Wie man Geld versenkt
19. Oktober 2015Inzwischen tobt der Streit um die Energiewende in Deutschland auch unterm Boden. Ausgelöst durch einen Beschluss der Bundesregierung, die umstrittenen Stromautobahnen von Nord nach Süd künftig "vorrangig" unterirdisch verlegen zu wollen. Erdkabel statt großer Strommasten mit Freileitungen, das soll nach dem Willen der Großen Koalition in Berlin jene Konflikte befrieden, die im vergangenen Jahr aufgebrochen sind. Insbesondere in Bayern, aber auch in anderen Bundesländern, gab es nach bekanntwerden möglicher Trassenverläufe massive Bürgerproteste.
Die Hochspannungsleitungen wurden zu "Monstertrassen" umgetauft - die Akzeptanz für das Klimaschutzprojekt Energiewende und den Transport von Windstrom aus dem Norden in den energiehungrigen Süden der Republik sank. Wer direkt betroffen war, wehrte sich, so dass die Namen der beiden größten Bauvorhaben "SuedLink" und "Gleichstrompassage Süd-Ost" zu Kampfbegriffen wurden. Mit den Erdkabeln, die keine Landschaftsbilder zerstören, soll das anders werden, sagte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) nach der Kabinettsentscheidung: "Der Beschluss stellt die Weichen für einen schnelleren und in der Bevölkerung akzeptierten Netzausbau".
Mehrjährige Bauverzögerungen durch Erdkabel
Dass die Energiewende durch Erdkabel aber tatsächlich beschleunigt wird, das bezweifeln ausgerechnet jene, die das umsetzen müssten. Vor Parlamentariern des Deutschen Bundestages standen Stromnetzexperten zu dieser Frage Rede und Antwort, mit einem eindeutigen Ergebnis: Statt mehr Tempo könnte der Beschluss der Regierung zum Boomerang werden und den Ausbau der Stromnetze um Jahre zurückwerfen. Das sagt beispielsweise Klaus Kleinekorte, der Chef des Übertragungsnetzbetreibers Amprion. Das Unternehmen betreibt zwischen Niedersachsen und Bayern Stromnetze der Hochspannungsebene. "Das Bauen einer Kabelstrecke ist sehr zeitintensiv, da setze ich schneller ein paar Freileitungen", so Kleinekorte.
Mehr als drei Jahre Verzögerung könnten so schnell entstehen, was auch Lex Hartman bestätigt. Er ist Chef von TenneT, einem anderen Hochspannungsnetzbetreiber im Norden und in der Mitte Deutschlands. Mit zu Verzögerungen beitragen würde auch ein "Genehmigungssumpf". Hartmann befürchtet, dass das Verlegen von Erdkabeln dies noch verschlimmern könnte. "Ich habe Projekte, die im Jahr 2002 ihre Genehmigungsphase begonnen haben und wo wir die Genehmigung immer noch nicht haben."
Netzausbau treibt Kosten für Energiewende nach oben
Nicht schneller, aber in jedem Fall deutlich teurer dürfte der Bau der unterirdischen Stromautobahnen werden. Das schätzt auch die Bundesregierung. Aus dem Bundeswirtschaftsministerium hieß es dazu, die Mehrkosten der Erdkabel würden sich auf drei bis acht Milliarden Euro belaufen. Bezahlt durch die deutschen Stromkunden, die im Strompreis inbegriffen eine Abgabe für Netz-Instandhaltung bezahlen. Für Klaus Kleinekorte von Amprion ist das allerdings noch längst nicht das endgültige Preisschild. Denn vor allem die Grabungskosten würden dabei unterschätzt. "Es geht eher um zehn bis zwölf Milliarden Euro mehr". Jedes lange Freileitungsstück, das nicht als Erdkabel gebaut werde, könnte daher die Kosten enorm senken.
Es lässt sich aber auch anders rechnen. Denn auch Verzögerungen durch Bürgerproteste gegen Freileitungen haben ihren Preis, insbesondere bei der Akzeptanz der Bürger. "Die Erdverkabelung rund um Siedlungen und Dörfern ist eine Sache, die absolut weiterhelfen kann", sagt Peter Ahmels von der Deutschen Umwelthilfe. Freileitungen bedeuteten einen massiven Einschnitt in das Landschaftsbild der Bürger, so Ahmels. Ein Einschnitt, der ihnen keine eigenen Vorteile bringt, bekräftigt Tjark Bartels. Er ist Landrat im Kreis Hameln-Pyrmont und erlebt auch bei sich Debatten um den Trassenbau. Um für solche Projekte Akzeptanz zu bekommen, müsse man tun, "was technisch möglich ist, um die negativen Auswirkungen so gering wie möglich zu halten."
Erdkabel sind unterirdisches "Neuland"
Doch was technisch wirklich möglich ist, das ist umstritten. Erdkabel für Strecken von mehreren hundert Kilometern seien bislang noch ein Experimentierfeld für Wagemutige, sagt beispielsweise Klaus Kleinekorte. Er ist Chef des Übertragungsnetzbetreibers Amprion und damit Vertreter eines der vier Unternehmen, die den Bau in Deutschland dann umsetzen müssten. "Wir betreten hier Neuland", sagt Kleinekorte. "Die Frage, wie zuverlässig ist ein Gleichstromkabel, können wir heute nicht beantworten".
Bei Gleichstromübertragung handelt sich um eine Übertragungstechnologie, die besonders wenig Stromverluste produziert und somit besonders für lange Transportstrecken geeignet ist. Sie ist derzeit das am weitesten ausgereifte Verfahren, und doch bleiben viele Fragen offen: Wie fehleranfällig sind unterirdische Stromautobahnen? Wie lange dauert eine mögliche Reparatur? Klaus Kleinekorte von Amprion rät dem Gesetzgeber zur Sorgfalt. Man könne die "Hauptschlagadern für die Versorgung Deutschlands" nicht mit Produkten bewerkstelligen, die es bisher nur im Prospekt gebe.
Aus dem Auge aus dem Sinn, das wären die Erdkabel ohenhin nicht. Experten sprechen von einem massiven Eingriff in den Boden, der nicht ohne Folgen bleibe. Erste Erfahrungen aus Pilotprojekten unterfüttern diese Befürchtungen mit Zahlen. Peter Ahmels hat im Namen der Deutschen Umwelthilfe die Verlegung eines Erdkabel-Pilotprojekts entsprechender Größenordnung wissenschaftlich begleitet. Dabei sei die Dimension der Aushubarbeiten deutlich geworden. 42 Meter breit war die Schneise, die aufgerissen wurde. 23 Meter weit blieb jener Korridor, der auch nach dem Ende der Bauarbeiten frei bleiben muss. Und statt eines einzigen Kabels mussten mehrere parallel verlegt werden, um die entsprechende Strommenge transportieren zu können.
"In Summe haben wir dort zwölf Kabel vergraben", so Ahmels. Zurück bleibt meist Ackerland, das nur noch bedingt genutzt werden kann. Nicht wenige Landwirte, die sich auch deshalb offen für Freileitungen aussprechen, weil sie massive Ertragseinbußen durch die unterirdischen Stromautobahnen befürchten. Klaus Kleinekorte hat deshalb einen einzigen Wunsch an den Gesetzgeber: "Lassen sie uns die Flexibilität, vor Ort die beste Lösung zu finden".