"Wind of Change" und die CIA
23. Mai 2020Dieses Pfeifen. Kaum fällt der Songtitel, hat man gleich dieses Pfeifen im Ohr. Ob Scorpions-Fan oder nicht: "Wind of Change" verursacht zwangsläufig einen historischen Gänsehaut-Faktor, insbesondere wenn er mit dokumentarischen Filmaufnahmen von weinenden Ost-Berlinern, tanzenden sowjetischen Soldaten und jungen, sich in den Armen liegenden Russen unterlegt ist.
Die Powerballade der deutschen Hard-Rock-Band Scorpions ist DER Soundtrack der Wende. Geschrieben im September 1989, nur zwei Monate vor dem Mauerfall, fing er genau zum richtigen Zeitpunkt die gesamtgesellschaftliche Gefühlslage ein, gepaart mit der Hoffnung auf Veränderung - und das, dank englischem Songtext, im kompletten Ostblock:
"Take me
To the magic of the moment
Of a glory night
Where the children of tomorrow
Dream their way
In a wind of change"
Deutschlands erfolgreichster Musikexport
Die Single dieser Wendehymne wurde weltweit ungefähr 14 Millionen Mal verkauft, landete in 78 Ländern in den Charts und wurde selbst Jahrzehnte später rund 760 Millionen Mal bei Youtube aufgerufen. Geschrieben hatte "Wind of Change" Bandleader Klaus Meine, inspiriert durch die Teilnahme der Band beim mittlerweile legendären Moscow Music Peace Festival im Sommer 1989.
"An einem der Abende sind alle gemeinsam - deutsche, russische, amerikanische Musiker, Journalisten und auch Mitglieder der Roten Armee - in einem Boot auf dem Fluss Moskva zum Gorki Park gefahren. Das war die Vision: Die ganze Welt in einem Boot, alle sprechen die gleiche Sprache - Musik", erinnerte sich Klaus Meine rückblickend in der Zeitung "Hamburger Abendblatt" an den Moment, der ihn zu dem Song beflügelte.
Von der CIA komponiert?
"Wirklich?" fragt jetzt ein US-amerikanischer Podcast, der den gleichen Namen trägt wie der Wendehit. Schließlich hätte der Song zum Fall der Mauer und zum Zusammenbruch des Ostblocks beigetragen. Wenn Musik eine solche Macht hat, dann kann dahinter doch nur ein Geheimdienst stecken - das meint zumindest Journalist Patrick Radden Keefe und beruft sich dabei auf eine Geschichte, die innerhalb der CIA kursieren soll.
Den Song, so das Gerücht, habe der US-amerikanische Geheimdienst geschrieben und damit den Kalten Krieg beendet. Das weiß Keefe aus zuverlässiger Quelle, nämlich von einem Freund, beziehungsweise von dessen Freund, der früher einmal beim CIA arbeitete und der es wiederum von einem Kollegen weiß - sprich: vom Hörensagen. Ein offizielles Interview dazu will nämlich keiner geben. Keefe, ein renommierter Enthüllungsjournalist, der unter anderem für das Magazin "The New Yorker" schreibt, reicht diese Stille-Post-Information für eine umfangreiche Investigativrecherche.
Psychologische Kriegsführung
In mehreren Teilen, insgesamt fast sechs Stunden, die unter anderem beim Streamingdienst Spotify zu hören sind, sucht Keefe nach Beweisen. Und findet sie nicht. Zumindest keine stichhaltigen Fakten. Stattdessen erfährt der Hörer Grundsätzliches über die kulturpolitische Arbeit der CIA, beispielsweise wie afroamerikanische Musiker in den 1960er und 1970er Jahren für außenpolitische Zwecke in verschiedenen afrikanischen Staaten ohne deren Wissen eingesetzt wurden, darunter Nina Simone oder Louis Armstrong.
Auch ruft Patrick Radden Keefe eine weitere Operation der geheimen psychologischen Kriegsführung (PSYOP) in Erinnerung, bei der die CIA 1979 US-Amerikaner aus Teheran befreite – getarnt als Filmteam. Eine filmreiche Geschichte, die Ben Affleck 2012 erfolgreich als "Argo" verfilmte und mit zahlreichen Preisen, darunter drei Oscars, belohnt wurde. Kein Zufall, wie der Hörer erfährt. Der Geheimdienstchef solle damals persönlich verordnet haben, einmal eine positive Geschichte über eine gelungene Operation zu veröffentlichen.
"Derzeit habe ich in Sachen Verschwörungstheorien die Nase voll", sagt Musikjournalist Carsten Schumacher und meint damit die zahlreichen Falschnachrichten rund um die Corona-Pandemie. "Deswegen sollte man sich gerade jetzt als Journalist sehr kritisch fragen: Ergibt das Sinn? Ich habe wirklich nichts gegen Rock-Mythen, aber dieses Gerücht ergibt überhaupt keinen Sinn."
Für Schumacher, der unter anderem als Chefredakteur des Musikmagazins "Visions" tätig war, gibt es mehrere Ungereimtheiten. Zum einen das wahrlich schlechte Timing, sollte die CIA ihre Finger im Spiel gehabt haben: "Wind of Change" wurde zwar 1989 geschrieben, wurde aber erst im November 1990 im Album "Crazy World" veröffentlicht, die Single-Auskopplung folgte gar erst im Februar 1991. "Da war doch alles schon passiert. Wenn ich als CIA etwas bewirken wollen würde, dann hätte ich der Band doch für das Moscow Music Peace Festival 1989 den Song gegeben und von der Menge bejubeln lassen."
Der Job eines Musikers
Die Tatsache, dass "Wind of Change" Klaus Meines erste Komposition sei, findet Schumacher nicht verdächtig. "Das Moscow Music Peace Festival muss für jeden, der dabei war, etwas sehr Besonderes gewesen sein - besonders für eine deutsche Band. Dass man sich da als Musiker hinsetzt und ein Lied darüber schreibt, finde ich nicht abwegig, im Gegenteil: Das ist doch Job eines Popmusikers!" Klaus Meine hat seitdem weitere Songs selbst komponiert, zuletzt "Sign of Hope", eine Ballade zur Corona-Krise.
Auch der Songtext sei in seiner Machart und Einfachheit ein glasklares Scorpions-Original, meint Schumacher. "Entweder gibt es da einen Ghostwriter, der sich richtig gut in die Jungs reinversetzen konnte, oder es ist - und das liegt doch viel näher - ein Originaltext." Eine einfache Wikipedia-Suche zeigt auch, dass der Songtext damals nicht nur ins in Russische übersetzt wurde, was bei Podcast-Journalist Keefe die Alarmglocken läuten lässt, sondern auch ins Spanische - was jedoch unerwähnt bleibt.
Der Sog der Recherche
Der Charme des Podcasts - und was ihn derzeit wohl so erfolgreich macht - ist der Sog der Recherche. Patrick Radden Keefe ist, wie man es seit Sarah Koenigs Podcast-Meisterstück "Serial" kennt, die eigentliche Hauptfigur. Er nimmt die Hörer mit, lässt sie teilhaben an seinen Fragen und an seinen Zweifeln, an unbeantworteten Anrufen, dubiosen Treffen, aber auch spannenden Interviews mit damaligen Schlüsselpersonen wie dem Musikmanager Doc McGhee.
In dem Moment, wo der Podcast sich in zu viele Annahmen und Fragen verstrickt, trifft Patrick Radden Keefe - und damit stellvertretend auch der Hörer - endlich auf Klaus Meine. Die beiden plaudern über die damalige Zeit, über die Entstehung von "Wind of Change". Schließlich konfrontiert der Journalist Meine mit seinen Recherche-Ergebnissen. Ohne zu spoilern, soll hier abschließend ein Zitat von Klaus Meine verraten werden: "Zeigt das nicht vor allem eins: die Kraft der Musik?"