Nicht wir sind die Dichter
13. August 2009Eigentlich ist Volker Schlöndorff einer der bedeutendsten deutschen Filmregisseure – nur selten hat auch für die Bühne inszeniert. Jetzt macht er doch wieder Theater. "Und ein Licht leuchtet in der Finsternis" von Lev Tolstoi heißt seine Inszenierung, die in Deutschland und Russland aufgeführt wird. DW-WORLD sprach mit Volker Schlöndorff in Neuhardenberg.
DW-WORLD: Im Stück geht es darum, wie man eigentlich richtig leben soll: Alles teilen, alles weggeben was man hat – wie es Tolstoi noch zu Lebzeiten gemacht hat – oder ob man nur nach sich selbst schauen soll. Denkt man an die Wirtschaftskrise und die Debatte um die Managergehälter, ist das ein sehr aktueller Stoff.
Ich kenne Tolstoi ja auch nur als Romancier und lese ihn sehr gerne und gerade wenn man älter wird, liest man so ein Buch wie Krieg und Frieden und auch Anna Karenina viel, viel interessierter. Es stellt ja nicht nur das einzelne Drama dar, den Helden oder die Heldin, mit dem er sich identifiziert, sondern ein ganzes Panorama an Menschen und Schicksalen, und jeder hat auf seine Art Recht. Und das braucht viel Breite.
Und Theater ist eigentlich das Gegenteil. Es muss gedrängt sein, muss auf wenige Personen und auf einen zündenden Konflikt zusteuern. Dieses Stück hat das alles nicht. Es ist ein ziemliches Panorama, mit vielen Fragmenten, vielen verschiedenen Schauplätzen, die wir alle hier nur durch den Text evozieren. Das Bühnenbild ist eigentlich die Natur und der Mensch, der sich darin herumrumschlägt, um herauszufinden, wie lebe ich richtig? Ich glaub nicht, dass man es an der Aktualität messen kann.
Worauf ist Ihre Tolstoi-Inszenierung fokussiert, bei diesem "breiten" Stoff?
Ich bin ja selbst sehr oft verführt worden von Ideen in meinem Leben. Ich hab bestimmt auch andere verführt zu diesen Ideen. Deshalb interessiert es mich, wie weit man Verantwortung hat für das Unglück, was man auslöst und wie weit das unvermeidlich ist. Also Tolstoi, wie auch die Hauptfigur des Stücks, möchte alles weggeben. Er möchte nach der Bergpredigt leben, alles mit allen teilen, den Bauern das Land geben und damit zerstört er vollkommen seine Familie. Die jungen Leute, die ihn ernst nehmen, die landen im Strafbataillon oder der Psychiatrie oder in Sibirien. Und trotzdem glaubt er an die Wahrheit seiner Ideen. Das ist der Fokus. Ich habe keine Antwort. Ich zeige nur sein Drama.
Haben Sie sich durch die Spielorte Neuhardenberg und Jasnaja Poljana inspirieren lassen?
Zunächst mal gibt es die Inspiration der Freiluftveranstaltung. Also ich würde mich nicht ins Deutsche Theater wagen. Das ist nicht nach meinem Beruf. Hier hat es ja automatisch beinah was von Film, man spielt in der Natur. Und wenn es regnet oder heiß ist oder die Sonne scheint, das ist schon Teil der Elemente.
Es hat aber auch so etwas Spielerisches, es ist eigentlich ein Sommervergnügen. Vielleicht ein bisschen ein ernstes Sommervergnügen, aber es bleibt ein Sommervergnügen. Man sitzt hier, man kommt raus. Und so wird es, nehme ich an, auch in Russland sein.
Das deutsch-russische Verhältnis war nicht immer nur Sommervergnügen. Was spielt das für eine Rolle bei der Herangehensweise an die Inszenierung?
Das ist natürlich der allerwichtigste Teil. Ich glaube, wenn wir das nur in Neuhardenberg gespielt hätten, wäre es für uns alle nur halb so aufregend. Die Tatsache, dass man hier gezwungen ist, sich auch in eine gewisse russische Mystik zu begeben, das hilft, die andere Seite besser zu verstehen. Im Grunde wissen wir ja nichts über Russland. Also vor allem wir im Westen. Ich weiß nicht, wie es im anderen Teil Deutschlands ist, wie viel Kenntnisse man da wirklich von Russland hat. Und wenn überhaupt, dann sind es Kenntnisse vom dem revolutionären Russland und was daraus geworden ist. Aber von der russischen Kultur davor wissen wir doch herzlich wenig. Auch wenn man mal den Spieler von Dostojewski gelesen hat. Und jetzt ist das auf einmal vor der Tür. Und wir sind auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen. Die Frage, gehört Russland zu Europa oder ist das eine andere Kultur, eine eigene? Und wenn ja, was für eine? Ist das eine asiatische oder mehr eine spirituelle oder ist das eine viel materialistischere? Das ist dann eben ein Ansatz, sich mit so einem Stück auseinander zu setzen.
Das Stück wurde noch nicht in Russland aufgeführt. Was hat die Auseinandersetzung damit bis jetzt für Sie gebracht?
Wenn man sich mit russischer Literatur auseinandersetzt aus dem 19. Jahrhundert, dann passiert einem das: man kommt sich sehr oberflächlich vor. Man hat das Gefühl, nicht wir, die Deutschen, sind die Dichter und Denker - das ist ja alles an der Oberfläche - bei den Russen geht es gleich ans Existenzielle.
Und so, wie der hier sagt, wenn ich das erkannt habe, das ist richtig, dann gebe ich jetzt alles weg ohne Rücksicht auf die Familie und gehe praktisch in die Wüste, das sind Ansätze, die wir so gar nicht kennen. In unserem Leben nicht und in unserer Literatur nicht. Es ist so eine Absolutheit in den Lebensansprüchen. Vielleicht auch in der, ja: man sagt dann immer, Leidensfähigkeit. Achtung! Klischee! Muss ich gleich sagen, ja. Man sagt: Seele. Achtung! Klischee! Man sagt, eine gewisse Herzlichkeit im Umgang miteinander – Achtung! Klischee! Also wir sind dauernd dabei zu sehen, wann spielen wir einen Russen und wann spielen wir ein Klischee und wir wissen doch gar nicht, was es ist. Und wir können eigentlich deshalb nur uns Deutsche spielen. Und das versuchen wir auch in dem Stück zu machen. Uns also nicht den Russen anzubiedern, sondern zu sagen: so verstehen wir das, so stellen wir das dar. Und machen uns damit auch wieder sehr angreifbar.
Volker Schlöndorff sehen Sie am 12.09.09 in der Sendung Kultur 21 auf DW-TV oder im Livestream.
Das Gespräch führte Werner Herzog.
Redaktion: Elena Singer