Wie bekomme ich meine Fabrik ins Internet?
26. April 2016Der Wandel ist mit Händen zu greifen. In Messehalle 7 zum Beispiel: Da gibt es einen großen Stand von Microsoft. Ja richtig, der Software-Riese aus Redmond/USA. Dabei ist nicht Cebit, sondern Industriemesse. Und deswegen haben die Microsoft-Leute auch eine riesige Flugzeugturbine von Rolls-Royce auf den Stand gestellt. Damit will man zeigen: Die haben die Hardware, wir die Software. Mit den gewonnenen Daten können Techniker besser über angehende Wartungen informiert werden, und Piloten während des Fluges noch bessere Entscheidungen treffen.
Maschine ins Netz – kann jeder!
Nebenan der IT-Riese IBM. An dessen Stand ein nagelneuer Traktor von John Deere, gebaut im Werk Mannheim. Die Produktion dort läuft inzwischen auf einer vernetzten Plattform. Industrie 4.0 - also nur etwas für große Unternehmen?
Nein, sagt Gordon Muehl, führender Industrie 4.0-Experte beim Beratungs- und Softwarehaus Infosys. Das ginge auch in jedem noch so kleinen Unternehmen, sagt Muehl und beschreibt, wie man vorgehen würde: "Man schaut zunächst: Was kann ihre Maschine heute schon? Was liefert sie heute schon für Daten? Und wie leicht bekomme ich die da raus?" Die Ergebnisse würden dann in einem Big-Data-Analysetool ausgewertet. Ziemlich schnell könne man dann die Maschine optimieren. Und mit dem eingesparten Geld den nächsten Schritt machen. Muehl: "Wir schauen, was sie haben, machen damit was besser, damit haben sie schon Gewinn und können den wieder investieren."
Jede Maschine kann ans Netz
Rein theoretisch ließen sich 3400 Sextillionen (das ist eine Zahl mit 38 Nullen) Maschinen weltweit mittels des neuen Internetstandards Ipv6 miteinander vernetzen. Das steckt hinter Industrie 4.0 oder dem US-Standard Integrated Industry. Aber ist das überhaupt vorstellbar? Hans-Georg Krabbe, Vorstandschef des Automatisierungs-Anbieters ABB Deutschland, steht am Messestand seines Unternehmens neben einem kleinen Roboter, der an einem alten Elektromotor einen Sensor auswertet. Für ihn ist die komplette Vernetzung durchaus vorstellbar.
"Den Motor mit dem 'Smart Sensor', den wir hier zeigen, den könnten sie auf ihr Privatleben übertragen, zum Beispiel mit einem Fitnessarmband. Das ist auch ein 'Smart Sensor'. Die Durchdringung ist im Prinzip unbegrenzt." Die Frage aber sei: Hat es einen wirtschaftlichen Nutzen? "Deswegen", sagt Krabbe, "wird es nach wie vor Anwendungen geben, wo es keinen Sinn macht, aber sehr viel, wo es sinnvoll ist". Dabei gehe es gar nicht immer darum, Kosten einzusparen. "Es geht auch darum, Prozesse sicherer zu machen und Fehler zu vermeiden. Das ist genauso wichtig für einen wirtschaftlichen Erfolg."
Daten sind das neue Gold
Ein Unternehmen, das ebenso wie ABB schon lange auf dem Gebiet der Automatisierung unterwegs ist, ist der Roboterhersteller Kuka. Doch damit allein wäre heute kein Blumentopf mehr zu gewinnen, sagt Kuka-Marketing-Chef Wilfried Eberhardt. Der neue Rohstoff seien die Daten, die sich durch die vernetzte Produktion gewinnen ließen.
"Es werden neue Geschäftsmodelle entstehen, bei denen diese Daten zurück gespielt werden, um die Produktion, die Produkte zu optimieren. Da stehen wir gerade am Beginn." Deswegen werde der Roboter nicht unwichtiger, "er ist ähnlich wie das Smartphone im privaten Bereich ein Kernelement in dieser digitalisierten Produktionswelt." Hingegen seien die mechanischen Elemente eher austauschbar, die Differenzierung erfolge über intelligente Software. "Und das eben in Kombination mit einer über 100-jährigen Erfahrung, die wir auch in Deutschland haben."
Mit VR-Brille am Montageband?
Knapp 70 Jahre lang baut Volkswagen schon Autos, und auch, wenn der Konzern derzeit ein paar andere Sorgen hat: Die Produktion läuft weiter - und auch in den VW-Werken geht es darum, die Vernetzung voranzutreiben. Am VW-Stand in Hannover wird beispielsweise ein virtuelles Training für Montagearbeiter gezeigt, die ausgestattet mit einer Virtual-Reality-Brille neue Abläufe einstudieren. "Wir haben heute quasi schon eine Fabrik mit sehr vielen Elementen aus dem Bereich Industrie 4.0", sagt Prof. Werner Schreiber von der VW-Konzernforschung. "Es wird nie einen Zeitpunkt geben, wo dieser Prozess abgeschlossen ist."
Man werde immer weitere Möglichkeiten finden, sinnvolle Vernetzungen einzuführen, um Mensch und Maschine in der Produktion gemeinsam arbeiten zu lassen. Adomat zeigt auf eines der Exponate am Stand, dort werkelt ein Monteur gemeinsam mit einem Roboter. "Das wird nach der Messe direkt ins Werk Wolfsburg gehen und dort in den Serieneinsatz kommen."
Standards machen's möglich
Was bei jeder Fertigungslinie wichtig ist: Die Komponenten verschiedener Hersteller müssen miteinander kommunizieren können. Nichts Neues, aber im Zeitalter von Industrie 4.0 eben doch eine neue Herausforderung. Der Software-Konzern SAP zeigt eine komplette Fertigungslinie für Schlüsselanhänger, an der die Roboter eigenständig fehlerhafte Produkte erkennen und aussortieren. "Das Zauberwort für uns heißt in dem Fall: OPC UA. Das ist technisches Protokoll, dass eine standardisierte Kommunikation zwischen diesen völlig unterschiedlichen IT-Ebenen und Technologien ermöglicht", erläutert SAP-Managerin Martina Weidner. "So können wir uns praktisch 'plug and play' miteinander vernetzen - und los geht’s!"
Los geht’s! Das gilt, so lässt sich in Hannover gut beobachten, nicht nur für die großen Unternehmen. Aber ist es wirklich Pflicht für jeden, da mitzumachen? "Das ist so ähnlich wie die Frage: Können sie als Mensch überleben, wenn sie nicht mit dem Internet arbeiten?", sagt Infosys-Mann Muehl und gibt gleich die Antwort: "Ja, können sie. So könnten auch Firmen denken, die sich vielleicht später mal differenzieren wollen. Wird das aber der Großteil der Firmen sein und nehmen sie dann am großen Wachstum, am großen Potenzial teil? Nein, das werden sie nicht!"