SZ entlässt Netanjahu-Karikaturisten
17. Mai 2018"Grund hierfür sind unüberbrückbare Differenzen zwischen Herrn Hanitzsch und der Chefredaktion darüber, was antisemitische Klischees in einer Karikatur sind", teilte die Chefredaktion der "Süddeutschen Zeitung" am Donnerstag (17.05.2018) mit. "Dies hat sich nicht nur in der veröffentlichten Karikatur selbst, sondern auch in Gesprächen mit Herrn Hanitzsch gezeigt." Die "SZ" werde nun ihre redaktionsinternen Abläufe bei der Veröffentlichung von Karikaturen überprüfen und gegebenenfalls verändern.
Auf der Karikatur des Zeichners Dieter Hanitzsch ist Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu im Kleid der Eurovison Song Contest-Teilnehmerin seines Landes, Netta Barzilai, zu sehen, die in Lissabon den Sieg und damit den nächsten ESC nach Israel holte. Der Premierminister hält eine Rakete in der Hand, auf der ein Davidstern zu sehen ist. In einer Sprechblase steht der traditionelle jüdische Ausruf "Nächstes Jahr in Jerusalem", der üblicherweise an Feiertagen und in Gebeten benutzt wird. Er steht für die besondere Verbundenheit des jüdischen Volkes mit der für sie heiligen Stadt Jerusalem. Auch Netta skandierte ihn nach ihrem Sieg in Portugal.
Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, zeigte sich von der Karikatur entsetzt: "Hier werden Assoziationen an die unerträglichen Zeichnungen der nationalsozialistischen Propaganda geweckt", sagte Klein der "Bild" am Donnerstag. Bei allem Verständnis dafür, dass "Karikaturen ironisieren und provozieren sollen", geißelte er die Zeichnung aufs Schärfste: "Mit einer derartigen geschmacklosen Zeichnung entwertet man jede berechtigte Kritik an den Handlungen der israelischen Regierung."
Bedenken vor der Veröffentlichung
Innerhalb der Redaktion der Süddeutschen Zeitung war die Karikatur schon vor der Veröffentlichung umstritten, räumte Chefredakteur Wolfgang Krach ein. Die Bedenken waren berechtigt, denn nachdem die Zeichnung von Dieter Hanitzsch am Dienstag (15.05.2018) im Blatt erschien, gab es in den Sozialen Medien einen Aufschrei der Empörung:
Der nächste User offeriert in seinem Quiz als mögliche Antwort den "Stürmer", eine antisemitische Wochenzeitung, die in Deutschland von 1923 bis 1945 erschien.
"So etwas stammt von der linksliberalen Süddeutschen Zeitung, das würde besser zum Völkischen Beobachter passen", twitterte ein US-amerikanischer Journalist und nahm damit Bezug auf das publizistische Sprachrohr der nationalsozialistischen Partei Deutschlands, das zwischen 1920 und 1945 NS-Propaganda verbreitete:
Israelische Reaktionen
Die israelische Tageszeitung "Haaretz" berichtet, dass es kritische Stimmen gegeben habe, die die Darstellung Netanyahus mit großer Nase, großen Ohren und wulstigen Lippen als beleidigend empfunden hätten. Die Europakorrespondentin eines israelischen Rundfunksenders kommentierte: "Die Süddeutsche hat es schon wieder getan." Ein Landsmann beantworte den Tweet unter anderem mit den Worten: "Die Zeichnung katapultiert uns ins Jahr 1933 zurück, in die Zeit, als man den 'Stürmer' las. Es hätte doch gereicht, einfach zu schreiben: Die Juden sind 'unser Unglück' statt so eine gutgemachte Karikatur zu zeigen."
Doch es gibt im Netz nicht nur Kritik, sondern auch Unverständnis dafür, dass man Israel als Deutscher nicht kritisieren dürfe:
Entschuldigung vom Chefredakteur, aber nicht vom Karikaturisten
Angesichts der zahlreichen Proteste löschte die SZ die Karikatur in ihrer Online-Ausgabe schon am Dienstagabend. "Die Zeichnung könne antisemitisch aufgefasst werden, räumte Chefredakteur Wolfgang Krach auf dem Nachrichtenportal ein: "Ihre Veröffentlichung war deshalb ein Fehler, für den wir um Entschuldigung bitten. Der Karikaturist Dieter Hanitzsch sagt, er habe mit seiner Darstellung lediglich darauf hinweisen wollen, dass das nächste ESC-Finale 2019 in Jerusalem stattfinden soll."
Nicht alle waren mit dieser Entschuldigung zufrieden. So kommentierte eine Userin:
Karikaturist Dieter Hanitzsch selbst wies gegenüber der "Jüdischen Allgemeinen" den Vorwurf zurück, eine antisemitische Zeichnung veröffentlicht zu haben und erklärte: "Die Politik Netanjahus möchte ich kritisieren können, auch als Deutscher." Die Rakete mit dem Davidstern sei ein “Symbol für seine nicht sehr friedensfördernde Politik”. Daher wolle er sich nicht für die Karikatur entschuldigen.
Da beim Deutschen Presserat mehrere Beschwerden zum Thema eingegangen sind, wird er es bei seinem nächsten Treffen am 12. Juni auf die Agenda nehmen.
suc/pg (dpa, AP)