Beutekunst von Hitler und Stalin bis heute
17. November 2015Zwei Jahre ist es jetzt her, dass der berühmte Goldschatz von Eberswalde in der Eremitage in Sankt Petersburg ausgestellt wurde. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der russische Staatschef Wladimir Putin waren zur Eröffnung gereist. Es war das erste Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, dass dieser bedeutende Fund aus der Bronzezeit überhaupt der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Bis dahin hatte er im Depot des Pushkin-Museums in Moskau gelagert.
Zu verdanken war die Ausstellung dem deutsch-russischen Museumsdialog - ein Team von Wissenschaftlern beider Länder hatte das Konzept erstellt. Doch es gab einen Haken: Sie wurde nur in Russland gezeigt, nicht in Deutschland. Das wurde von der Politik beider Seiten verhindert.
Seit 1998 regelt ein Duma-Gesetz die Rechtslage sogenannter "kriegsverlagerter Kulturgüter" aus Deutschland - sie werden nahezu alle zu russischem Staatseigentum erklärt. Als Kompensation für die Plünderungen und Zerstörungen russischer Kulturgüter durch die deutsche Wehrmacht.
Das "Beutekunstgesetz" als Bruch des Völkerrechts
Die deutsche Regierung erkennt diese Position nicht an, dieses "Beutekunstgesetz" stehe nicht im Einklang mit international gültigem Völkerrecht. Sie fordert die Kulturgüter, die ursprünglich aus deutschen Beständen stammen, zurück. Die Konsequenz: Gemeinsame Ausstellungen wie die des Eberswalder Goldschatzes können nicht in Deutschland gezeigt werden. Denn dann würde Russland eine Rückgabeerklärung aller Exponate von der deutschen Regierung fordern. "Das käme einer Einverständniserklärung der russischen Rechtsposition gleich", erklärt Hermann Parzinger. Diese ist die deutsche Regierung aber nicht bereit zu leisten. "Ich weiß nicht, wie sich das in Zukunft lösen lässt", gibt der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und Sprecher der deutschen Seite des Museumsdialogs zu. "Aber", betont er, "von dieser schwierigen Basis ausgehend haben wir in den letzten zehn Jahren wirklich Vertrauen aufgebaut."
2005 wurde der Deutsch-Russische Museumsdialog von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, der Kulturstiftung der Länder und über 80 deutschen Museen in Berlin gegründet. Das Ziel: Kontakte und Zusammenarbeit zwischen deutschen und russischen Museen auf der Fachebene zu ermöglichen. In erster Linie geht es dabei um das gemeinsame Erforschen der deutschen wie der russischen Kriegsverluste. Wo sind die Kulturgüter hingekommen? Gibt es sie überhaupt noch? In welchem Zustand sind sie? Dies sind die ersten Fragen, die die Wissenschaftler versuchen zu beantworten. Dazu werden auch Zeitzeugen befragt und öffentliche wie private Archivbestände und vor allem die Transportlisten der sowjetischen "Trophäenbrigaden" ausgewertet, die innerhalb der Sowetischen Armee für die Beschaffung von Kunstobjekten zuständig waren. Und es wird erforscht, was mit russischen Museen im Zweiten Weltkrieg geschehen ist.
Das legendäre Bernsteinzimmer – bis heute verschollen
Für den russischen Sprecher des Museumsdialogs, Michail Piotrowski, ist ein wichtiges Ergebnis der zehnjährigen Zusammenarbeit, "dass wir aufgehört haben, von den zwei Seiten zu sprechen, als ob sie in gleichem Maße gelitten hätten." Auch wenn der Generaldirektor der Staatlichen Eremitage St. Petersburg betont, es gehe um Kunst und Kultur, nicht um Politik. Deutschland hat den Krieg angefangen, die deutsche Wehrmacht hat mit der Plünderung russischer Museen begonnen. Dies allen Gesprächen voranzustellen ist wichtig, das weiß auch Parzinger: "Es ist unglaublich viel vernichtet worden. Das war ja das perfide an der Nazi-Ideologie, dass sie die Kunst nicht nur gestohlen haben, sondern ganze Bibliotheken zerstört haben."
Das wohl prominenteste Beispiel: Das Bernsteinzimmer von Zarskoje Selo bei Sankt Petersburg. Bis heute ist nicht klar, was mit dem wertvollen Bernstein geschehen ist, den Friedrich Wilhelm I. einst Peter dem Großen zum Geschenk gemacht hatte, und den die Nazis 1941 von den Wänden des Katharinenpalastes schlugen. Bis heute gilt er als verschollen.
Raubkunst wie Souvenirs aus fernen Ländern
Doch auch einzelne deutsche Soldaten nahmen Kunst aus russischen Museen und Kirchen mit. "Häufig nicht einmal mit einem Unrechtsbewusstsein", erklärt Wolfgang Eichwese, Leiter des Projekts "Russische Museen im Zweiten Weltkrieg". "Sie sahen das einfach als eine Art Souvenir an, das sie für ihre Familien zu Hause mitbrachten." Ein Kleinschwert aus dem 19. Jahrhundert, das noch vor Kurzem in einer Kölner Privatwohnung lag, wurde jetzt im Rahmen des Festakts im Bode-Museum Berlin an das Museum Nowgorod überreicht.
Und auch die Staatsbibliothek zu Berlin hat ein Objekt aus ihren Beständen an den rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben: Ein kirchenslawisches Messbuch von 1651, in dem die Berliner einen Stempel aus dem Staatlichen Museum Nowgorod entdeckten. Parzinger stellt klar: "Es wird nicht gehandelt, was wir im Gegenzug bekommen könnten. Das verbietet sich. Es wird sofort restituiert."
"Rückgabe ist Sache der Politik"
Russland hat bereits einen großen Teil seiner Beutekunst aus Deutschland zurückgegeben – an die ehemalige DDR. Schätzungen gehen davon aus, dass rund vier Millionen Objekte nach Ende des Zweiten Weltkriegs aus Deutschland in die Sowjetunion gebracht wurden. In den 1950er Jahren gab die Sowjetunion 1,6 Millionen Objekte an die DDR zurück – darunter den berühmten Pergamonaltar, der Berlin wieder zu einer Museumsstadt von Weltrang machte.
Und auch in den vergangenen zehn Jahren gab es einen Erfolg der Rückgabe: Die Bleiglas-Fenster der Marienkirche in Frankfurt an der Oder. Ein Großteil der Einzelfelder, aus denen die Fenster bestehen, wurde 1997 in der Eremitage entdeckt. Die verbliebenen Felder wurden schließlich im Moskauer Puschkinmuseum gefunden. Auch sie konnten 2008 in die Marienkirche zurückkehren.
Und doch: Geschätzte 2,5 Millionen Kunstwerke und Kulturgüter sind noch immer verschollen. Immerhin, berichtet Parzinger, bekämen die deutschen Wissenschaftler mittlerweile Zugang zu allen Archiven, könnten also Stück für Stück erforschen, wo noch welche Objekte lagern und in welchem Zustand sie sich befinden. Eines aber stellt er klar: "Wir sprechen nicht über Rückgaben, das ist Sache der Politik." Und die, das ist ihm klar, "hat derzeit anderes zu tun."