"Wir sind nicht das Rote Kreuz"
11. August 2004Die Streitkräfte sollten freie Hand bekommen, die italienischen Hoheitsgewässer vor den Ankommenden zu schützen. So lautet der Vorschlag von Reformminister Roberto Calderoli an Rom. "Wir sind nicht das Rote Kreuz. Jedes Land hat das Recht auf Verteidigung", sagt Calderoli von der "Lega Nord".
Europäisches Problem: Die Südküste Italiens
Italien sei dem Flüchtlingsproblem allein nicht gewachsen, sagt der italienische Innenminister Giuseppe Pisanu. Die Europäische Union müsse sich ihrer Verantwortung an den Südküsten Italiens bewusst werden. Pisanu verwies auf die italienischen Bemühungen, durch Absprachen mit den Nachbarländern das Flüchtlingsproblem anzugehen. Dies habe schon mit Albanien zu Erfolgen geführt. Nun werde auch mit den libyschen Behörden verhandelt. Das am Wochenende in Sizilien eingelaufene Schiff ist nach Flüchtlingsberichten von Libyen aus gestartet. Von 100 Passagieren erreichten nur 72 die italienische Küste. 28 Flüchtlinge sollen ertrunken sein.
Sommer: Zeit der Flüchtlingstragödien
Das milde Wetter am Mittelmeer hat in den letzten Wochen ungewöhnlich viele Schlepper die Überfahrt nach Europa wagen lassen. Das Auffanglager auf der Insel Lampedusa vor Sizilien ist wie jeden Sommer überfüllt, obwohl gerade 300 Flüchtlinge ins Landesinnere gefahren wurden. Mitte vergangener Woche erreichten drei Schiffe Sizilien. Erst kurz zuvor waren 280 Flüchtlinge innerhalb von zwölf Stunden mit Schlauchbooten gelandet, tags zuvor knapp 100. In der Woche davor waren fast 1000 Flüchtlinge eingetroffen.
Seit 1990 sind nach offiziellen Angaben etwa 1000 Menschen bei der Überfahrt nach Italien gestorben. Nur die spektakulärsten Unfälle sorgen für Schlagzeilen - etwa, als im vergangenen Sommer 200 Menschen auf einem einzigen Boot ertranken.
Die EU hat in den letzten Jahren fast alle legalen Zugangsmöglichkeiten zu ihrem Territorium verschlossen. In Deutschland kamen nach Angaben der Organisation "ProAsyl" noch 50.000 Asylsuchende unter - der niedrigste Stand seit 1984. Das Problem: Einwanderer, die später als Flüchtlinge Anerkennung finden, würden ohne die Hilfe von illegal operierenden Schleppern nicht nach Europa gelangen. Die Abschottungspolitik trage so zu den gewagten Überfahrten mit Kurs auf Italien bei, kritisiert Karl Kopp von "ProAsyl".
Grundrechte für Flüchtlinge gefordert
Gegen die Äußerungen der italienischen Regierung regt sich Widerstand: Kardinal Renato Martino fordert im Zeitungsinterview eine internationale Migrations-Charta. Sie soll Rechte und Pflichten für die weltweiten Migrationsbewegungen festlegen - analog zur UN-Charta über die Rechte von Gastarbeitern. Mit solchen Festlegungen könne es keine einseitigen Entscheidungen auf Kosten der Schwächsten geben, sagte Martino. Er plädiere zwar auch für eine Grenze der Zumutbarkeit von Immigration für die Aufnahmeländer, aber dieses Limit dürfe nicht nur der Verteidigung des eigenen Wohlstands dienen.