Amazon: Gut für Kunden, schlecht für den Wettbewerb?
16. Juli 2020Am 27. Juli ist Showtime in Washington: Dann muss sich Amazon-Chef Jeff Bezos (Artikelbild) vor dem Wettbewerbsausschuss des US-Kongresses unter Eid unangenehmen Fragen stellen, zweieinhalb Jahrzehnte, nachdem er das erste Buch über Amazon online verkaufte. Wie er müssen auch die Chefs von Facebook, Apple und Google in den nächsten Wochen den US-Abgeordneten Rede und Antwort stehen. Aber anders als für Apple-Chef Tim Cook, Facebook-Gründer Marc Zuckerberg und Google-CEO Sundar Pichai, ist es für Jeff Bezos das erste Mal.
Es geht um die Geschäftspraktiken des Internethandelskonzerns und ob Händler, die Amazon als Verkaufsplattform nutzen, fair behandelt werden. Dass die Ausschuss-Mitglieder Bezos mit Samthandschuhen anfassen, ist eher unwahrscheinlich.
Im Interview mit dem TV-Sender Bloomberg gab der republikanische Abgeordnete im Repräsentantenhaus, Kenneth Buck, die Richtung vor.
"Ich denke, eine Reihe von Ausschuss-Mitgliedern will mehr über das wettbewerbswidrige Geschäftsgebaren wissen, das wir sehen, wenn wir uns die Produkte und Dienstleistungen dieser Unternehmen ansehen", sagte der 61-jährige Jurist und frühere Bezirksstaatsanwalt aus Colorado.
Es geht um die Daten, die der Bezos-Konzern sammelt, wenn andere Unternehmen auf der Amazon-Plattform Waren verkaufen. Und es geht darum, wie Amazon und Co. den Wettbewerb behindern, indem sie mit ihren Dollar-Milliarden potenziellen Konkurrenten das Leben schwer machen - oder sie einfach aufkaufen.
Dabei seien viele Geschäftspraktiken noch nicht einmal illegal, räumt Kenneth Buck ein. Das heiße aber noch lange nicht, dass der Gesetzgeber sie auch in Zukunft dulden wird.
Man sei sich mit den US-Demokraten einig, dass das Kartellrecht reformiert werden müsse, wenn möglich schon im nächsten Jahr. "Die Kartellgesetze wurden für ein völlig anderes Marktumfeld Anfang des 20. Jahrhunderts geschaffen, um damalige Kartelle zu zerschlagen. Dann wurden sie vor einiger Zeit überarbeitet, um die großen Telekommunikationskonzerne zu regulieren. Aber die Gesetze wurden nie an die neuen Tech-Konzerne und Plattform-Unternehmen angepasst, die es heute gibt." Was der Gesetzgeber auf jeden Fall verhindern will, so Buck, ist, dass ein paar Hightech-Giganten alles dominieren und damit Wettbewerb und Innovation behindern.
Vom Investment-Banker zum Goldgräber des Internets
Dabei hatte alles vor 25 Jahren ganz klein angefangen. Mitte der 1990er Jahre, Jeff Bezos arbeitet damals als Investmentbanker in New York. Der studierte Informatiker und Elektroingenieur erkennt früh, welches Potenzial im Internethandel steckt. Es ist eine Zeit ohne Smartphones und ohne WLAN. Analoge Modems sind nötig, um sich mit einer Telefonnummer per Telefonleitung ins Internet einzuwählen. Während des Verbindungsaufbaus gibt das Modem pfeifende, rauschende Töne von sich. Die Verbindungen sind so langsam, dass es oft Minuten dauert, bis sich eine einzige Online-Seite aufbaut. Wenn überhaupt - denn oft bricht die Verbindung ab.
"Ich fand auf einer Internetseite die Information, dass das Internet mit einer Rate von 2300 Prozent pro Jahr wachsen würde", erzählt Bezos in einem seiner seltenen Interviews. Der damals 30-jährige arbeitet 1994 für einen New Yorker Hedgefonds, für den er nach gewinnbringenden Anlagemöglichkeiten sucht. "Die Vorstellung, einen Online-Buchladen aufzubauen, hat mich geradezu in den Bann geschlagen", erinnert sich Bezos.
Vom Online-Buchhändler zum Allesverkäufer
Sein Kalkül: Amerikaner geben Mitte der 1990er Jahre 19 Milliarden US-Dollar im Jahr für Bücher aus. Für einen Buchladen im Internet gäbe es praktisch keine Grenzen, wenn es um Ladenfläche und verfügbare Regale geht. "Es war mir völlig klar, als ich so über die Sache nachdachte, dass ich ein Unternehmen gründen würde, das Bücher übers Netz verkauft", so Bezos. "Ich wusste, wenn ich das nicht versuche, würde ich das mein ganzes Leben lang bereuen."
Bezos legt los und gründet 1994 (natürlich in einer Garage und zunächst unter dem Namen Cadabra) sein Unternehmen. Drei Jahre später schon der Börsengang. Das junge Unternehmen überlebt das Platzen der Dot.com-Blase um den Jahrtausendwechsel und wächst immer weiter, während andere frühe E-Commerce-Pioniere reihenweise Pleite gehen.
Bezos gelingt es, Jahr für Jahr die Investoren bei Laune zu halten, obwohl er Milliarden Dollar ins Wachstum seines Online-Allesverkäufers steckt und keinen Gewinn macht. Bis 2001, als er im vierten Quartal zum ersten Mal fünf Millionen Dollar Plus machte und der Umsatz über eine Milliarde Dollar klettert.
10.000 Dollar Umsatz - pro Sekunde
Heute setzt Amazon diese Summe in weniger als zwei Tagen locker um - 2019 lag der Konzernumsatz bei mehr als 280 Milliarden Dollar. Mitte April rechnete der britische Guardian aus, dass Amazon durch den Online-Boom in der Coronakrise 10.000 Dollar Umsatz macht - pro Sekunde und rund um die Uhr. Zum Online-Handel kommen Dienstleistungen wie Amazon Pay oder die Streaming-Dienste Amazon Music und Prime Video dazu. Außerdem verdient der Riese im Cloudgeschäft mit Amazon Web Services (AWS), einem der weltweit größten Betreiber von Serverfarmen, Milliarden am Datenvolumen, dass andere Online-Konzerne produzieren. Mittlerweile steuert AWS mehr als die Hälfte zum Konzerngewinn bei - der im Jahr 2019 bei 11,6 Milliarden Dollar lag.
Die Erfindung der Plattform-Ökonomie
Schon früh hatte Bezos verstanden, dass "da draußen ein E-Commerce-Goldrausch im Gange war", erinnert sich James Marcus, ein früher Mitarbeiter, der 1996 von Bezos angeheuert wurde, um Buch-Rezensionen zu schreiben. Schon damals ging es Bezos darum, auf seiner Plattform alles anzubieten, was sich per Paket verschicken lässt, berichtet Marcus. "Marken sind wie schnell trocknender Zement. Wir wollen nicht auf ewig nur als Online-Buchhändler wahrgenommen werden", habe Bezos argumentiert.
Marcus Erinnerungen an die Zeit, als Amazon so klein war, dass seine Email-Adresse kurz und bündig [email protected] war, hat er in seinem Buch "Amazonia: Fünf Jahre im Epizentrum der E-Commerce-Revolution" verarbeitet. Man kann es bis heute bei Amazon bestellen.
"Heroin-Dealer und Süchtige"
Dem Amazon-Gründer ging es von Anfang an nicht nur darum, die 15 Prozent Provision zu kassieren, die fällig sind, wenn ein Händler über die Amazon-Plattform seine Produkte verkauft. Er wolle stets immer mehr vom Kuchen, am besten alles, erinnern sich frühe Weggefährten in der US-Dokumentation "Amazon Empire: The Rise and Secrets of Jeff Bezos".
Für den Technologie-Experten Brad Stone, Autor der Bezos-Biographie "Der Allesverkäufer", gleicht die Beziehung zwischen Amazon und den Händlern, die über die Plattform ihre Waren verkaufen, der Beziehung zwischen Dealer und Heroin-Abhängigen. Es sei natürlich für Händler verführerisch, wenn sie plötzlich Zugang zu mehr als 200 Millionen Kunden allein in den USA (weltweit sind es über 400 Millionen) bekommt, die alle ihre Kreditkarten-Informationen hinterlegt haben und mit einem Klick zum Kunden werden können.
"Schon 2007 hat Jeff Bezos erkannt, dass Amazon ein umfassendes Angebot nur mit Hilfe seiner Händler erreichen und zudem schneller wachsen kann", erklärt Holger Schmidt, der sich seit vielen Jahren mit den Unternehmen der sogenannten Plattform-Ökonomie beschäftigt.
"Heute entfällt mehr als die Hälfte des Handelsvolumens auf diese Händler, denen Amazon ergänzende Services wie Logistik, Finanzen oder Cloud-Dienste verkauft. Dabei profitieren die Händler ebenso wie die Konsumenten von Netzwerkeffekten", beschreibt der frühere Wirtschaftsjournalist, der an der TU Darmstadt Netzökonomie lehrt, Bezos Plattform-Strategie gegenüber der DW.
Doch am Ende könne diese Beziehung auch zerstörerisch sein, meint Buchautor Brad Stone. "Amazon nimmt Dich aus, wenn es um Deine Margen geht und konkurriert dann mit Dir."
Das Amazon-Mantra: Kunden glücklich machen!
Was Amazon seit 25 Jahren so erfolgreich macht, ist der totale Fokus auf die Zufriedenheit seiner Kunden, Mitarbeiter und Dritthändler müssen dafür einiges hinnehmen. Nur der hohe Arbeitstakt der Arbeiter in den Amazon-Logistikzentren, Fulfllment Center genannt, macht es möglich, die Ware in Rekordzeit den Kunden zu liefern. Oder wenn Amazon großzügig Ware zurücknimmt, dann haben oft die externen Händler auf der Plattform das Nachsehen und bleiben auf den Kosten sitzen.
Dass Politik und Wettbewerbshüter die Regeln zu Ungunsten von Amazon und anderen großen Hightech-Riesen ändern, macht in den Augen von Netzökonom Holger Schmidt trotzdem keinen Sinn: "Plattformen müssen anders behandelt werden als klassische Unternehmen. Eine Zerschlagung würde die Netzwerkeffekte kappen und damit den Konsumenten schaden, die von den Innovationen, der großen Auswahl und den niedrigen Preisen profitieren. Ich kenne keinen Konsumenten, der sich über Amazon beschwert", betont Schmidt.
Eigene Konzepte statt Verbote
Trotzdem müssten die Regulierer für faire Regeln sorgen, räumt er ein. "Zum Beispiel sollten Plattformen ihre eigenen Produkte nicht unberechtigt bevorzugen oder den Wechsel zu anderen Plattformen, das so genannte Multi-Homing, behindern dürfen."
Wie es weiter geht, hängt nicht nur von den Anhörungen in Washington und der politischen Entwicklung nach den US-Wahlen im November ab. Auch aus Brüssel weht Amazon ein heftiger Gegenwind ins Gesicht. EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager bereitet dort ein Kartellverfahren gegen den Bezos-Konzern vor.
Plattform-Experte Holger Schmidt sieht das mehr als kritisch: "Ein Geschäftsmodell zu verbieten, nur weil es besser ist, wäre töricht. Wir sollten Amazon in Europa nicht bekämpfen, sondern lieber eigene Plattformmodelle aufbauen."