Ende des Schweigens
4. November 2008Wer mit alten Spaniern über das dunkle Kapitel der Franco-Zeit sprechen möchte, bekommt als Antwort häufig nur ein Kopfschütteln. Was vergangen ist, ist vergangen, heißt es da. "Wir wollen doch keine alten Wunden aufreisen", ist vor allem von Leuten aus dem rechten Lager zu hören. Lange hat Spanien geschwiegen über jene Gräueltaten, die im Bürgerkrieg und in der Franco-Zeit begangen wurden.
Viele Politiker aus allen Lagern sind heute noch der Meinung, dass der Übertritt Spaniens nach Francos Tod 1975 in die Demokratie, die so genannte Transición, nur durch einen ungeschriebenen "Pakt des Schweigens" ermöglicht wurde. 1977 einigten sich die Politiker der junge Demokratie darauf, all jene, die in der Bürgerkriegszeit an Erschießungen teilgenommen hatten, per Generalamnestie zu begnadigen. Das betraf Täter auf beiden Seiten: Republikaner und Anhänger des Putsch-Generals Francisco Franco.
Ende des Schweigens
Das Schweigen hielt lange, bis sich die Generation der Enkel der Bürgerkriegsopfer aufmachte, sich endlich der Vergangenheit zu stellen und diese vor allem zu erforschen. Es entstand eine Bürgerbewegung zur Aufarbeitung, die inzwischen über ganz Spanien verbreitet ist. Sie begann damit, die Massengräber aufzuspüren, wo ihre Großväter und -mütter verscharrt worden sind. Seit 2000 wurden die Überreste von über 4000 Hingerichteten aus knapp 171 Massengräbern geborgen.
Noch heute ist unklar, wie viele Hingerichtete in Massengräbern liegen. Experten gehen von weit mehr als 200.000 republikanischen Opfern aus. Nach Schätzungen ließ Franco auch nach dem Bürgerkrieg etwa 150.000 Menschen erschießen. Die Republikaner sollen im Bürgerkrieg bis zu 60.000 Menschen hingerichtet haben, darunter viele Priester.
Viele Familien wissen bis heute nicht, wo ihre Angehörigen ruhen. Eine juristische Aufarbeitung der Franco-Diktatur fand lange nicht statt. 2002 verurteilte das spanische Parlament unter der Regierung des konservativen Ministerpräsidenten José María Aznar den Franquismus einhellig, allerdings ohne rechtliche Folgen.
Vergangenheitsbewältigung per Gesetz
Der sozialistische Ministerpräsident Zapatero erklärte die Aufarbeitung der Vergangenheit zu einer der Prioritäten seiner Regierung. Zapateros republikanischer Großvater war im Bürgerkrieg hingerichtet worden. Auf Initiative der sozialistischen Regierung (PSOE) wurde im Dezember 2007 das Gesetz "Ley de la Memoria Histórica" beschlossen, das den Hinterbliebenen bei der Suche ihrer Angehörigen unterstützen und die Vergangenheitsbewältigung vorantreiben soll.
Dennoch blieben viel Hürden für die Hinterbliebenen von Bürgerkriegsopfern. Einige von ihnen wandten sich an den Richter Baltasar Garzón. Und der reagierte mit einem Paukenschlag. Der durch die Ermittlungen gegen den chilenischen Diktator Augusto Pinochet bekannt gewordene Richter am obersten spanischen Strafgerichtshof, der Audiencia Nacional, will den Verantwortlichen für die Massenerschießungen im spanischen Bürgerkrieg (1936- 1939) und den ersten Jahren der Diktatur von General Francisco Franco den Prozess machen
Insgesamt seien bis 1952 114.266 Menschen verschwunden. Es handle sich dabei um "Verbrechen gegen die Menschlichkeit". "Der Staat kann seine eigenen Verbrechen nicht ungeschehen machen", erklärte der Richter. Damit fallen für ihn die Verbrechen der Diktatur nicht mehr unter die Amnestie 1977.
Gegenwind für Garzón
Garzón spricht von einem systematischen Plan zur Vernichtung des politischen Gegners und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Auf der Suche nach tausenden verschwundenen Hinrichtungsopfern ordnete er auch die Öffnung von 19 Massengräbern an, darunter auch jenes, in dem die Überreste Lorcas vermutet werden.
Garzóns Aktion spaltet das Land. Applaus bekommt der Richter vor allem aus dem linken Lager. Konservative Kreise und auch die katholische Kirche, die einst auf Seiten Francos stand, wirft dem Richter vor, ohne Not "alte Wunden zu öffnen". Auch die Person des Richters selbst steht in der Kritik. Ihm werden Geltungssucht und Eitelkeit vorgeworfen.
Juristisch steht Garzóns Vorhaben auf wackeligen Füßen. Staatsanwalt Javier Zaragoza, der 20 Jahre lang eng mit Garzón zusammengearbeitet hat, erklärte, bei den damaligen Ermordungen handele es sich im Prinzip nicht um "Verbrechen gegen die Menschlichkeit", sondern um gewöhnliche Straftaten. Deshalb sei Garzón nicht zuständig. Offenbar ist inzwischen die Freundschaft zwischen Garzón und Zaragoza zerrüttet. Jetzt muss das Oberste Gericht entscheiden, ob Garzón fortfahren darf.