Kontrolle im Altenheim
17. August 2009
Es herrscht Trauer im Seniorenheim St. Theresienstift. Eine der 18 katholischen Ordensfrauen, die hier im Süden Berlins von Ordensschwestern gepflegt werden, ist vergangene Woche verstorben. Schwester Agnes, die Leiterin der Einrichtung, will heute zusammen mit den anderen an der Beerdigung teilnehmen. Doch es kommt anders.
Um Punkt neun Uhr betreten zwei Frauen das helle, weitläufige Gebäude, das in einer grünen Wohngegend an einem See liegt. "Guten Tag, mein Name ist Birgit Freimuth vom medizinischen Dienst", sagt die eine. "Wir sind heute bei Ihnen, um eine unangemeldete Qualitätsprüfung durchzuführen. Ich würde gerne die Pflegedienstleitung und die Heimleitung sprechen."
Keine Ausnahmen
Die Schwester am Empfang greift sofort nach dem Telefonhörer, kurz darauf erscheint die Heimleiterin Schwester Agnes. Nein, erklären Birgit Freimuth und ihre Kollegin Simone Rusch, die Kontrolle lässt sich nicht verschieben; ja, Schwester Agnes wird bis zum Abend zur Verfügung stehen müssen. Bis dahin werden die ungebetenen Gäste eine 100-seitige Prüfanleitung mit einem langen und detaillierten Fragenkatalog abarbeiten: Wie zufrieden sind die Bewohnerinnen? Wird die Privatsphäre respektiert? Wie sind die Pflegestandards? Wie ist die Ausstattung?
Im Schwesternzimmer packt Birgit Freimuth ihren tragbaren Computer aus und beginnt mit allgemeinen Fragen, doch schon bald will sie Nachweise sehen. Schwester Agnes springt immer wieder auf und sucht in Aktenordnern nach den verlangten Dokumenten. Die Heimleiterin will alles richtig machen – und das aus gutem Grund.
In einigen Wochen werden die Ergebnisse der Kontrollen erstmals im Internet veröffentlicht. Jeder kann dann nachsehen, welche Gesamtnote ein bestimmtes Heim bekommen hat und in welchen Bereichen es "sehr gut" und in welchen "mangelhaft" ist. Die Veröffentlichung der Daten, die seit mehr als zehn Jahren im Auftrag der Pflegekassen erhoben werden, war von vielen Beteiligten gefordert worden. Kritiker halten das Bewertungssystem jedoch für unbefriedigend, da sich ein fehlendes Dokument ebenso in der Gesamtnote niederschlagen kann wie gravierende Pflegemängel.
Nervös, aber zuversichtlich
Während die Prüferin Birgit Freimuth Dokumente mit einem Handscanner in ihr Laptop einliest, holt Schwester Agnes weitere Unterlagen. "Das war für uns heute eine große Überraschung", sagt sie. "Aber ich denke wir schaffen es."
Unterdessen redet Simone Rusch mit den Ordensschwestern, die hier versorgt werden. Schwester Editha, die seit sieben Jahren in dem Heim wohnt, ist als erste an der Reihe. Die zierliche 90-Jährige hat ihr großes Zimmer mit klösterlicher Genügsamkeit eingerichtet - eine Marien-Statue, ein Bild von Papst Benedikt und ein paar weitere Habseligkeiten ergänzen die Standard-Einrichtung aus Buchenholz.
Ja, die Mitarbeiter seien immer höflich und freundlich, sagt Schwester Editha. "Und nehmen sich die Pflegekräfte ausreichend Zeit für Sie?", fragt Simone Rusch. Auch das bejaht die ehemalige Krankenschwester: "Die sind hervorragend, die Angestellten, das muss man sagen." Bei allen übrigen Fragen zu Pflege und Betreuung ist sie ebenfalls voll des Lobes.
Überall Bestnoten
Dem Orden Schwestern von der heiligen Elisabeth war Schwester Editha in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts beigetreten. Mit dieser Entscheidung für ein eheloses, von Gebet und Arbeit geprägtes Leben war absehbar, dass sie im Alter in einem Seniorenheim leben würde. Doch auch wer Kinder hat, kann in Deutschland keineswegs darauf zählen, später von Angehörigen versorgt zu werden: Um mehr als die Hälfte der 2,2 Millionen Pflegebedürftigen kümmern sich ambulante Dienste und Altenheime. Herrschen dort Missstände, sind die gebrechlichen Bewohner dem häufig schutzlos ausgeliefert – in der Vergangenheit sorgten immer wieder Pflegeskandale für Aufsehen. Auch deshalb gibt es die unangemeldeten Kontrollen.
Die 67-jährige Bewohnerin Schwester Carola, die als nächste von Simone Rusch befragt wird, hat ebenfalls keinen Grund zur Klage - wieder überall Bestnoten. Die Betreuung gehe über die reine Pflege hinaus, erzählt Schwester Carola: "Die Schwestern geben sich Mühe, die erzählen uns was, die lesen was vor, die singen mit uns."
Im Schwesternzimmer hat Birgit Freimuth derweil noch immer viele Fragen an die Heimleiterin: "Haben Sie Protokolle von Beschwerden, sammeln Sie das? Das müsste ich einsehen." Schwester Agnes springt wieder auf – sie muss heute noch viele Ordner wälzen. Doch die Heimleiterin nimmt es gelassen: "Durch diese Prüfung können wir herausfinden, was wir verbessern können. Das ist zwar etwas Stress, weil man so viel nachsehen muss, aber es ist gut."
Autor: Dеnnis Stutе
Redaktion: Oliver Samson