Terrorprozess in Düsseldorf zu Ende
13. November 2014Einer der längsten und umfangreichsten Terrorprozesse in Deutschland fand in einem Hochsicherheitstrakt des Düsseldorfer Oberlandesgerichts statt. Meterhohe Stahlzäune mit wuchtigen elektrischen Toren umgeben den eigentlichen Gerichtssaal. Der ist mit 30 Zentimeter dicken Betonwänden abhör- und bombensicher. Die angeklagten Männer, die Anschläge mit Splitterbomben geplant hatten, sind durch Spezialglas von den Richtern und den Zuhörern des öffentlichen Prozesses getrennt. Im Saal stehen 260 Aktenordner an den Wänden. Es sind die gesammelten Erkenntnisse aus über zwei Jahren Beweisaufnahme.
Als die Vorsitzende Richterin mit ihren Kollegen des Staatsschutzsenats am Donnerstag den Saal betritt, um das Urteil über die vier Mitglieder der Düsseldorfer Terrorzelle zu verkünden, bleiben zwei der Angeklagten demonstrativ sitzen. Alle übrigen Anwesenden - das ist Tradition in deutschen Gerichten - erheben sich, um den Richtern ihre Achtung zu zeigen.
Die Urteile
Äußerlich geben sich die angeklagten Männer gelassen, als die einzelnen Urteile verlesen werden. Der Anführer der Gruppe, der 33-jährige Marokkaner Abdelabdim El-K., bleibt während der gesamten Dauer der Urteilsbegründung völlig regungslos. Über Stunden scheint er zu meditieren, den Blick starr nach vorne gerichtet, die Arme vor sich verschränkt. Neun Jahre Haft gibt es für ihn. Sein Helfer und der zweite Mann der Terrorgruppe, der Deutsch-Marokkaner Jamil S.(34), lässt seine Gebetskappe an und zupft sich lediglich ein paar mal den langen Bart. Er zeigt anfangs ein ablehnendes, höhnisches Lächeln. Danach gibt er sich gelangweilt. Sechseinhalb Jahre Haftstrafe lautet das Urteil für ihn. Die beiden übrigen Männer mit iranischen und türkischen Migrationshintergrund verhalten sich sehr ruhig und zurückhaltend. Sie wissen wohl schon, dass sie unter strengen Auflagen (regelmäßige Meldepflicht und Abgabe ihres Passes) noch am Abend frei gelassen werden. Kein Gnadenakt, sondern ein normales Verfahren, wenn Täter bereits zwei Drittel ihrer Strafe in Untersuchungshaft verbracht haben. Das trifft auf die beiden Helfer der Terrorgruppe zu.
Strafmaß achtet Täter und Beweise
Fünf Stunden lang verliest die Vorsitzende Richterin alle Einzelheiten der Urteilsbegründung. Darin wird deutlich: Das Gericht hat die überwiegende Anzahl der Beweise aus Ermittlungen deutscher Sicherheitsbehörden, aus Telefonmitschnitten, Computerprotokollen, aus Mitschnitten von Wohnraumüberwachungen. Alles rechtsstaatlich legal über Machtbefugnisse für Sicherheitsbehörden erworben. Die Verteidiger der Männer schweigen. In den Wochen zuvor hatten sie dem Gericht vorgeworfen, den Beweisen von Geheimdiensten zu viel Gewicht zu geben. Etwa einem Brief, in dem ein hoher Al-Kaida-Führer die Düsseldorfer Gruppe lobend erwähnt. Die Verteidiger bezweifeln die Echtheit des Briefs. Angesichts der gesammelten, erdrückenden und detaillierten Erkenntnisse des Bundeskriminalamts sieht das Gericht diesen Brief aber lediglich als zusätzliches, nicht jedoch als allein entscheidendes Indiz für den Hauptvorwurf: Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Vorbereitung einer schweren Straftat.
Der Umfang der Strafen bleibt leicht unter den ursprünglichen Forderungen der Bundesanwaltschaft. Das Gericht hat vor allem den persönlichen Werdegang der Täter betrachtet, ihre Lebensumstände und religiöse Prägung. Die Radikalisierung erfolgte dabei über Jahre in Moscheen und privaten Gebetskreisen. Persönliche Bewunderung körperlicher Kraft hat wohl auch eine Rolle gespielt. Die Anführer trainierten Kampfsport. Einer der Verurteilten war bei seiner Verhaftung im Jahr 2011 erst 19 Jahre alt. Die Aufträge zu den geplanten Anschlägen stammten nicht von der Gruppe, sondern von Al-Kaida selbst. All diese Umstände wurden berücksichtigt. Eventuell angreifbare Beweise wurden weniger gewichtet und haben mit zu den milderen Urteilen geführt. Der Eindruck eines fairen Prozesses entsteht im Publikum - darunter 20 Journalisten, die die rund 60 Zuschauerplätze nicht füllen.
Gefährlichkeit der Terrorgruppe
Bei der Planung des blutigen Anschlags mit einer Splitterbombe sind den Tätern viele Fehler unterlaufen. Bei der Ausreise in ein Terrorcamp übersieht der Anführer, dass seine Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland ausgelaufen ist, weil er über sechs Monate nicht mehr in Deutschland war. In sehr aufwendigen Aktionen fälschen Unterstützer in Belgien Ersatzpapiere. Das kostet Geld. Das will ein Mitglied der Terrorgruppe über Betrügereien im Internet ergaunern, doch er fällt dabei selbst auf Betrüger herein. Eine Haarfärbung zur Tarnung gelingt nicht. Die Haare färben sich leuchtend rot. Perücken und Bärte aus einem Laden für Karnevalszubehör sollen die Panne überdecken. Als eine Wohnung zum Bombenbau gesucht wird, kann einer der Terroristen nicht helfen, weil er Stress mit seinen Eltern hat. Obendrein lieferten die gekauften Grillanzünder nicht den für den Bombenbau benötigten Stoff Hexamin.
Diese wenigen Beispiele mögen den Eindruck erwecken, es handelte sich bei den rechtzeitig vor der Tat festgenommenen Männer um reine Dilettanten. Die Sicherheitsbehörden und das Gericht sehen aber die enorme kriminelle Energie, den ungebrochenen Willen zu einer Bluttat und die absolute Ergebenheit gegenüber der Al-Kaida-Führung als bewiesen an. Dazu nur ein kleines Beispiel: Ein Mitglied der Düsseldorfer Terrorgruppe arbeitete bei einer Telefongesellschaft und stahl die Daten der Telefonkunden. Sie enthielten Passwörter, mit denen auch die E-Mail-Fächer der Telefonkunden ohne deren Wissen hätten geknackt werden können. Dann wären im Namen der E-Mail-Besitzer Bestandteile für den Bombenbau im Internet bestellt worden. Doch dazu kam es nicht mehr. Die Terrorgruppe wurde verhaftet, als die überwachende Kriminalpolizei hört, dass die Täter loslegen wollen. Das war im April 2011.
Kein Ende der Gefahr
Al-Kaida hatte große Hoffnungen auf die Düsseldorfer Männer gesetzt. Das Terrornetzwerk hat starke Probleme bei der Rekrutierung "geeigneter Krieger". Doch als am Donnerstag die Urteilsbegründung beendet ist, verlässt ein Mann den Zuschauersaal, dessen Hose nach Vorbild des Propheten Mohammed über den Knöcheln endet. Auf seiner Jacke ist ein Sticker mit dem islamischen Glaubensbekenntnis zu sehen. Er winkt dem Anführer der Gruppe durch die Trennscheiben zu. Es sieht aus, als wolle er signalisieren: "Unser Kampf geht weiter." Davon jedenfalls gehen die Sicherheitsbehörden nach dem Prozess aus.