Wie das Fliegen bis 2050 klimaneutral werden soll
11. April 2024Marte van der Graaf spart nicht mit Kritik, wenn es um die Bemühungen der Fluggesellschaften in Sachen Klimaschutz geht. "Es ist schwierig, die Netto-Null-Ziele der Luftfahrtindustrie derzeit ernst zu nehmen", sagt die Referentin für Luftfahrt der auf nachhaltigen Verkehr spezialisierten Nichtregierungsorganisation Transport & Environment. "Der Luftfahrtsektor muss seinen Verbrauch an fossilen Brennstoffen in den kommenden Jahrzehnten deutlich senken. Doch im Moment geht es genau in die entgegengesetzte Richtung."
Die Zahl der Flugreisenden steigt weiter stark
Denn während der Klimawandel voranschreitet, steigt der Treibhausgasausstoß der Branche weiter an. Zudem wird die Zahl der Flugreisenden allen Prognosen zufolge auch in den kommenden Jahren stark wachsen. Und so beteuert man auch beim Netzwerk Stay Grounded, das sich für eine Reduzierung des Flugverkehrs einsetzt: "Grünes Wachstum und ein CO2-neutraler Luftverkehr bleiben eine Illusion."
Dennoch steckt sich die Branche hohe Ziele. "Das Bestreben ist, bis 2050 klimaneutral zu sein", sagt Wolf-Dietrich Kindt, Leiter Klima- und Umweltschutz beim Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL). Die Fluggesellschaften hätten in den vergangenen Jahrzehnten viele Milliarden Euro in die Erneuerung ihrer Flotten investiert. So sei es möglich gewesen, den Kerosin-Verbrauch und damit den Schadstoff-Ausstoß drastisch zu reduzieren. "Das ist eine ganz erhebliche Leistung", sagt Kindt.
Neue Flugzeuge fliegen immer effizienter
Mit jeder neuen Flottengeneration lasse sich die Effizienz um 20 Prozent steigern. Dies sei der größte Hebel, den man derzeit habe, um die Emissionen zu senken. Immer neue Belastungen wie die Beimischungsquoten für klimafreundlichere, aber deutlich teurere Treibstoffe, das EU-Emissionshandelssystem, die Luftverkehrsteuer in Deutschland oder die immer wieder diskutierte Kerosinsteuer hätten den Effekt, dass europäische Airlines im Wettbewerb mit Nicht-EU-Fluggesellschaften benachteiligt werden. Das mache Investitionen in modernere Flugzeuge immer schwieriger.
An die Innovationskraft der Branche glaubt auch Markus Fischer, der Bereichsvorstand Luftfahrt beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). "Die Branche hat immer schon alles versucht, ihre Effizienz durch bessere Triebwerke und Aerodynamik zu steigern", sagt er. "Mit großem Erfolg." So betrage der mittlere Treibstoffverbrauch pro Sitz und Kilometer heute nur noch ein Drittel des Wertes von vor 50 Jahren. Klar sei aber auch, dass das nicht reiche. An alternativen, nicht-fossilen Treibstoffen führt kein Weg vorbei.
Alternative Treibstoffe für Flugzeuge gibt es nur in geringen Mengen
Gerade hier aber tut sich die Branche schwer. Zwar gibt es vielversprechende Ansätze mit elektrischen Flugzeugen – allerdings nur auf der Kurzstrecke. Airbus derweil kündigt ein wasserstoffbetriebenes Flugzeug an – für das Jahr 2035. Nachhaltige, aus erneuerbaren Energien oder Biomasse hergestellte Treibstoffe, die fossiles Kerosin kurzfristig ersetzen könnten und weniger klimaschädlich sind, gibt es auf absehbare Zeit nur in geringen Mengen und zu sehr hohen Preisen. "Revolutionäre und unmittelbar verfügbare Lösungen für eine emissionsfreie Luftfahrt gibt es aufgrund der immensen technologischen Herausforderungen derzeit nicht", heißt es folglich beim DLR.
Ändern möchte das Michael Haid. Er ist der Chef des Unternehmens EDL Anlagenbau, das in der Nähe von Leipzig eine der weltweit ersten Fabriken zur industriellen Herstellung von "grünem", nachhaltig hergestelltem Kerosin plant. "Es wird sehr schwierig, das Ziel klimaneutrales Fliegen bis 2050 zu erreichen", sagt er. "Vor allem, wenn man sieht, wie lange alles dauert." Insbesondere die komplizierte Regulierung in der Europäischen Union sorge für Verzögerungen. Seit 2021 laufen die Planungen, nicht vor Ende 2027 wird die Herstellung beginnen können.
Zweifel am Ziel der klimaneutralen Luftfahrt
Ohnehin gibt es an dem Ziel einer klimaneutralen Luftfahrt noch ganz andere Zweifel. Das CO2 nämlich macht lediglich einen Teil der klimaschädlichen Emissionen von Flugzeugen aus. Markus Fischer vom DLR schätzt, dass die sogenannten "Nicht-CO2-Effekte" für mindestens 50 Prozent der Klimawirkung sorgen. Unter anderem die Bildung von Kondensstreifen trägt zur Erderwärmung bei. "Selbst ohne alternative Treibstoffe kann man eine ganze Menge für das Klima tun", sagt er. Durch die Modifizierung von Fluggeschwindigkeit, -höhe und -routen ließen sich unerwünschte Effekte verringern.
Und dennoch: So ganz glaubt die Branche selbst nicht an das gesteckte Ziel einer klimaneutralen Luftfahrt bis zum Jahr 2050. Beim internationalen Luftfahrtverband IATA etwa ist lediglich von CO2-Neutralität die Rede. Und auch die wird wohl nur durch Kompensation erreicht werden können. Außerdem will man der Atmosphäre CO2 künstlich wieder entziehen und so die eigene Bilanz aufbessern.
"Kompensationsmaßnahmen sind eine Scheinlösung für das Klima", kritisiert Marte van der Graaf. "Die Fluggesellschaften sollten aufhören, sie als Vorwand zu benutzen, um echte Klimaschutzmaßnahmen aufzuschieben." Für sie ist eines ganz klar: "Der einzige wirklich grüne Flug ist der, der am Boden bleibt."