Nobelpreisträgerinnen reisen die Balkanroute ab
20. November 2015Ihre Reise endete dieses Mal in Berlin. Ihre Mission hört hier allerdings nicht auf. Das versicherten die drei Friedensnobelpreisträgerinnen Jody Williams (USA), Shirin Ebadi (Iran) und Tawakkol Karman (Jemen), als sie über ihre Untersuchungsmission entlang der Balkanroute berichteten. Die drei Menschenrechtsaktivistinnen waren in vier Tagen von Belgrad nach Berlin gereist, um sich ein eigenes Bild von der Situation flüchtender Frauen, unbegleiteter Minderjähriger und anderer Schutzbedürftiger auf der gefährlichen Balkanroute zu machen. Das Projekt ist Teil der "Nobel Women's Initiative" - eine Frauenrechtskampagne, die von sechs Nobelpreisträgerinnen im Jahr 2006 gegründet wurde und von zahlreichen weiteren Menschenrechtsgruppen unterstützt wird.
"Wieso müssen Menschen wie Vieh behandelt werden?"
Die drei mitgereisten Nobelpreisträgerinnen trafen Vertreter von über 50 Menschenrechtsgruppen, ebenso wie über 100 Flüchtlinge in Fokusgruppen. Sie besichtigten Transitcamps an der serbisch-kroatischen, ebenso wie an der slowenischen Grenze. Nur ein kleiner Ausschnitt der tatsächlichen Balkanroute - und doch genug für Jody Williams, deren Engagement mit zur internationalen Ächtung von Landminen beigetragen hat, um schwere Vorwürfe gegenüber den slowenischen Behörden zu erheben. Überfüllte Busse, brüllende Polizeioffiziere und Flüchtlinge, die ohne angemessene Information durch die Registrierungsprozesse geschleust würden. Die Amerikanerin zeigte sich von der Situation noch immer schockiert: "Wieso müssen Menschen wie Vieh behandelt werden?"
Begleitet vom Hashtag #WomenRefugeesWelcome, will die Reise für das schwere Schicksal von Frauen und Kindern auf der Flucht sensibilisieren. Nach Angaben der Initiative hat die Zahl von Frauen und Kindern auf der Flucht zuletzt sprunghaft zugenommen. 30 Prozent der Flüchtlinge auf dem Balkan seien jetzt Frauen, schätzen die Menschenrechtsaktivisten. Und ihre Lage bleibe erdrückend, so Rola Hallam von der britischen Menschenrechtsorganisation "Hand in Hand for Syria", die die drei Prominenten begleitete. "Die Situation in Griechenland und insbesondere die Grenzübergänge zwischen der Türkei und Griechenland sind immer noch die gefährlichsten Orte für Frauen, Kinder und andere Schutzbedürftige". Frauen würden überproportional oft Opfer von Diebstählen. Und sie seien bevorzugtes Ziel von Menschenhändlern, die sie sexuell ausbeuteten. Das gelte auch, so Hallam, obwohl sich die generelle Lage in den Transitzentren entlang der Balkanroute gerade in den letzten Wochen merklich verbessert habe. Obwohl die Reise als "Untersuchungsmission" angekündigt war, beriefen sich die Menschenrechtsaktivistinnen meist aber auf Informationen anderer NGOs. Eigene Eindrücke, wie das Gespräch von Rola Hallam mit fünf vergewaltigten Eritreerinnen, blieben scheinbar die Ausnahme.
Ein Marschall-Plan und legale Fluchtoptionen
Dennoch leiten die Friedensnobelpreisträgerinnen zwei Forderungen aus ihrer Reise ab: Neben einem umfassenden Friedensplan für die Region fordern sie Europas Politiker dazu auf, legale Migrationswege zu schaffen. Zudem müsse die Bevorzugung bestimmter Flüchtlingsgruppen gegenüber anderen sofort wieder gestoppt werden. Von verschiedenen Balkan-Staaten wurde gemeldet, dass an Grenzübergängen nur noch syrische, irakische und afghanische Flüchtlinge nach Westeuropa weitergelassen werden. "Krieg und Verfolgung betrifft viele Länder und deshalb sollten wir alle Flüchtlinge, egal woher, gleich behandeln", forderte Rola Hallam von 'Hand in Hand for Syria'.
Tawakkol Karman warnte unterdessen vor einer Vorverurteilung muslimischer Flüchtlinge. Die jemenitische Friedensnobelpreisträgerin gilt in ihrem kriegszerstörten Land als Ikone einer friedlichen Revolutionsbewegung. Unter dem Eindruck der Pariser Terroranschläge rief sie in Berlin dazu auf, den Islam jetzt nicht als Terror-Religion abzustempeln. "Was dort passiert ist, hat nichts mit uns Muslimen und nichts mit dem Islam zu tun." Und es habe besonders wenig mit jenen zu tun, die über den Balkan nach Deutschland fliehen wollten, um im Irak, im Iran und in Afghanistan "Armut, Tyrannei und Willkürherrschaft" zu entkommen. Diese Missstände seien vielmehr das Resultat einer verfehlten westlichen Interventionspolitik durch die USA und ihrer Verbündeter, so Karman. "Sie flogen Bombenangriffe und dann gingen sie wieder weg. Sieht so Politik aus?" Karmans Appell an die deutsche Bundeskanzlerin lautete daher, sich trotz größer werdender Widerstände nicht von ihrem jetzigen Kurs abbringen zu lassen. "Frau Merkel, schließen sie die Grenzen nicht!"
"Eine Runde Applaus für Frau Merkel"
Dass ihre Reise ausgerechnet im deutschen Bundeskanzleramt endet, damit verbinden die drei Friedensnobelpreisträgerinnen nach eigenen Angaben auch eine besondere Botschaft. Denn Angela Merkels menschliche Haltung gegenüber Flüchtlingen zeige, welch "mutige Führungsfigur" sie sei. "Alle anderen Spitzenpolitiker der EU können nicht das aufwiegen, was Merkel derzeit für die Flüchtlinge tut", lobte Jody Williams die deutsche Kanzlerin und initiierte sogar eine Runde Spontanapplaus. In Deutschland ist das derzeit ein ungewohntes Bild der Herzlichkeit gegenüber Merkel. Denn eine Mehrheit der Deutschen zeigt sich unzufrieden mit ihrem Kurs in der Flüchtlingskrise und in Meinungsumfragen sackten ihre Popularitätswerte ab. Im jüngsten ZDF-Politbarometer sprach sich sogar erstmals eine Mehrheit der Befragten gegen Merkels Willkommenskurs gegenüber Flüchtlingen aus.
Für Jody Williams ist das Grund genug, der deutschen Kanzlerin den Rücken zu stärken. "Wir stehen an Frau Merkels Seite", ließ sie die Kanzlerin wissen. Empfangen wurden die drei prominenten Menschenrechtsaktivistinnen im Kanzleramt unterdessen nicht von der Gelobten selbst, sondern vom außenpolitischen Berater der Kanzlerin und vom Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung. Die Kanzlerin weilte währenddessen in Bayern beim CSU-Parteitag in München. Also an jenem Ort, an dem beinahe 1000 Delegierte scharfe Kritik an ihrem Flüchtlingskurs üben.