Deutsche Abschiebungspolitik setzt Nigerianer unter Druck
10. November 2023Menschen in Nigeria verfolgen die hitzige Debatte um die neue Ausländerpolitik Deutschlands, die auch Folgen für zahlreiche nigerianische Flüchtlinge in Deutschland hat. Berlin ist entschlossen, eine härtere Gangart einzuschlagen, insbesondere bei der Abschiebung von Migranten, deren Asylantrag abgelehnt wurde. Dennoch streben viele Nigerianer nach wie vor danach, ins Ausland überzusiedeln.
"Wenn ich auf legalem Weg nach Europa gelangen kann, ist das besser für mich, denn die Not hier ist sehr groß", sagt ein Anwohner des Viertels "Area 10 Market" in Nigerias Hauptstadt Abuja. Einige äußern Zweifel an dem gefährlichen Schritt, ihr Heimatland zu verlassen: "Manche Menschen reisen ohne Ziel. Man muss einen Grund haben", sagt ein anderer zur DW. "Ich würde Nigeria nicht verlassen wollen. Wenn alle Nigerianer gehen, wer bleibt dann noch übrig hier? Wir müssen Nigeria aufbauen, anstatt es einfach zu verlassen".
Nigeria, Afrikas bevölkerungsreichstes Land, hat mit Korruption, Arbeitslosigkeit und Terror zu kämpfen. Boko Haram und ISWAP (Islamischer Staat Provinz Westafrika) haben ihre Angriffe auf Regierungs- und Sicherheitskräfte sowie auf Zivilisten im Nordosten des Landes fortgesetzt. In dem Konflikt sind seit 2009 etwa 40.000 Menschen getötet und mehr als zwei Millionen vertrieben worden.
Nigeria gehörte jahrelang zu den zehn wichtigsten Herkunftsländern von Asylbewerbern in Deutschland. Seit letztem Jahr ist dies nicht mehr der Fall, aber auch in diesem Jahr wurden bis September mehr als 1800 Asyl-Erstanträge von Nigerianern gestellt.
Nigerias unerfüllte Versprechen
Die Anerkennungsquote ist jedoch vergleichsweise niedrig. Knapp 14.000 Menschen aus Nigeria gelten aktuell nach Angaben der deutschen Ausländerbehörde als ausreisepflichtig. Davon sind rund 12.500 geduldet, meist weil sie keine Ausweispapiere haben. Bislang hat Nigeria die Menschen in diesen Fällen in der Regel nicht zurückgenommen.
Judith Ibi, eine nigerianische Anwältin, sagt, dass viele Nigerianer das Land in erster Linie verlassen, um in Deutschland bessere Arbeitsmöglichkeiten, höhere Löhne und einen besseren Lebensstandard zu finden. "In diesem Fall mache ich die nigerianische Regierung dafür verantwortlich, dass sie ihre Aufgaben und ihre Politik nicht erfüllt", sagt sie im DW-Gespräch.
Laut Ibi sieht die nigerianische Verfassung eine Sozialpolitik vor, die das Leben der Bürgerinnen und Bürger in Nigeria erleichtern soll. "Das Versäumnis der Regierung, diese Leistungen bereitzustellen, ist jedoch ein großes Problem", erklärt sie.
Während seines Besuchs in Nigeria Ende Oktober forderte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eine engere Partnerschaft zur Steuerung der Migration. Er sprach sich für den Ausbau von Migrationszentren aus und forderte die Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern.
Finanzierung der Migrationszentren
Die Migrationszentren wurden gegründet mit dem erklärten Ziel, Rückkehrer aus Deutschland und anderen Ländern zu unterstützen. Im Gegenzug sollen die Einrichtungen Fachkräfte beraten, die nach Deutschland auswandern wollen.
"Das erfordert Vorbereitung und Investitionen - auf beiden Seiten", sagte Kanzler Scholz in Lagos. Präsident Bola Tinubu hat sich offen für die Rückkehr der betreffenden Migranten gezeigt, und es gibt Pläne zum Ausbau von Migrationszentren in Nigeria.
Celestine Odogwu, Soziologiedozentin an der Universität Abuja, unterstützt nachdrücklich die Absicht Berlins, Nigerianer ohne Bleiberecht in Deutschland zurückzuschicken. "Es ist bedauerlich, dass Nigerianer in einer Situation sind, in der sie in Deutschland nichts zu tun haben", sagt sie.
"Was die deutschen Behörden jedoch verlangen, ist der Schutz ihrer Wirtschaft und ihres Staates, was für jede verantwortungsvolle Regierung normal ist. Wenn illegale Migranten in einer Gemeinde angetroffen werden, stellt das eine Beeinträchtigung für andere Menschen dar", so die Soziologin zur DW.
Qualifizierte Migranten werden gebraucht
Im Rahmen der jüngsten Reise von Bundeskanzler Scholz nach Nigeria und Ghana wurde viel über Menschen aus diesen beiden Ländern, die sich ohne Aufenthaltsrecht in Deutschland aufhalten, und ihre mögliche Rückkehr vor allem nach Nigeria diskutiert, bestätigt Henrik Maihack, Leiter der Afrika-Abteilung der Friedrich-Ebert-Stiftung, im DW-Interview.
"Das langfristige strategische Ziel Europas müsste jedoch sein, mehr qualifizierte Migranten nach Europa zu holen, anstatt über die Rückkehr zu reden. Denn im Jahr 2050 wird ein Drittel aller Europäer im Ruhestand sein", betont Maihack.
Deutschland als größte Volkswirtschaft in Europa müsse sich - ebenso wie Europa insgesamt - darüber Gedanken machen, wie es ein attraktives Ziel für qualifizierte Migranten werden könne, sagt er. "Das wird eine strategische Frage sein, denn das ist eine entscheidende Säule für die Sicherung unseres zukünftigen wirtschaftlichen Wohlstands in Europa."
Tahir Della, Sprecher der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland, beschreibt im DW-Gespräch die aktuelle deutsche Migrationspolitik mit harten Worten: "Abschiebung um jeden Preis, Abwälzung der Verantwortung auf den Globalen Süden, Missachtung der Menschenrechte und weitere Aushöhlung des Asylrechts."
Schon in den 1990er Jahren habe sich gezeigt, dass dies die Migration auf Dauer nicht verhindern werde, und es werde immer deutlicher, dass sich die europäischen Nationen, Gesellschaften und Staaten diesen Problemen endlich verantwortungsvoll stellen müssten, so der Aktivist. "Eine Festung Europa darf und soll es nicht geben."
Deutschland "nicht am Abgrund"
Die deutsche Regierung steht unter starkem Druck der Oppositionsparteien, die ihr vorwerfen, die Zuwanderung nicht zu kontrollieren und die illegale Migration nicht zu stoppen. Offenkundig durch Migranten ausgelöste Krawalle hatten dazu neuen Anlass gegeben. "Die Politiker fühlen sich von der Alternative für Deutschland (AFD) und anderen getrieben", sagt Della mit Blick auf diese rechtspopulistische politische Partei.
Aber nur ein kleiner Teil der Flüchtlinge aus Nigeria und anderen Ländern erreichten Europa und Deutschland, sie wanderten in erster Linie in ihre Nachbarländer, merkt Della an. Die Politik müsse sich die Fragen stellen: 'Wohin schieben wir sie ab, wie ist die Sicherheitslage in der Heimat und wie sind ihre Perspektiven?', betont Della: "Deutschland ist nicht am Abgrund."
Dieser Artikel erschien zuerst auf Englisch. Mitarbeit: Ben Shemang in Abuja