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Politik

"Selbstbewusster mit Propaganda umgehen"

Alexandar Detev
5. Mai 2022

Das Verbot von Sputnik und RT in der EU ist politisch verständlich, sanktionsrechtlich aber problematisch, sagt Christian Mihr, Geschäftsführer der deutschen Sektion von Reporter ohne Grenzen, im Interview mit der DW.

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Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, Christian Mihr
Christian Mihr ist der Geschäftsführer der Journalisten-Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) in DeutschlandBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

DW: Am diesjährigen Internationalen Tag der Pressefreiheit, dem 3. Mai 2022, hat Ihre Organisation zum 20. Mal eine internationale Rangliste der Pressefreiheit vorgelegt. Darauf ist Bulgarien um 21 Plätze nach oben geklettert. Woran liegt das: An der Änderung der Methodik, an der Verschlechterung in anderen Ländern oder an wirklich positiven Entwicklungen?

Christian Mihr: Die neue Methodik ermöglicht es uns, den Ist-Zustand der weltweiten Pressefreiheit noch besser abzubilden, und künftig wird auch eine bessere Vergleichbarkeit gegeben sein. Tatsächlich steht Bulgarien in der neuen Kategorie "Sicherheit" besser da als im Vorjahr. Eingeflossen sind aber auch zu erwartende positive Effekte des Regierungswechsels 2021 - schließlich war das System von Ex-Premier Bojko Borissow der Pressefreiheit in Bulgarien zutiefst abträglich. Allerdings: Die Situation dort ist noch immer problematisch. Unter den EU-Ländern schneidet nur Griechenland noch schlechter ab.

Blumen an einem Zaun an der Stelle, wo der Journalist Giorgos Karaivaz ermordet wurde
Trauer am Tatort: Am 9. April 2021 wurde in Athen der Journalist Giorgos Karaivaz von Unbekannten erschossenBild: Giannis Panagopoulos/ANE/Eurokinissi/picture alliance

Griechenland ist bei der Pressefreiheit jetzt Schlusslicht in der Europäischen Union. Was sind die Gründe dafür?

In Griechenland sind die Unabhängigkeit der Medien und die Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten systematisch gefährdet. Wir kritisieren vor allem die unsicheren Arbeitsbedingungen für Reporterinnen und Reporter, Behinderungen von Recherchen über Verletzungen der Menschenrechte von Geflüchteten und missbräuchliche Klagen gegen Medienschaffende. Die Probleme sind zwar nicht einzigartig, aber schwerwiegender als in den meisten anderen EU-Mitgliedsstaaten. Zudem wurde mit dem Polizeireporter Giorgos Karaivaz 2021 erstmals nach fast vier Jahren wieder ein Journalist in Europa ermordet - vor seinem Haus, am helllichten Tag.

Schild von RT Deutsch in Berlin
Das Logo des inzwischen in der EU verbotenen russischen Propagandasenders RT Bild: Sascha Steinach/imago images

Desinformation und Propaganda aus Russland stellen seit Jahren eine ernsthafte Bedrohung für Europa dar. Wie erfolgreich verläuft die Bekämpfung während des Kriegs in der Ukraine, insbesondere in den Länder Ost- und Südosteuropas, die eines der Hauptziele von Fake News, Manipulation und Trollen im Auftrag des Kremls sind?

Die EU hat ja in den ersten Tagen von Russlands Krieg gegen die Ukraine die russischen Sender RT und Sputnik verboten. Es ist vollkommen klar, dass diese beiden Sender Propagandawerkzeuge des russischen Machtapparats  sind. Das Verbot ist also politisch verständlich, sanktionsrechtlich aber durchaus problematisch, denn es wurde im Zuge der Wirtschaftssanktionen gegen Russland beschlossen. Viel wichtiger wäre aus unserer Sicht, mit Propaganda allgemein viel stärker und viel selbstbewusster umzugehen. Das würde eine Stärkung der Medienkompetenz durch alle Gesellschaften hinweg erfordern. In vielen osteuropäischen Ländern ist die Situation komplex, zum Beispiel in Serbien: In großen Teilen der serbischen Gesellschaft verfängt die russische Propaganda tatsächlich sehr stark.

Deutschland | Berlin - Tag der Pressefreiheit 2017
Das Logo der Journalisten-Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF)Bild: Stauffenberg/ Eventpress/picture alliance

Facebook, YouTube, Twitter, TikTok - die sozialen Medien scheinen bei der Moderation von Fake News und Desinformationen, die auf ihren Plattformen verbreitet werden, zu versagen. In diesem Sinne: Wie sollten die europäischen und nationalen Institutionen dieses Problem angehen und wo liegt die Grenze zwischen Moderation und Zensur?

Zunächst braucht es mehr Transparenz und unabhängige Aufsicht über die Maßnahmen, die die Plattformen bisher im Einsatz gegen Desinformation ergreifen. Oft setzen sie diese zu willkürlich und eher auf öffentlichen Druck hin um, sei es mit Blick auf Faktencheck oder mit Sperrungen von Beiträgen und Konten. Reporter ohne Grenzen hat sich im Zuge der Verhandlungen des Digital Services Act, der neue EU-weite Regeln für Online-Plattformen schaffen soll, dafür eingesetzt, stärker in den Blick zu nehmen, welche Inhalte die Plattformen durch ihre Algorithmen befördern, ebenso wie dafür, neue Verpflichtungen zur Herausgabe von Daten an Wissenschaft, Zivilgesellschaft und unabhängige Prüfstellen zu schaffen. Zudem sollten Plattformen nach unabhängigen Standards als vertrauenswürdig eingestufte Medienbeiträge sichtbarer machen, statt den Fokus allein auf die Löschung von schädlichen, aber zumeist legalen Inhalten zu legen.