22. Dezember 2017
Beneidenswert, was die Computer-Kids für Möglichkeiten haben: Ihre Kampfroboter und Weltraum-Amazonen purzeln beim Countdown zwar reihenweise um, aber wenn das Spiel vorbei ist, stehen sie auf, als sei nichts geschehen, und stehen für einen neuen Fight zur Verfügung. „Jetzt hab ich wieder zehn Leben!“ ruft Nadine begeistert und stürzt sich in einen neuen Kampf.
Schade, dass die Realität so anders aussieht. In Wirklichkeit habe ich nur ein Leben, und es wird jedes Jahr weniger, schwächer, kürzer. Vielleicht ist das aber auch gar nicht so schade. Vielleicht wäre ein Leben, das niemals endet, sich ständig neu reproduziert und kein Risiko, keine Bedrohung kennt, grässlich langweilig. Ein sich eintönig dahinschleppendes Einerlei ohne Höhepunkte und Hoffnungen.
Endlich, begrenzt, gefährdet
Mein Leben ist endlich, begrenzt, gefährdet. Aber dadurch werden meine Jahre, Tage und Stunden, meine Erfahrungen und Beziehungen auch kostbarer, interessanter, farbiger. Das Einmalige ist immer mehr wert als das hundertfach Wiederholbare. Gewiss, für ein begrenztes, bedrohtes Leben trage ich eine enorme Verantwortung. Aber ist Verantwortung bloß belastend? Gibt sie diesem Leben nicht auch Würde und Kraft?
Gedanken, die zur Jahreswende passen, wo die einen lärmend feiern und die anderen mehr oder weniger zweifelnd und melancholisch sinnieren – oder kann man das immer so sauber trennen? „Silvester“ heißt der Tag morgen. Und auch der lange schon vergessene Schutzpatron dieses letzten Tages im Jahr passt zu diesem skeptischen Nachdenken. Lebte er doch in einer typischen Zeit des Umbruchs und Wandels. Gestorben ist er im Jahr 335. Ansonsten weiß man kaum etwas über ihn, außer dass er geborener Römer war und über den Priscilla-Katakomben eine Kirche baute, wo er auch bestattet wurde. Später wurde er in die Kirche San Silvestro in Capite überführt.
Und ganz schön mutig muss er gewesen sein. Gerade erst zum Priester eingesetzt, vermutlich im Jahr 284, musste er sich vor den Christenverfolgern des Kaisers Diokletian in Sicherheit bringen. Später redete er angeblich einem allmächtigen Statthalter ins Gewissen, der ihn zwingen wollte, die von ihm verwalteten Besitztümer von Christen herauszugeben. Natürlich erstickte der habgierige Politiker an einer Fischgräte, behauptet zumindest die gruselige Legende.
Als Silvester drei Jahrzehnte später zum Papst gewählt wurde, war das nicht der glanzvolle Endpunkt einer Kirchenkarriere, sondern ein immer noch überaus gefährlicher Job. Erst ein Jahr zuvor hatte Kaiser Konstantin jedem Bürger des Römischen Reichs das Recht auf freie Religionsausübung gewährt.
Mut gehört zum Christsein
Aber Mut gehört zum Christsein – zumindest damals war das so. Menschen, die glauben, wissen freilich auch, dass sie nicht allein durch ihr gefährdetes, begrenztes Leben gehen. Ich darf mich begleiten, stützen, herausfordern, ermutigen, tragen lassen. Das nimmt die Angst und schenkt Ruhe.
Wenn ich glaube, dann weiß ich: Ich habe nur ein Leben, aber es wird niemals komplett zu Ende sein. Meine Jahre auf dieser Erde sind begrenzt, aber sie sind nicht alles. Es gibt etwas in mir, das den Tod überdauert. Es gibt Arme, die mich ewig tragen. Mich – und diese armselige, reiche, hässliche, wunderschöne, verrückte, aufregende Welt.
Christian Feldmann, Buch- und Rundfunkautor, wurde 1950 in Regensburg geboren, wo er Theologie (u. a. bei Joseph Ratzinger) und Soziologie studierte. Zunächst arbeitete er als freier Journalist und Korrespondent, u. a. für die Süddeutsche Zeitung und arbeitete am „Credo“-Projekt des Bayerischen Fernsehens mit. In letzter Zeit befasst er sich mit religionswissenschaftlichen und zeitgeschichtlichen Themen. Zudem hat er bisher 51 Bücher publiziert. Dabei portraitiert er besonders gern klassische Heilige und fromme Querköpfe aus Christentum und Judentum. Feldmann lebt und arbeitet in Regensburg.