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"Die Arbeit beginnt jetzt erst"

Tatjana Petrenko5. März 2009

Menschenrechtler beklagen seit langem katastrophale Zustände in russischen Gefängnissen. Die Lage sei wesentlich verbessert. Probleme gebe es nur in Einzelfällen, kontern die Behörden.

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Bild: Fotomontage/AP Graphics/DW

Russland liegt nach den USA weltweit auf Platz zwei, was die Zahl der Inhaftierten betrifft. Nach Angaben des Föderalen Dienstes für Strafvollzug saßen Ende 2008 888.000 Menschen bei insgesamt 142 Millionen Einwohnern hinter Gittern. Das entspricht einer Quote von 0,63 Prozent. Zum Vergleich: Von 82 Millionen Einwohnern sitzen 72.000 in Deutschland in Gefängnissen, was eine Quote von 0,09 Prozent ergibt. Und: Während in Deutschland die Zahl der Gefangenen in den letzten fünf Jahren zurückging, steigen in Russland die Zahlen unaufhörlich: Seit 2004 gibt es 125.000 Inhaftierte mehr.

Haftbedingungen verschlechtern sich

Menschenrechtlern und dem Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zufolge hat sich in den vergangenen Jahren die Lage in russischen Gefängnissen drastisch verschlechtert. Viele Straflager und Untersuchungshaft-Zellen sind überfüllt und genügen nicht den elementarsten hygienischen Anforderungen. So seien Gesunde und Tuberkulosekranke zusammen untergebracht.

Die Vorsitzende des Gefangenen-Verbandes Russlands, Natalja Tschernowa, berichtet: Die ohnehin schon schwierige Lage im Freiheitsentzug werde durch das Vorgehen von Mitarbeitern des Föderalen Dienstes für Strafvollzug noch verschlimmert. Der Deutschen Welle sagte sie, dass die Verantwortlichen vieler Straflager sich mit den Problemen der Gefangenen nicht befassen würden. Sie beraubten sie sogar der Möglichkeit, sich selbständig zu versorgen, so wie es früher in den sogenannten "schwarzen Zonen" üblich gewesen sei.

Behörde weist Vorwürfe zurück

Der Föderale Dienst für Strafvollzug hält die Vorwürfe der Menschenrechtler für unbegründet. Der Mitarbeiter des Dienstes, Jurij Aleksandrow, räumte zwar Probleme ein, doch dabei handele es sich um Einzelfälle. "Die Haftbedingungen sind normal, erst recht wenn man sie mit denen in der Sowjetzeit vergleicht", so Aleksandrow. In drei bis vier Gebieten gebe es überfüllte Zellen, aber in den restlichen Gebieten des Landes betrage die Fläche pro Person in den Zellen 4,7 Quadratmeter. Die Norm liege bei vier Quadratmetern.

Nach Angaben des Föderalen Dienstes sind die russischen Gefängnisse zu 98 Prozent ausgelastet. Drei-Etagen-Betten und die Bettennutzung reihum durch Schlafende gehörten längst der Vergangenheit an. Das gelte auch für die gemeinsame Unterbringung von Tuberkulosekranken und Gesunden in einer Zelle. "Das ist absolut unwahr. Möglicherweise gab es Einzelfälle, in denen die Tuberkulose noch nicht diagnostiziert gewesen war und Gesunde mit Kranken einsaßen", sagte Aleksandrow.

Mangelnde gesellschaftliche Kontrolle

Wie die Lage in den russischen Gefängnissen tatsächlich ist, kann auch Amnesty International nicht feststellen. Der Grund sei die fehlende systematische gesellschaftliche Kontrolle, erläutert die Menschenrechtlerin Friederike Behr. Experten der Organisation hätten keinen Zutritt zu Gefängnissen. Vertretern russischer NGOs sei erst Ende vergangenen Jahres mit der Verabschiedung des Gesetzes über die gesellschaftliche Kontrolle zur Gewährleistung der Menschenrechte im Strafvollzug eine solche Möglichkeit gewährt worden. Demnach beginne die Arbeit erst jetzt, so Behr.

Dennoch: Die Informationen der Menschenrechtler, aber auch die Klagen, die in Straßburg eingehen, zeigen, dass es Probleme im russischen Strafvollzug gibt. Allein 2008 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in 74 Fällen Verstöße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention festgestellt.

In einem Punkt sind sich Menschenrechtler und der Föderale Dienst für Strafvollzug einig: Die Anzahl der Gefangenen muss reduziert werden. Dann werden sich auch die Haftbedingungen zwangsläufig verbessern.