Wird die Letzte Generation altersmilde?
20. Dezember 2024Sie haben sich auf Straßen festgeklebt, die Rollfelder von Flughäfen blockiert, sie haben Kartoffelbrei oder Suppe auf weltberühmte Gemälde gekippt oder das Brandenburger Tor mit Farbe bestrichen – alles, um auf ihre Sache aufmerksam zu machen: Es sei fünf vor zwölf, um das Klima zu retten. Letzte Generation (LG) nennen sie sich, weil sie angeblich die letzten sind, die noch einen Klimakollaps abwenden können.
In den letzten Monaten ist es allerdings still geworden um die Letzte Generation. Schon im Januar hatte die Gruppe angekündigt, auf Klebeaktionen verzichten zu wollen. Jetzt wollen sie sich auch umbenennen – der neue Name ist noch nicht bekannt - und die Form des Protestes verändern. Spektakuläre Blockaden treten in den Hintergrund. Was genau das Neue sein wird, darüber sind die beiden Sprecher Carla Hinrichs und Raphael Thelen vage geblieben. Aber offenbar geht es in Zukunft weniger um Provokation, sondern darum, möglichst viele Menschen in ein gemeinsames Ziel einzubinden.
"Die Klimakrise eskaliert. Die Einschläge kommen immer häufiger und immer näher", sagt Raphael Thelen der DW. Aber der bisherige Protest funktioniere nicht. Zwar wollten 80 Prozent der Deutschen mehr Klimaschutz. "Daran liegt es nicht. Woran es wirklich liegt, ist, dass Konzerne und Lobbies in diesem Land überproportional viel Einfluss haben."
Die Angst vor dem Klimatod nimmt ab
Aber auch gesellschaftlich hat sich seit Beginn der Aktionen Anfang 2022 etwas verändert. In den Umfragen der letzten Monate zu den Sorgen der Deutschen hat die Angst vor einer Klimakatastrophe deutlich abgenommen, wurde verdrängt von Kriegs- und Abstiegsängsten.
Auch die Anliegen der Deutschen vor der Ende Februar anstehenden Bundestagswahl haben sich verschoben: Klimaschutz taucht da unter ferner liefen auf. Im Vordergrund stehen jetzt Wirtschaftsfragen, Inflation, Migration. Selbst die Grünen, DIE Klimaschutzpartei schlechthin, betonen das Thema im Wahlkampf viel weniger als früher.
Verständnis für das Anliegen, aber nicht für die Mittel
Polarisiert hat die Letzte Generation schon immer. Nicht jeder, der mehr Klimaschutz will, war auch bereit, wegen einer Klebeaktion im Stau zu stehen. Politiker gingen mindestens auf Distanz – oder beschimpften die Letzte Generation. Der Grünenpolitiker Konstantin von Notz nannte eine Blockade des Berliner Flughafens Ende 2022 "kontraproduktiv, anmaßend und potenziell gefährlich".
Andreas Dobrindt von der konservativen CSU bezeichnete die Letzte Generation sogar als eine "Klima-RAF" in Anlehnung an die linksextreme terroristische Vereinigung Rote-Armee-Fraktion, die zwischen 1971 und 1993 für mehr als 30 Morde verantwortlich war.
Immer wieder wurden Aktivisten der Letzten Generation wegen Straftaten verurteilt. Gerade in den vergangenen Tagen traten zwei von ihnen eine Haftstrafe an. In Gerichtsprozessen äußerten Richter oft Verständnis für das Anliegen der Gruppe, nicht aber für die eingesetzten Mittel.
Letzte Generation: "Es geht um Miete, Lebenshaltungskosten, Jobs"
Aus all dem will die Letzte Generation jetzt offenbar die Konsequenz ziehen. "Die Gesamtlage hat sich geändert, deswegen ändern wir uns ja auch. Klimaschutz bleibt wichtig. Es gibt aber auch andere Probleme, wo der Schuh drückt", sagt Raphael Thelen – und wehrt sich dagegen, dass die Letzte Generation auf Klimaschutz reduziert wird.
"Wir waren immer auch eine Gerechtigkeitsbewegung, und die meisten Themen, um die es da geht, sind ja Gerechtigkeitsthemen. Es geht um Miete, Lebenshaltungskosten, Jobs."
Offenbar will sich die Gruppe in Zukunft breiter aufstellen und Klimaschutz mit einem "guten Leben" verbinden. Ist das ein Widerspruch, weil ein "gutes Leben" bisher immer auch mit höherem CO2-Ausstoß verbunden war? Thelen meint: nein. "Natürlich müssen wir auch bewusster umgehen mit unseren Ressourcen, aber das Leben muss deswegen nicht schlechter werden. Wir haben die Technologien."
Die Frage ist, wo dann das Drängende, Unerbittliche bleibt, das bisher mit dem Namen Letzte Generation verbunden war. Carla Hinrichs sagte dem Magazin "Der Spiegel": "Wir wollen keinen Umsturz." Und weiter: "Wenn wir erfolgreich sind, wird alles, was wir gemacht haben, sicher irgendwann als friedliche Revolution bezeichnet werden."
Irgendwann. Es scheint, als glaubte die Letzte Generation nicht mehr, dass nur ein sofortiges radikales Umsteuern das Weltklima retten kann.