern und einem Dorfschullehrer in der Nähe des Bergdorfes Viznar erschossen worden. Die Leichen sollen unter einem Olivenbaum verscharrt worden sein.
"Wir können jederzeit loslegen", sagt Botella. Er kramt eine Zeitung hervor. Auf der Tielseite ist ein Foto abgebildet von einem geöffneten Massengrab in Kastilien aus dem spanischen Bürgerkrieg. Drum herum drängen sich die Leute. "So etwas ist unglaublich. Das darf nicht passieren, dass irgendjemand anfängt, Knochen auszugraben. So etwas müssen Spezialisten tun", empört er sich. "Die Würde der Toten muss gewahrt bleiben."
Sollte es zu einer Grabung nach Lorca und den anderen drei Toten kommen, will Botella alles tun, um ein Medienspektakel zu verhindern. Technisch ist das aufspüren von Massengräber kein Problem. "Zunächst lassen wir uns von Historikern den Ort nennen, wo ein Massengrab vermutet wird. Dann nutzen wir ein so genanntes Geo-Radar. Damit können wir feststellen, ob es an einem Ort irgendwann einmal Erdbewegungen von Menschenhand gab." So könnten die Ränder eines Massengrabes abgebildet werden.
Foto genügt zur Identifizierung
Danach beginnt die eigentliche Grabung. Die Knochen werden freigelegt und zugeordnet. "Die Toten liegen ja häufig übereinander. Wir untersuchen sie vor Ort noch auf mögliche Verletzungen oder Krankheiten, die sie hatten."
Botella holt einen Karton aus dem Regal. Darin enthalten sind die sterblichen Überreste eines anonymen Bürgerkriegs-Opfers. Am Schädel ist das Einschussloch von der Kugel zu sehen, die den Mann tötete. "Es ist grünlich gefärbt von dem Kupfer, das in der Kugel steckte", erklärt er. Die Überreste von Opfern aus dem Bürgerkrieg sind jedoch selten gut erhalten. Über 70 Jahre sind bereits vergangen.
Um einen Toten zu identifizieren, genügt theoretisch ein Foto der betroffenen Personen. Mit einem speziellen Computerprogramm nehmen die Forscher tausende Messpunkte von dem Schädel. Diese werden dann mit dem Foto verglichen. Die Proportionen sind bei jedem Menschen einzigartig. "Das Verfahren ist sehr sicher", sagt Botella.
Die Chancen, die Überreste Lorcas und der anderen drei Männer zu finden, stehen nicht schlecht. Sie wurden nämlich nicht in einem Massengrab bestattet. "Und von Lorca gibt es tausende Fotos, es gibt Filme." Der Dorfschullehrer Galindo hatte ein eindeutiges Merkmal, ein hatte ein Holzbein. Dennoch bleibt Botella vorsichtig: "Es könnte auch sein, dass wir gar nichts finden."