Wir sind alle Helden
9. September 2002
New York, 8.9.2002
In Queens, in einer Reihenhaussiedlung mit gelb und weiß getünchten zweistöckigen Holzhäusern mit Veranda, weit weg vom quirligen Manhattan und Ground Zero, treffe ich Nancy Schatz. Die dreiundzwanzigjährige Polizistin half am 11. September nach dem Einsturz des World Trade Centers das südliche Manhattan zu evakuieren.
Nancy Schatz hat ein ungewöhnliches Hobby. Da sie deutsche Vorfahren hat, ist sie Mitglied in der Steubengesellschaft, einem Traditions-Verein, der die deutschen Wurzeln vieler Amerikaner pflegt. In diesem Jahr ist sie die Steuben-Queen, Miss German-American, und wird am 21. September bei der großen Steuben-Parade auf einem Prunkwagen stehen, mit Krone und Zepter, im weißen Glitzerkleid. Nancy war kürzlich auf einer Werbetour für die Steuben-Parade in Deutschland. Natürlich wurde sie immer und überall auf die Terrorattacken angesprochen. Sie glaubt, ein tiefes Mitgefühl und eine große Solidarität der Deutschen zu spüren. Dass sich Kanzler Schröder im Wahlkampf wegen der Irakfrage jetzt mit Präsident Bush anlegt, regt Nancy Schatz nicht weiter auf: "Na ja, in der Politik läuft was schief, aber die Menschen halten zusammen."
Den 11. September sieht die Offizierin des New York Police Department (NYPD) als Prüfung, die die Nation gut überstanden hat. "Wir sind alle Helden geworden, nicht nur die Feuerwehrleute und Polizisten, die versuchten zu retten, sondern auch die Arbeiter der Wasserversorgung, die U-Bahnleute, einfach alle, die mitgeholfen haben, New York wieder funktionieren zu lassen." Wenn sie die Flugzeuge nach La Guardia Airport anfliegen sieht, der nur einige Blocks von ihrem Haus entfernt liegt, fühlt sie sich gut, denn das heißt, dass alles wieder normal ist. "Ich freue mich auf meine Parade als Steuben-Queen, denn letztes Jahr ist sie wegen Osama bin Laden ausgefallen. Diesmal wird sie sehr mit Gefühlen verbunden sein und stärker und besser sein als in der Vergangenheit." Nancys Augen leuchten. Nein, Angst vor neuen Anschlägen hat die Polizistin nicht, daran will sie nicht denken. Es soll nicht passieren, solange sie Dienst hat.