Hommage auf Wolfgang Staudte beim Max Ophüls Preis
29. Januar 2017Auch Wolfgang Staudte ist ein Sohn der Stadt Saarbrücken. Das ist weniger bekannt als die Tatsache, dass Max Ophüls 1902 in Saarbrücken geboren wurde. Schließlich erinnert das bekannte deutschsprachige Nachwuchsfestival an den Regisseur, der 1933 aus Deutschland emigrierte und später in Hollywood Filme drehte. Wolfgang Staudte (1906-1984) hingegen bringen selbst Filmexperten kaum mit seiner Geburtsstadt in Verbindung. Auch die Stadt hat lange gebraucht, um Staudte zu würdigen. Vor elf Jahren wurde eine Tafel an seinem Geburtshaus angebracht, im vergangenen Jahr ein zentraler Platz nach Staudte benannt.
Staudte blickte nach 1945 im Kino auch auf deutsche Schuld
Dabei galt Staudte - neben Helmut Käutner - lange als einziger deutscher Nachkriegsregisseur von Rang, der nach 1945 fernab von Heimatfilm und Geschichtsverdrängung auf ein kontinuierliches künstlerisches Filmschaffen zurückblicken konnte. Staudte drehte den ersten deutschen Nachkriegsfilm "Die Mörder sind unter uns". In der Folge gehörte er mit Werken wie "Rotation", "Der Untertan" oder "Rosen für den Staatsanwalt" zu den Ausnahmeerscheinungen in der von Krieg und Nachkriegszeit ausgezehrten deutschen Kinolandschaft.
Staudtes Filme standen für politisch engagiertes Kino ebenso wie für professionelles Handwerk, für Filmkunst und (gute) Unterhaltung mit gesellschaftlichem Anspruch. Und doch: In den letzten Jahrzehnten ist das Œuvre Staudtes - von einigen wenigen Werken wie der Heinrich-Mann-Verfilmung "Der Untertan" abgesehen - kaum beachtet worden.
Deutscher Nachkriegsfilm wird neu bewertet
Auch die junge, wilde Generation des "Neuen Deutschen Films" legte Mitte der 1960er Jahre kaum Wert auf das Werk des Altmeisters. Die Regisseure und Unterzeichner des "Oberhausener Manifests" fegten in ihrem durchaus verständlichen Furor alles hinweg, was mit "Opas Kino" zusammenhing. Für Differenzierungen blieb da wenig Raum.
Auf diese zu Unrecht vergessenen und verdrängten deutschen Regisseure und Filme der Nachkriegszeit hat jüngst das Festival in Locarno mit einer weltweit beachteten Retrospektive aufmerksam gemacht. Die Filmschau "Geliebt und verdrängt: Das Kino der jungen Bundesrepublik Deutschland 1949 - 1963" stellte das Bild, das man sich gemeinhin vom deutschen Nachkriegskino gemacht hatte, zum Teil auf den Kopf.
Nicht alles war schlecht im deutschen Kino der 1950er Jahre, viele Perlen sind wiederzuentdecken - so die These der Kuratoren. Die Film-Schau wird demnächst auch in verschiedenen europäischen Ländern sowie in den Vereinigten Staaten gezeigt.
Auch Käutner und Staudte werden wieder mehr beachtet
Der bereits in Locarno während der Retrospektive gezeigte Helmut-Käutner-Film "Schwarzer Kies" (1961) wird in der digital bearbeiteten Fassung demnächst bei der 67. Berlinale gezeigt.
Auch die Wiederaufführung von Wolfgang Staudtes Film "Leuchtfeuer" aus dem Jahr 1954 während des 38. Max-Ophüls-Festivals kann als Baustein dieser Neubewertung des deutschen Nachkriegskinos interpretiert werden.
Staudte, der nach 1945 in West-Berlin lebte, drehte zunächst in der DDR mehrere Filme für dieDEFA. AlsDefa-Coproduktion mit einer schwedischen Firma entstand 1954 auch Staudtes Herzensprojekt "Leuchtfeuer". Die Geschichte einer abgeschiedenen Atlantikinsel und ihrer von Sturm und Einsamkeit geplagten Fischer ist ein düsteres, fast existenzialistisches Stück Kino. Gedreht wurde auf einer schwedischen Insel. Die expressiven Schwarz-Weiß-Aufnahmen überzeugen noch heute.Film- und Buchpräsentation in Saarbrücken
Dass hinter der schwedischen Firma in Wahrheit ein westdeutsches Unternehmen stand, verriet DEFA-Vorstandsmitglied Ralf Schenk jetzt in Saarbrücken. Offiziell sei eine deutsch-deutsche Zusammenarbeit damals nicht opportun gewesen, so Schenk.
Zu einer möglichen Wolfgang-Staudte-Renaissance könnte jetzt auch ein neues Buch beitragen. "Wolfgang Staudte: "…nachdenken, warum das alles so ist" ist ein lesenswerter Band über den Regisseur mit einer Fülle an überraschenden biografischen Details. Er wurde bei 28. Max Ophüls Preis in Saarbrücken vorgestellt.
Wolfgang Staudte: Nach Komparsen-Rolle in "Jud Süß" Schuld abtragen
Staudtes Antrieb, sich nach 1945 als Regisseur engagiert vor allem mit der deutschen Vergangenheit auseinanderzusetzen, war auch der Tatsache geschuldet, dass er als Statist im antisemitischen Film "Jud Süß" mitgewirkt hatte. Staudte fühlte sich schuldig, und er wollte diese Schuld mit engagiertem Kino abtragen. Nicht viele Filmschaffende, die vor 1945 für das deutsche Kino gearbeitet haben, haben sich so klar und eindeutig mit der Zeit des Nationalsozialismus auseinandergesetzt und persönliche Konsequenzen gezogen.
Alf Gerlach, Uschi Schmidt Lenhard (Hg.): Wolfgang Staudte: "…nachdenken, warum das alles so ist", Schüren Verlag 2017, ISBN 978 3 89472 969 1.