Wie frei ist die Presse in Ungarn?
22. Oktober 2013Der Moderator Attila Mong war der Erste, der vor knapp drei Jahren auf das neue Mediengesetz der ungarischen Regierung reagierte: Es besagte, dass künftig eine Kontrollbehörde, deren Mitarbeiter der Regierungspartei angehören, die Medien beaufsichtigen solle. Gegen diese Einschränkung der Pressefreiheit protestierte der Moderator Attila Mong am Morgen des 21. Dezember 2010 in seiner Radiosendung beim staatlichen Sender Kossuth Rádió mit einer Schweigeminute. Man hatte ihm verboten, das neue Gesetz zu kommentieren. Noch am selben Tag wurde er gefeuert. Er erinnert sich an frühere Proteste für mehr Demokratie. "Als wir 1989 in den Straßen von Budapest demonstrierten, hoffte ich auf den Beginn einer demokratischen Ära in Ungarn. Und ich hätte mir nie vorstellen können, dass ich 20 Jahre später als Journalist mit einem so repressiven und antidemokratischen Mediengesetz konfrontiert sein würde", fasst Mong heute seinen Frust zusammen. Er ist das vielleicht bekannteste Beispiel, doch in den vergangenen Jahren haben im EU-Mitgliedsstaat Ungarn Hunderte Redakteure und Reporter ihren Job in den öffentlich-rechtlichen Medien verloren, weil sie zu kritisch waren. Und private Sender wie das unabhängige Klubradio stehen kurz vor dem Aus, weil sie vor Gericht ihre Sendelizenzen erstreiten und hohe Lizenzgebühren zahlen müssen. Außerdem übt die Regierung Druck auf ihre Werbekunden aus, die sich aus Angst vor Schwierigkeiten zurückziehen. Das Ziel von Klubradio: Durchhalten bis zu den nächsten Parlamentswahlen im Frühjahr 2014.
Auch ausländische Journalisten sind im Visier
Stephan Ozsváth beobachtet die Situation in Ungarn von Wien aus als Korrespondent des deutschen öffentlich-rechtlichen Hörfunks. Auch er und seine Kollegen bekamen mehrfach zu spüren, wie die ungarische Regierung mit ihren Kritikern umgeht. "Es gab Diffamierungskampagnen in den ungarischen Medien. Dort stellten sich dann Staatssekretäre ins Fernsehen, nannten unsere Namen und erzählten Unsinn über uns. Dazu gab es Shitstorm-Kampagnen im Netz, die so massiv waren, dass ich nicht glaube, dass das nur spontane Äußerungen von Einzelnen waren." Ozsváth und seine Kollegen wehrten sich erfolgreich. Momentan ist die Situation für sie etwas entspannter. "Man kann uns ja nicht dafür verurteilen, dass wir schlechte Nachrichten verbreiten. Die schlechten Nachrichten werden ja von der ungarischen Regierung gemacht. Wir berichten darüber, auch wenn das der Regierung so nicht in den Kram passt. Damit muss jede Regierung leben."
Doch der harsche Umgang zeigt das paranoide Verhalten der konservativen Machthaber, die auch vor Verschwörungstheorien nicht Halt machen: "Wir wurden zum Beispiel als verlängerter Arm der ungarischen Linken diffamiert", erklärt der Korrespondent. Trotzdem warnt Ozsváth vor dem landläufigen Missverständnis, man könne in Ungarn nicht mehr schreiben, was man wolle. Das könne man wohl, vor allem im Internet, aber die Frage sei, wer es liest. Denn Radio und Fernsehen wurden nahezu gleichgeschaltet. Sie gelten als Sprachrohr der Regierung. Dafür sorgt die staatliche Medienbehörde. Diese wurde 2011 im Zuge eines neuen Mediengesetzes gegründet. Sie kann Lizenzen entziehen und hohe Strafen verhängen. Ihre Chefin ernannte der ungarische Ministerpräsident persönlich - Regimetreue ist damit garantiert. Mittlerweile musste das ungarische Parlament das international scharf kritisierte Mediengesetz abändern. Der Druck der EU aus Brüssel wurde zu stark. Aber in der Praxis hat sich wenig verändert.
Ein Plädoyer für sauberen Journalismus
Besonders viel Aufmerksamkeit aus dem Ausland bekommt der private und unabhängige Sender Klubradio. Die ungarische Medienbehörde versuchte zweieinhalb Jahre lang, den Sender abzuschalten und bediente sich dafür einer ganze Palette an administrativen und legalen Kniffen. Vergeblich, denn Klubradio sendet, steht aber heute vor dem finanziellen Ruin. Es ist nicht nur die Klubradio-Mannschaft, die ideelle und finanzielle Unterstützung momentan gut gebrauchen kann. "Es gibt viele sehr engagierte Journalisten in Ungarn, die versuchen, unabhängig zu arbeiten, ob in privaten Medien oder im NGO-Bereich. Es gibt eine ganze Reihe neuer Initiativen und Modelle, die mit kleinen privaten Spenden finanziert werden, und die auf Leserbeteiligung setzen. Dort entsteht gerade eine Infrastruktur, die es zu unterstützen lohnt", sagt der Journalist Attila Mong. Auch Stephan Ozsváth plädiert dafür, Journalisten bei ihrem Anliegen, in Ungarn sauberen Journalismus zu machen, mit allen Mitteln zu unterstützen. Aber er fordert auch, den politischen Druck auf Ministerpräsident Orbán zu erhöhen, vor allem seitens der EU, die bisher eher als "zahnloser Tiger" daherkomme.
Mong lebt mittlerweile in Berlin, hat zuvor im kalifornischen Stanford einen renommierten Masterabschluss gemacht und arbeitet immer noch als Journalist, vornehmlich für Online-Medien. Mundtot konnte ihn niemand machen, denn er kann von überall auf der Welt arbeiten. Er reist regelmäßig nach Ungarn, aber natürlich bleibt der Wunsch, irgendwann auch endgültig zurückkehren zu können: "Ich würde es so gern erleben, dass die ungarische Presse wieder freier ist. Und auf einem wirtschaftlichen und rechtlichen Fundament fußt, der viel unabhängiger ist als heute", sagt Mong.