Wie Brasilien vom Krieg in Europa profitiert
21. August 2023Öl, Gas, Lithium, Lebensmittel, erneuerbare Energien: Brasilien hat, was der Rest der Welt nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine dringend braucht. Weil Russland die Getreideausfuhren aus der Ukraine zu verhindern versucht, worunter besonders die afrikanischen Staaten leiden, rückt mit Brasilien ein Land in den Vordergrund, dass viele Lücken schließen könnte.
Brasilien könne zu einer "großen Alternative" für einen Markt werden, der zunehmend nicht nur nach Qualität und einem guten Preis, sondern auch nach umweltgerechten Produkten suche, sagte Brasiliens Vize-Präsident Geraldo Alckmin vor wenigen Tagen am Rande eines Treffens des Nationalen Industrieverbandes CNI. Brasiliens Agrarindustrie und der halbstaatliche Ölkonzern fuhren zuletzt hohe Milliarden-Gewinne ein.
"Brasilien kann helfen"
Zwar sorgt der neue Wirtschaftsplan Brasiliens vor allem bei Umweltschützern angesichts massiver Investitionspläne in die klimafeindlichen fossilen Brennstoffe Öl und Gas für Kritik, doch im Grunde reagiert das Land damit auf die weltweite Nachfrage. "Der erste Faktor, den der Krieg in der Ukraine hervorruft, ist ein Anstieg der Preise und eine Verlangsamung des Wirtschaftswachstums, und in diesem Zusammenhang wird Brasilien in der Lage sein, sich mit einer Ergänzung bei der Nachfrage zu positionieren", sagt Wirtschaftswissenschaftler Felipe Nascimento von der Stiftung Getúlio Vargas (FGV) im Gespräch mit der DW. "Ich glaube, dass Brasilien sich angesichts all der Schwierigkeiten auf diesen Märkten eine Position erarbeiten kann."
Anziehungspunkt für Investitionen
Ähnlich sieht es Roberto Goulart vom Institut für Internationale Beziehungen der Universität Brasilia im Gespräch mit der DW: "Der anhaltende Krieg in der Ukraine eröffnet Brasilien die Möglichkeit, Investitionen auf sein Territorium zu ziehen, insbesondere in Ländern, die energieintensiv sind und sich auch im Kontext der Klimakrise befinden."
Bereits im ersten Kriegsjahr noch der Amtszeit des rechtspopulistischen Präsidenten Jair Bolsonaro gingen laut Bericht der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (CELAC) 50 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen in Lateinamerika nach Brasilien.
Der Trend hält an: Bei ihrem Besuch vor gut einem Monat kündigte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Milliarden-Investitionen bis 2027 in der Region an, ein dicker Batzen davon soll nach Brasilien gehen. Mitgebracht hat Von der Leyen eine Zusage über ein Investment von zwei Milliarden Euro, um die Erzeugung von grünem Wasserstoff in Brasilien zu unterstützen und die Energieeffizienz der Industrie zu fördern.
Brasilien orientiert sich neu
Während Brasilien zu einem interessanten Markt für Auslandsinvestitionen wird, damit der Westen seine Lieferketten unabhängiger aufstellen kann, versucht Brasilien geopolitisch eine neutrale Rolle einzunehmen. "Brasilien vertritt nach wie vor die Auffassung, dass gegen Russland keine Sanktionen verhängt werden sollten, da diese wenig Wirkung gezeigt haben und am Ende die Bevölkerung darunter leidet", sagt Goulart im Gespräch mit der DW. Das entspräche zwar nicht der Sichtweise der meisten europäischen Länder oder der USA, aber Brasilien halte trotzdem seine diplomatischen, wirtschaftlichen und kommerziellen Beziehungen zu Russland aufrecht.
Ein Problem dürfte für Brasilien allerdings die sich abzeichnende Wirtschaftskrise in China werden. Peking ist der größte Handelspartner Brasiliens, das Handelsvolumen betrug 2022 rund 135 Milliarden Dollar. Sollte China noch mehr schwächeln, dürfte das nicht nur auf die Handelsbilanz schlagen, sondern auch in Lateinamerika Gedankenspiele anregen, das Freihandelsabkommen der Mercosur-Staaten mit der Europäischen Union abzuschließen, um sich weitere Optionen zu erschließen. Bis zum Ende des Jahres soll hier ein Durchbruch gelingen, dann wäre Brasilien tatsächlich international ganz neu aufgestellt.